Die ukrainische Fahne als Zeichen der Solidarität im Ehrenhain Zeithain – ein Jahr russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine
27.02.23
Vergangenen Sonntag, den 26. Februar 2023 jährte sich der Tag, an dem im Ehrenhain Zeithain die Fahne der Ukraine aufgezogen worden ist. Vielfach zeigen sich Besucherinnen und Besucher darüber irritiert oder äußern sich dezidiert ablehnend. Die ukrainische Fahne würde einer Vereinnahmung der vielfältigen Opfer des Kriegsgefangenenlagers Zeithain für die Ukraine gleichkommen. Dem ist aber nicht so. Die Gedenkstätte beteiligt sich an dieser bundesweiten Solidaritätsaktion von Kultureinrichtungen mit der ukrainischen Fahne als Zeichen der Solidarität mit den Opfern des russischen Angriffskrieges.
Seit ihrer Wiedereröffnung am 23. April 1999 sind die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain und die dazugehörigen Friedhöfe internationale Orte des Gedenkens, der Bildung und der Begegnung, um an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges gegen die ehemalige Sowjetunion zu erinnern. Zwischen 25.000 und 30.000 Soldaten der Roten Armee – Armenier, Aserbaidschaner, Belarussen, Georgier, Kasachen, Kirgisen, Moldawier, Russen, Tadschiken, Turkmenen, Polen, Ukrainer, Usbeken sowie Angehörige vieler weiterer Völker der ehemaligen Sowjetunion – wurden in Zeithain Opfer einer verbrecherischen Kriegführung der Wehrmacht. Das im Zweiten Weltkrieg geltende Kriegsvölkerrecht und die darauf fußenden eigenen Dienstvorschriften zur Behandlung von Kriegsgefangenen setzte die Wehrmacht im Fall der Rotarmisten vorsätzlich außer Kraft. Seit einem Jahr müssen wir erleben, dass u.a. auch der humanitäre Schutz von Kriegsgefangenen durch das Völkerrecht im aktuellen Krieg in vielfacher Form verletzt wird.
Seit mehr als 20 Jahren kommen Angehörige der Opfer aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu Besuchen und offiziellen Gedenkfeiern in die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain. Selbst nach der völkerrechtlichen Annexion der Krim durch die Russische Föderation 2014 nahmen bis 2021 an den jährlichen Gedenkfeiern anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Kriegsgefangenenlagers Zeithain durch die Rote Armee russische und ukrainische Diplomatinnen und Diplomaten teil.
Trotz aller Spannungen interpretierten wir diese Besuche und Teilnahmen als Zeichen eines Konsenses, dass es in Europa trotz vielfältiger Konflikte zwischen den postsowjetischen Staaten keine Angriffskriege mehr geben würde. Seit dem russischen Angriff am 24.02.2022 auf die Ukraine sind die Verschiebung staatlicher Grenzen und die Annexion eroberter Territorien souveräner Staaten wieder Realität in Europa. Während wir in Zeithain wie an vielen anderen Orten immer noch die Namen der Opfer des Deutsch-Sowjetischen Krieges suchen, entstehen durch den von Präsident Wladimir Putin befohlenen Angriff der russischen Streitkräfte zehntausende neue Kriegstote – Soldaten und Zivilisten.
Dieser Krieg ist ein imperialer Expansionskrieg, ein Krieg gegen die Demokratie unter vorsätzlicher Verletzung des Völkerrechts. Jetzt sind die russischen Streitkräfte der Aggressor und jeder Offizier, jeder Unteroffizier und jeder Soldat der dabei mitwirkt, wird sich in Zukunft fragen lassen müssen, warum eindeutig völkerrechtswidrige Befehle zur Entfesselung eines Angriffskrieges und damit verbundener Kriegsverbrechen befolgt wurden.
Die Auseinandersetzung mit der Verantwortung von Soldaten spielt in der Bildungsarbeit der Gedenkstätte in Bezug auf die Mannschaftsdienstgrade, Unteroffiziere und Offiziere der Wehrmacht, die bei der Kriegsgefangenenbewachung und –verwaltung eingesetzt waren, eine zentrale Rolle. Welche Handlungsspielräume hatten sie und wie wurden sie genutzt? Wer trug an welcher Position in der militärischen Hierarchie Verantwortung für das Massensterben sowjetischer Kriegsgefangener?
Die vielen Angehörigen der Verstorbenen, die die Gedenkstätte bis zum Ausbruch der Pandemie besucht haben, vielfach Kinder die die Gräber ihrer Väter erstmals besuchten, die sie nie kennengelernt haben, sind lebendige Mahnung, welches Leid Krieg mit sich bringt. Selbstverständlich stehen wir weiterhin allen Angehörigen aus allen Herkunftsstaaten für Auskünfte und Recherchen uneingeschränkt zur Verfügung.
Unsere uneingeschränkte Solidarität gilt den Menschen der Ukraine und als bescheidenes Zeichen wird die ukrainische Fahne im Ehrenhain Zeithain bis zum Ende der Kampfhandlungen weiterhin aufgezogen bleiben. Damit ist nicht die Umdeutung der Opfer des Kriegsgefangenenlagers Zeithain beabsichtigt, denn die Vielfältigkeit der Herkunft der Opfer betonen wir in der Bildungsarbeit tagtäglich. Bei der Gedenkfeier anlässlich des Jahrestages der Befreiung am 23. April 2023 werden wie immer die Fahnen aller Herkunftsstaaten der Opfer des Kriegsgefangenenlagers Zeithain gezeigt werden.
Kontakt:
Jens Nagel (Gedenkstättenleiter)
Tel: 03525 760392
jens.nagel@stsg.de