Geboren im Kriegsgefangenenlager Zeithain
01.09.23
Das Schicksal der polnischen 712 Soldatinnen, die neben den Soldaten im Kriegsgefangenenlager Zeithain lebten, wird bislang noch wenig thematisiert. In dem polnischen Film „Matki i córki“ („Mütter und Töchter“) wird das Schicksal von sechs Frauen – drei Müttern und ihren Töchtern – aufgearbeitet.
Der Film erzählt die Geschichte von drei Müttern, die ihre Töchter in den Lagerbaracken zur Welt bringen mussten, „einem Ort, den man sich kaum als Wiege des Lebens vorstellen kann“, wie es am Ende des Films heißt.
Anna Schiller von Schildenfeld erzählt die Geschichte stellvertretend für ihre Mutter, die bereits in jungen Jahren an Krebs verstarb. Sie war Jüdin und wurde 1940, als Warschau in einen deutschen, einen polnischen und einen jüdischen Bereich eingeteilt wurde, in das jüdische Ghetto gesperrt. Dieses war mit einer Mauer abgeriegelt. Als ihre Familie deportiert worden und nur sie übrig geblieben war, beschloss sie, aus dem Ghetto zu fliehen, was ihr mit Hilfe einer Untergrundorganisation gelang. Sie lebte unter falscher Identität außerhalb des Ghettos, arbeitete in einem Süßwarengeschäft und beteiligte sich als Sanitäterin am Warschauer Aufstand.
Zofia Janczewska, die Mutter von Magda, und Boguslawa Markoswka, die Mutter von Małgorzata, waren ebenfalls am Warschauer Aufstand beteiligt.
Als dieser am 2. Oktober 1944 niedergeschlagen wurde und Polen kapitulierte, wurden die Polinnen und Polen in Kriegsgefangenenlager verbracht. Auch Annas, Magdas und Małgorzatas Mütter waren darunter. Den Frauen wurde versichert, dass für sie die Rechte der Genfer Konventionen gelten. Tatsächlich waren die Bedingungen für polnische Gefangene besser als die, für die Sowjetischen. Dennoch reichten die Nahrungsrationen vor allem für schwangere Frauen nicht aus und in den Baracken war es für Säuglinge viel zu kalt. Zofia und Boguslawa erzählen, wie sie sich geholfen haben: Zofia hat mit einer Mitgefangenen nachts Kohlen aus dem deutschen Magazin gestohlen, so konnten die Baracken geheizt und die Kinder gebadet werden. Außerdem ließ sie Magda im Lager von einer anderen stillenden Frau stillen, da sie selbst so schwach war, dass sie ihre Tochter wahrscheinlich nicht hätte durchbringen können. Boguslawa Markowska erzählt, dass sie als schwangere Frau das Privileg hatte, Speisereste aus den Behältnissen zu kratzen. Zudem hatte sie Kontakt zu einer Mitgefangenen, die eine sehr gute Händlerin war und eine wertvolle Uhr von Boguslawa in einen Sack Zwiebeln eintauschte. Diese Zwiebeln, sagt Boguslawa, haben ihr die Gesundheit gerettet. Das Überleben ihrer winzigen, nur zwei Kilogramm schweren Tochter grenzte für sie immer an ein Wunder.
Małgorzata besuchte die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain. Der Besuch veränderte ihren Blick auf das, was ihre Mutter durchgestanden haben muss, nachhaltig. Anna Schiller war einmal in zu Besuch in Weimar und wusste, dass es von dort nicht sehr weit nach Zeithain ist. Dennoch besuchte sie den Ort ihrer Geburt damals nicht. Später zog es sie aber doch einmal nach Zeithain.
Die Eltern der drei Töchter kannten einander nicht. Wie sie erfahren haben, dass sie im selben Kriegsgefangenenlager geboren sind, wissen sie nicht mehr. Aber sie pflegen heute eine ganz besondere Freundschaft und empfinden für ihre Mütter tiefe Dankbarkeit und tiefen Respekt.
Kontakt
Nora Manukjan (Ausstellungsbetreuung, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit)
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