Von der Kriegsgefangenenunterkunft zur Neubauernbaracke der Bodenreform. Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain und Bundeswehr retten Neubauernbaracke im Zeithainer Ortsteil Neudorf
20.10.15
Kriegsgefangene und Heimatvertriebene: Eine wechselvolle Geschichte hat die Zeithainer Neubauernbaracke basierend auf der Reichsarbeitsdienstbaracke vom Typ RL IV/3. Sie war eine von noch zwei am Ort verbliebenen Baracken, die 1941 bis 1945 vor allem zur Unterbringung von Gefangenen im Kriegsgefangenenlager Zeithain genutzt wurden. Im Jahr 1946 wurde mit diesen Baracken auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Zeithain „Neudorf“ errichtet, ein Neubauerndorf für deutsche Vertriebene überwiegend aus Pommern und Schlesien. Zu Siedlungshäusern umgestaltet sind sie so ein einzigartiger Bautyp und ein bedeutendes Architekturzeugnis von Reichsarbeitsdienst, Wehrmacht, Flucht und Vertreibung sowie Integration. Die Holzfertigbauteile wurden auf einem gemauerten Fundament gegründet, dessen Ziegel von Gebäuden des Kriegsgefangenenlagers stammen. Das gesamte ehemalige Lager war 1946 zum Abriss und damit zur Gewinnung von Baustoffen von der Sowjetischen Militärregierung ins Sachsen frei gegeben worden. Die Federführung lag dabei wie beim Bau des Neubauerndorfs Neudorf beim damaligen Landkreis Großenhain.
Die Baracke in der Wasserturmstraße 4 wurde seit dem 12.10. bei einschließlich 19.10.2015 mit Unterstützung der Bundeswehr behutsam abgebaut, um dann zunächst in Zeithain auf dem Gelände der Entwicklungs- und Verwertungsgesellschaft Zeithain (EVGZ) fachgerecht eingelagert und gesichert zu werden. Die Eigentümerin hat die geborgenen Holzfertigbauteile qua Schenkungsvertrag der Stiftung Sächsische Gedenkstätten übertragen. Über die weitere Verwendung ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend entschieden, aber ein möglicher Aufbau von Segmenten der Baracke im Militärhistorischen Museum Dresden im Jahr 2019 im Rahmen einer Sonderausstellung „80 Jahre Beginn Zweiter Weltkrieg“ (Arbeitstitel) ist geplant.
Die Neudorfer Baracken sind einerseits als Baudenkmäler Zeugnisse nationalsozialistischer Verbrechen der Wehrmacht an den sowjetischen und italienischen Kriegsgefangenen im Kriegsgefangenenlager Zeithain. Andererseits sind sie aber auch Beispiele für die nicht erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzende zivile Nutzung von Baracken. Die aus standardisierten, massenweise industriell hergestellten Holzbauteilen gefertigte mobile Holzbaracke war seit ihrem Durchbruch Ende des 19. Jahrhunderts zu einer unverzichtbaren Lösung für die schnelle, mobile und kostengünstige Unterbringung einer großen Zahl von Menschen geworden. Sie war Voraussetzung für die Entstehung von Lagern wie dem Kriegsgefangenenlager Zeithain, die für das 20. Jahrhundert prägend wurden. Die Baracken in Neudorf, nunmehr die letzten dort am historischen Standort verbliebenen, sind daneben auch ein historisches Zeugnis für die Bodenreform in der SBZ, die sich im nächsten Jahr zum siebzigsten Mal jährt.
Die Besitzverhältnisse in der Landwirtschaft wurden grundlegend verändert und mit der folgenden Zwangskollektivierung veränderte die SED-Diktatur die soziale Struktur in den landwirtschaftlich geprägten Regionen. Beides wirkt bis heute in Sachsen wie den anderen ostdeutschen Bundesländern nach. Trotz dieses fundamentalen strukturellen Wandels wurden Millionen von „Umsiedler“ genannten Flüchtlingen und Vertriebenen in der SBZ/DDR erfolgreich integriert. Im Falle Neudorfs war dies mit einer Dorfneugründung verbunden, was innerhalb des dicht besiedelten Sachsen ein einzigartiger Vorgang gewesen ist.
Schließlich sind die Neudorfer Baracken auch bedeutende Zeugnisse der Architekturgeschichte des Holzbarackenbaus. Sie werden bereits in der Dauerausstellung des Konrad-Wachsmann-Haus in Niesky als Beispiele für die militärische Nutzung präsentiert. Die Firma Christoph & Unmack in Niesky war bis zum Zweiten Weltkrieg weltweit eine der bekanntesten Hersteller und Konstrukteure von mobilen Baracken bestehend aus Holzfertigbauteilen. Die Konstruktion des ursprünglich für den Reichsarbeitsdienst vorgesehenen in Zeithain verwendeten Barackentyps stammte aus dem in Niesky ansässigen Konstruktionsbüro FOKORAD (Forschungs- und Konstruktionsgemeinschaft der Reichsleitung des Reichsarbeitsdienstes und der deutschen Holzbau-Konvention). Mehr als 400 verschiedene Barackentypen wurden entwickelt, von denen einige für unterschiedliche Zwecke u. a. auch im Kriegsgefangenenlager Zeithain 1941-1945 und errichtet worden waren.
Kontakt:
Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain
Gedenkstättenleiter
Jens Nagel
Tel. 03525 760392
jens.nagel@stsg.smwk.sachsen.de
Fax 03525 510469
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