Aufsehenerregender Fund – bisher unbekannte Fotos aus dem Kriegsgefangenenlager Zeithain in Leipzig entdeckt
25.01.21
Seit 1996 gedenkt Deutschland jedes Jahr am 27. Januar offiziell der Opfer des Nationalsozialismus. Vor 76 Jahren befreiten sowjetische Soldaten das Vernichtungslager Auschwitz. Hier ermordeten die Nationalsozialisten zwischen 1940 und 1945 mehr als eine Million Menschen. Die ersten Vergasungsexperimente fanden in Auschwitz im Spätsommer 1941 statt. Rund 600 sowjetische Kriegsgefangene wurden dabei mit dem Giftgas „Zyklon B“ getötet. Der mörderische und menschenverachtende Umgang des NS-Regimes mit Kriegsgefangenen der Roten Armee wird auch in einer bisher unentdeckten Fotoserie deutlich, die Ende des letzten Jahres im Archiv des VVN-BdA Leipzig e. V. (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) entdeckt wurde.
Im Herbst 2020 fanden Vereinsmitglieder des Leipziger Stadtverbandes VVN-BdA bei der Neuordnung ihres Archives einen bisher unbeachteten Briefumschlag mit über 70 historischen Fotos aus dem Kriegsgefangenenlager Zeithain. Neben den Abzügen enthielt der Umschlag einen Artikel der Leipziger Volkszeitung vom 25. Juni 1946 mit der Überschrift „Der Totenwald in Zeithain“ sowie zwei Plakate mit Bildern aus dem Kriegsgefangenenlager. Vorstandsmitglied Daniela Schmohl informierte die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain, die die Vermutung, dass es sich um Aufnahmen aus dem Kriegsgefangenenlager Zeithain handelt, bestätigte.
Für die Forschungs- und Dokumentationsarbeit der Gedenkstätte sind die Aufnahmen wichtig und aufschlussreich. Viele der bisher unbekannten Fotos zeigen Alltagssituationen aus dem Lager wie Zwangsarbeit, die primitiven sanitären Einrichtungen und das Gedränge der hungernden Gefangenen an der Essensausgabe. Zum traurigen Alltag im Lager gehörte das Sterben. So machen die Abbildungen von Toten, Verhungerten und Sterbenden einen Teil des Fundes aus. Auffallend ist, wie ausgezehrt und abgemagert die Menschen waren. Ebenfalls dokumentiert wird die Vollstreckung von Strafen; das sogenannte „Pfahlhängen“ und eine Hinrichtung durch Erhängen. Noch nicht im Fotoarchiv der Gedenkstätte ist eine Aufnahme des sogenannten Sonderpferches, ein provisorisches Gefängnis unter freiem Himmel, das zur Verbüßung von Strafen genutzt wurde. Neue Informationen für die Forschungsarbeit bietet zudem eine kleine Serie von sieben Fotos, die die Ankunft von Frauen im Oktober 1941 zeigen, die im Sanitätsdienst der Roten Armee dienten.
Eine Provenienzangabe oder eine Korrespondenz des Vereins VVN-BdA zur Frage, wie die Fotos ins Archiv gelangten, fehlt bisher. Unstrittig ist, dass die Fotos von Wachsoldaten aufgenommen wurden. Mutmaßlich wurden die Aufnahmen im Rahmen der 1946 begonnen und von der SMAD (Sowjetische Militäradministration) initiierten Ermittlungen zu den Kriegsverbrechen in Zeithain bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmt. Die Frage, wie die Fotos dann von der sächsischen Polizei zur erst 1947 gegründeten VVN-BdA gelangten, gilt es nun zusammen mit dem Leipziger Stadtverband zu klären.
Die mit aufgetauchten Plakate zeigen, dass die Fotografien auch für die kommunistische Propaganda genutzt wurden. Die schockierenden, die Opfer entwürdigenden Bilder der in Zeithain begangenen NS-Verbrechen wurden instrumentalisiert, um in der sächsischen Bevölkerung um Zustimmung für das „Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes“ zu werben. In der ersten direktdemokratischen Entscheidung in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stimmten die Sachsen am 30. Juni 1946 per Volksentscheid der entschädigungslosen Enteignung von Großgrundbesitzern, Kriegsverbrechern und aktiven Nationalsozialisten zu.
Nachdem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte im Januar alle Fotos und Plakate sichten konnten, wird nun die offizielle Übergabe an das Archiv der Gedenkstätte angestrebt.
Der Leiter der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain, Jens Nagel fasst die Bedeutung der Fotografien zusammen: „Bald 80 Jahre nach Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion zeigen die aufgefundenen Erinnerungsfotos ehemaliger Wachsoldaten aus dem Kriegsgefangenenlager Zeithain erneut deren mitleidslosen Blick auf die sowjetischen Kriegsgefangenen und ihr Massensterben infolge von Hunger, Krankheiten und Gewalt mitten in Deutschland. Die Fotos verdeutlichen, dass diese Verbrechen kollektiv und visuell erinnert wurden und nicht nur fern der Heimat geschahen.“
Kontakt:
Nora Manukjan (Ausstellungsbetreuung, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit)
nora.manukjan@stsg.de
Tel.: 03525 510472