Heute vor 80 Jahren: Die Italienischen Militärinternierten werden aus der Kriegsgefangenschaft entlassen
29.08.24
Hunderttausende von italienischen Soldaten wurden von der Wehrmacht nach der Kapitulation Italiens am 8. September 1943 gefangengenommen und mussten als sogenannte Italienische Militärinternierte (IMI) Zwangsarbeit im Deutschen Reich leisten.
Obwohl eigentlich Kriegsgefangene und daher mit den in der Genfer Konvention verbrieften Rechten versehen, wurden die circa 700.000 italienischen Soldaten von der deutschen Regierung zu „Italienischen Militärinternierten“ (IMI) erklärt und verloren in den Kriegsgefangenenlagern der Wehrmacht sowie während der darauf folgenden Zwangsarbeit jeglichen rechtlichen Schutz und Unterstützung durch das Internationale Rote Kreuz.
Fast alle der für die Wirtschaft im heutigen Sachsen bestimmten IMI trafen am Bahnhof Jacobsthal, heute ein Ortsteil der Gemeinde Zeithain, ein. Von dort wurden die Kranken und das medizinische Personal in das Kriegsgefangenenlager Zeithain aufgenommen, während die gesunden und arbeitsfähigen Gefangenen per Fußmarsch in das nur wenige Kilometer entfernt gelegene Stalag IV B Mühlberg kamen. Dort wurden sie registriert, und es erfolgte schließlich die Verteilung der Gefangenen auf Arbeitskommandos.
Der 27-jährige Soldat Michele Riggi war am 9. September 1943 in Griechenland von der Wehrmacht gefangengenommen und in das Stalag IV B Mühlberg gebracht worden. Von dort wurde er im Juni 1944 nach Leipzig gebracht, wo er Zwangsarbeit bei der Firma Rud. Sack leisten musste.
In der Zwangsarbeit waren die IMI einer harten Leistungsernährung ausgesetzt, welche fehlende Arbeitskraft gnadenlos bestrafte, und wurden gegen internationales Recht besonders oft in kriegswichtigen Bereichen wie der Rüstungsindustrie und dem Bergbau als Zwangsarbeiter eingesetzt. Die Schaffung dieses Sonderstatus des „Militärinternierten“ war in ihrer Konsequenz nichts anderes als eine verschärfte, nicht völkerrechtskonforme Kriegsgefangenschaft und eine Bestrafung der „verräterischen Italiener“, welche auf Adolf Hitlers direkten Befehl geschah. Der Alltag der IMI in der Zwangsarbeit war von einem Teufelskreis harter Arbeit, Hunger und Krankheit gezeichnet. Konnten Gefangene aufgrund von Krankheit weniger arbeiten, so erhielten sie weniger Nahrung und wurden wiederum schwächer. Dies führte zum Ausbruch von Seuchen, welche aufgrund fehlender medizinischer Versorgung schnell tödlich werden konnten. Tausende IMI verstarben aufgrund der Folgen von Hunger, Arbeit und Krankheit, oft an der von den Gefangenen gefürchteten Tuberkulose.
Michele Riggi wurde als Hilfsarbeiter in der firmeneigenen Schmiede beschäftigt. Die Landmaschinenfabrik von Rudolph Sack auf dem heutigen „Jahrtausendfeld“ an der Karl-Heine-Straße stellte ab Ende der 1930er-Jahre vor allem Maschinengewehr-Wagen, Kabeltrommeln, Grabenpflüge und Hülsen für Bomben und Granaten her. Ab 1941 beschäftigte die Firma ausländische zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene und errichtete mindestens 13 Lager zu deren Unterbringung. Die Zahl der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter stieg bis Kriegsende auf über 3.000. Ihre durchschnittliche Wochenarbeitszeit betrug 68 Stunden.
Ein wichtiger Einschnitt während der Gefangenschaft war der Übergang der Gefangenen vom Militärinternierten in den Status von zivilen Zwangsarbeitern. Dieser erfolgte vom 25. Juli bis zum 31. August 1944 und betraf einen Großteil der IMI in der Zwangsarbeit.
Der Statuswechsel der IMI wurde sowohl von Mussolini als auch von deutscher Seite befürwortet. Ersterer hatte die Hoffnung auf ihre Freilassung für eine neue italienische Armee aufgegeben und hoffte durch eine Normalisierung ihres Status zumindes eine Verbesserung des politischen Ansehens der Republik von Salò erreichen zu können. Letztere hofften durch flexiblere Verwendung und bessere Versorgung die Produktivität zu steigern und Personal bei der Überwachung einsparen zu können. Zudem hatte man eingesehen, dass die Leistungsernährung in den zurückliegenden Monaten katastrophale Auswirkungen auf die Arbeitskraft der IMI gehabt hatte.
Dieser Übergang in den Zivilstatus führte zunächst zu besseren Lebensbedingungen: Es gab weniger Kontrollen durch die Bewacher und eine freiere Bewegung der Militärinternierten auch außerhalb der Lager. Dies, zusammen mit der einsetzenden Bezahlung in Reichsmark, ermöglichte einen Zugang zum Schwarzmarkt, welcher für viele Internierte überlebenswichtig wurde. Nicht zuletzt lebten sie nun in firmeneigenen Gemeinschaftslagern, die nicht mehr der Wehrmacht unterstanden.
Trotz dieser erwartbaren Verbesserungen prostierten viele IMI gegen den Wechsel in den Zivilstatus. Sie befürchteten durch den Wechsel nach ihrer Rückkehr in den Verdacht der Kollaboration mit den Deutschen zugeraten. Als zivile Zwangsarbeiter mussten sie außerdem davon ausgehen, dem Zugriff von Polizei und Gestapo ausgesetzt zu sein. Zudem hielten sie Misstrauen und Feindschaft gegenüber den Deutschen zunächst zurück, ihre Entlassung zu unterschreiben.
Michele Riggi zog mit den anderen 89 Italienern Anfang September 1944 in das Lager „Wetterecke“ (heute befindet sich dort ein Supermarkt auf der Karl-Heine-Straße) um. In den monatlichen Berichten des Lagerführers kommt zum Ausdruck, wie katastrophal die Bedingungen dort waren: „Die ehemaligen Internierten sind in einem ganz schlechten Zustand […] ins Zivil übernommen worden“, schrieb er im Oktober 1944. Vor allem mangelte es an Kleidung, und die regelmäßigen Belehrungen, dass Wildern, Schlingenlegen und Schleichhandel verboten seien, deuten auf eine unzureichende Lebensmittelversorgung hin.
Nach der Befreiung im April 1945 kehre Michele Riggi nach Sizilien zurück, wo ihn seine Familie schon für tot geglaubt hatte. Mit seinen Brüdern arbeitete er zunächst in der Landwirtschaft, bis er eine Arbeitsstelle in den sizilianischen Schwefelbergwerken annahm. Dort arbeitete er bis zu seiner Pensionierung in den 1970ern. 2016 wurde er mit der Ehrenmedaille der italienischen Republik ausgezeichnet.
Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit in Leipzig und die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain erinnern heute mit dem Beispiel der Biografie von Michele Riggi an das Schicksal der Italienischen Militärinternierten und den erzwungenen Statuswechsel vor 80 Jahren.
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