Italienische Angehörige besuchen die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain zum Jahrestag der deutschen Besatzung Italiens
09.09.21
Am 8. September 1943 wurde der Waffenstillstand Italiens mit den Westalliierten bekannt gegeben. Der sogenannte Stahlpakt zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien war beendet.
Bereits am 10. Juli 1943 landeten die ersten angloamerikanischen Truppen auf Sizilien, am 25. Juli wurde der faschistische Führer Benito Mussolini gestürzt und inhaftiert. Nach geheimen Verhandlungen erkannte die vom italienischen König Viktor Emanuell III. neu eingesetzte Regierung die militärische Niederlage gegenüber den Alliierten an. Italien, der bis dahin engste Verbündete Deutschlands wurde nun zum Gegner, dem mit Unerbittlichkeit und Rachsucht begegnet wurde. Die noch nicht von den Westalliierten befreiten Gebiete Mittel- und Norditaliens waren von da ab militärisch von Deutschen besetzt. Einheiten der Wehrmacht und SS begannen im Rahmen des sogenannten Fall Achse, mit der Entwaffnung der italienischen Streitkräften. Von den rund 3,7 Millionen italienischen Soldaten deportierte die Wehrmacht mehr als 600.000 in das Deutsche Reich, um sie als dringend benötigte Zwangsarbeitskräfte in der deutschen Kriegswirtschaft einsetzen zu können. Auf Befehl Hitlers verweigerte die Wehrmacht den italienischen Soldaten die Behandlung entsprechend der Genfer Konventionen zur Behandlung von Kriegsgefangenen. Ähnlich wie zuvor bei den sowjetischen Kriegsgefangenen 1941 wurden Sonderbefehle erlassen. Die italienischen Gefangenen wurden als "Italienische Militärinternierte" (IMI) bezeichnet. Die Sonderbefehle schufen in der Folgezeit für die IMI in den Kriegsgefangenenlagern und den dazugehörigen Arbeitskommandos der Wehrmacht Lebensbedingungen, die ihr Überleben massiv gefährdete.
Mehrere Tausend kranke und verwundete IMI kamen mitsamt dem medizinischen Pflegepersonal ab September 1943 in das Kriegsgefangenenlager Zeithain. Es handelte sich hierbei um Personal und Insassen italienischer Armeelazarette, die zuvor in Südosteuropa stationiert waren. Sie bezogen 78 ehemals mit sowjetischen Gefangenen belegte Baracken und richteten ein eigenes Lazarett ein. Die meisten von ihnen kamen nach ihrer Genesung in andere Lager bzw. Arbeitskommandos. Der unmittelbar am Lagergelände liegende Bahnhof Jacobsthal war auch Ankunftsort zehntausender gesunder IMI, die im nur wenige Kilometer entfernt gelegenen Stalag IV B Mühlberg registriert wurden.
Am 8. September 2021, genau 78 Jahre nach der Kapitulation Italiens besuchten Angehörige des italienischen Kriegsgefangenen Cesare Furlanetto die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain. Drei seiner Kinder: zwei Söhne, eine Tochter und ein Enkelsohn von Cesare Furlanetto bereisen derzeit die Stationen seiner Gefangenschaft in Sachsen. Der Enkel, Stefano Furlanetto hat in diesem Jahr das Tagebuch seines Großvaters in einer editierten Fassung in Italien veröffentlicht.
Ob Cesare Furlanetto in Zeithain war, ist ungewiss. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde er jedoch bei seiner Ankunft am Bahnhof in Jacobsthal entladen und marschierte von dort in das Stalag IV B. Zuvor war er bereits in anderen Lagern gewesen. Die der Gedenkstätte vorliegendem Dokumente geben leider keine Auskunft darüber, wann, wie lange und wo genau er sich aufgehalten hat. Ermittelbar ist seine Versetzung in ein Arbeitskommando bei den Erla-Werken, ein Hersteller des Jagdflugzeugs Messerschmitt Me 109, in Taucha bei Leipzig. Dort arbeitete er bis zur Befreiung durch die Einheiten der US-Armee im April 1945.
Cesare Furlanetto sprach nie mit seinen Kindern über die Zeit der Gefangenschaft. Erst nach seinem Tod 1995 entdeckten sie das Tagebuch, dass er vom ersten Tag seiner Gefangennahme auf Kreta bis zum Tag seiner Rückkehr nach Italien am Brennerpass geführt hatte. Es ist ein eindrucksvolles Zeitdokument, das nachdrücklich veranschaulicht, wie sich die von Rache geleitete Sonderbehandlung der IMI auf ihre Lebensbedingungen ausgewirkt haben. Cesare Furlanetto überlebte. Bei seiner Rückkehr in seine Heimat in Venetien wog er noch 50 Kilogramm.
Nach dem Auffinden des Tagebuchs begannen seine Kinder und schließlich auch der Enkel Stefano sich in dem Verband der ehemaligen IMI, der Assoziane Nazionale Ex-Internati (A.N.E.I.) zu engagieren.
Kontakt:
Nora Manukjan (Ausstellungsbetreuung, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit)
nora.manukjan@stsg.de
Tel.: 03525 510472