1945 | 2020 Kalenderblatt: Die Massenerschießung in Koselitz – Erinnerung an ein vergessenes Verbrechen
17.04.20
„Mein sehr lieber Jean, hier stehe ich, voller Rührung, zum ersten Mal in Koselitz, wo am 17. April 1945 Du mit Deinen unglücklichen Kameraden ermordet wurdest, nachdem Du so viele schreckliche und unmenschliche Prüfungen durchstehen musstest [...].“ Mit diesen Worten begann Jaques Berthillier am 6. Juni 2015 seine bewegende Rede in Koselitz am Grab seines Halbbruders Jean Bloch. Er war zum ersten Mal nach sieben Jahrzehnten der Suche an den Ort gekommen, wo sein Halbbruder ermordet und in einem Massengrab bestattet worden war.
Anlass des Besuches Jaques Berthilliers war die Einweihung des Grabsteines zur Erinnerung an die aus Frankreich stammenden Juden Jean Bloch und Leon Halaunbrenner. Jean und Leon waren zum Zeitpunkt ihrer Ermordung 15 Jahre alt und hatten nach ihrer Deportation die Konzentrationslager Auschwitz, Mauthausen und Gusen durchlaufen, bevor sie im März 1945 in das im September 1944 im Stahlwerk Gröditz eingerichtete Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg verbracht wurden.
Die KZ-Häftlinge produzierten in dem zum Flick-Montankonzern gehörenden Stahlwerk Gröditz Flugabwehrgeschütze für die Kriegsmarine. Die hygienischen Bedingungen ihrer Unterbringung sowie die Ernährung waren schlecht, sodass Infektionskrankheiten sich ausbreiteten, insbesondere Typhus. Mehrere Dutzend Häftlinge starben. Bewacht von SS-Männern und Soldaten der Kriegsmarine durchliefen mehr als 1 000 Häftlinge das Außenlager Gröditz bis zu dessen Auflösung.
Diese erfolgte, nachdem die Rote Armee im April 1945 an der Neiße bei Spremberg die Front der Wehrmacht durchbrach. Beamte der Gestapo aus Dresden führten daraufhin am 16. April 1945 eine Selektion der Häftlinge durch, die über deren Leben und Tod entschied. Die Transportfähigen – etwa 500 – wurden am Folgetag über Radebeul in Richtung des Konzentrationslagers Theresienstadt in Marsch gesetzt. Die Kranken und Schwachen wurden früh morgens am 17. April auf LKW des Stahlwerks zu einer Kiesgrube im nahegelegen Dorf Koselitz transportiert, wo neben Jean und Leon 184 weitere Häftlinge durch ihre Bewacher erschossen und anschließend an Ort und Stelle verscharrt wurden.
Diese Einzelmordaktionen zählen auf sächsischem Boden zu den größten während des Zweiten Weltkrieges. Nur wenige Tage später, am 22./23. April erreichten Einheiten der Roten Armee die Region. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Koselitz und Gröditz waren zu diesem Zeitpunkt größtenteils geflohen.
Kontakt:
Nora Manukjan (Ausstellungsbetreuung, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit)
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