Januar 2016
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
so, wie das alte Jahr geendet hat, so geht es offensichtlich im nun schon nicht mehr ganz neuen Jahr weiter. Uns erreichen Nachrichten zu Ereignissen, die für die unmittelbar Betroffenen oftmals großes Leid bedeuten, aber in den meisten Fällen mit der Verletzung ihrer Menschenwürde verbunden sind. Da war der Terroranschlag in Istanbul mit mehrheitlich deutschen Opfern. Da waren die Übergriffe gegen Frauen vor dem Kölner Dom, die die Öffentlichkeit auch zwei Wochen später nicht weniger intensiv beschäftigen. Da häuft sich extremistische Gewalt verschiedener Couleur auch auf unseren Straßen, die konsequentes Handeln des Rechtsstaates erfordern – zum Schutz der Menschenwürde.
Auch bei unseren französischen Nachbarn ist das nicht anders. Nach mehreren Angriffen gegen Juden und deren Einrichtungen – zuletzt am vergangenen Montag in Marseille gegen einen jüdischen Lehrer – wird debattiert, ob es für Juden nicht sicherer wäre, öffentlich keine Kippa zu tragen. Schon seit dem Angriff auf das jüdische Einkaufszentrum „Hyper Cacher“ in Paris im vergangenen Jahr ist die Zahl der Juden, die nach Israel ausgereist sind, drastisch auf über 25.000 gestiegen. Dazu äußerte der ehemalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy anlässlich der Preisverleihung der Konferenz Europäischer Rabbiner (CER) in London: „Wir haben nicht Krieg gegen die Nazis geführt, damit 70 Jahre später die Juden aus unserem Land fliehen.“
Doch auch in Deutschland müssen jüdische Einrichtungen durch die Polizei beschützt werden. Auch auf unseren Straßen wird unverhohlen gegen Juden und Israel gehetzt und jüdische Mitbürger, die durch das Tragen ihrer Kippa erkennbar sind, erfahren körperliche Angriffe. Aberwitzig wird die öffentliche Debatte, wenn der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, davor warnen musste, dass mit den Flüchtlingen viele Menschen aus Ländern zu uns kommen, in denen die Erziehung zum Hass gegen Juden und Israel zur Staatsräson gehört, und dafür der „Panikmache“ bezichtigt und in die rechte Ecke gestellt wird. Eine solche Aussage einem Ort im politischen Spektrum zuzuordnen, löst die Probleme nicht. Entscheidend ist doch, ob sie wahr ist und welche Konsequenzen für das politische Handeln daraus zu ziehen sind.
In diesem Monat findet – wie in jedem Jahr am 27. Januar – der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus statt. An diesem Tag wird die ehemalige Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Dr. Charlotte Knobloch, im Sächsischen Landtag sprechen. Die Überlebende der Schoah ist für ihre deutliche Aussprache bekannt, und das ist auch gut so. Nur reicht es eben nicht, dass über den wachsenden Antisemitismus gesprochen wird. Ebenso wenig reicht es, Fachbücher über die dunkelsten Kapitel der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts zu lesen und die für sachlich richtig zu halten. Entscheidend ist, die Feinde der offenen Gesellschaft, die sich einen Dreck um die Unantastbarkeit der Würde ihrer Mitmenschen scheren, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln in die Schranken zu weisen – egal, woher sie kommen! Wenn es unserer staatlichen Gewalt nicht wirklich gelingt, die Würde der Menschen in unserem Land zu schützen, dann haben wir vergeblich aus der Geschichte gelernt! Dann wäre auch alle Gedenk- und Erinnerungsarbeit vergeblich…
Lothar Klein
Inhalt |
Neues aus der Arbeit der Stiftung und ihrer Gedenkstätten
01.01. | NEUER MITARBEITER DER DOKUMENTATIONSSTELLE HAT AUSKUNFTSTÄTIGKEIT AUFGENOMMEN
Valerian Welm (30)
Herr Welm ist im russischen Orsk (Orenburg) geboren. Als er 17 Jahre alt war, ist seine schwarzmeerdeutsche Familie mit ihm nach Deutschland übergesiedelt. Der Geschichts- und Kulturwissenschaftler (MA) mit Fachrichtung Osteuropäische Geschichte und Slawische Sprachen und Kulturen wird für ein Jahr das Team der Dokumentationsstelle der Stiftung verstärken. Sein Aufgabengebiet umfasst die Auskunftstätigkeit zum Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener in deutscher Kriegsgefangenschaft. Wir heißen Herrn Welm in unserem Team herzlich willkommen und freuen uns auf die Zusammenarbeit!
15.12. | Band 23 der „Lebenszeugnisse – Leidenswege“ mit „ERINNERUNGEN EINES ITALIENISCHEN MILITÄRINTERNIERTEN“ veröffentlicht
Gemeinsam mit dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden hat die Stiftung Sächsische Gedenkstätten die Dokumentation „Erinnerungen eines italienischen Militärinternierten“ veröffentlicht. Der Band 23 der Schriftenreihe „Lebenszeugnisse – Leidenswege“ beleuchtet das bislang in Deutschland wenig bekannte Schicksal von über 600.000 Kriegsgefangenen aus dem einst mit dem nationalsozialistischen Deutschen Reich verbündeten Italien. Angesichts von Millionen Opfern anderer Staaten werden diese jedoch leicht aus dem Fokus der Öffentlichkeit verdrängt.
> Mehr04.01. | Sachbeschädigung und versuchter Einbruch in der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain
In der Nacht vom 26. auf den 27. Dezember 2015 randalierten Unbekannte auf dem Gelände des Ehrenhains. Die Täter versuchten, in die dort befindliche ehemalige Gefangenenbaracke einzudringen. Dabei wurden Fensterläden beschädigt und mehrere Sitzgelegenheiten zerstört. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von mehreren Hundert Euro. Die Gefangenenbaracke ist heute Teil der ständigen Ausstellung. Die Gedenkstätte erstattete bei der Riesaer Polizei Anzeige gegen Unbekannt.
> MehrNeues aus weiteren zeitgeschichtlichen Orten in Sachsen
29.12. | Sächsisches Sozialministerium fördert Großschweidnitzer Opferdatenbank
Die Gedenkstätte Großschweidnitz e.V. hat im Dezember 2015 mit der namentlichen Erfassung aller zwischen 1939 und 1945 in der ehemaligen Landesanstalt Großschweidnitz verstorbenen bzw. ermordeten Psychiatriepatienten begonnen. Bis Ende 2016 sollen alle der über 5.700 Patienten, deren Namen und Biografien bislang größtenteils unbekannt sind, in einer Datenbank erfasst sein. In Kooperation mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten/Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein werden dazu die im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden verwahrten Patientenakten von Historikern ausgewertet. Möglich wurde die Umsetzung dieses für die Gedenkstätte zentralen Vorhabens durch die Förderung des Sächsischen Ministeriums für Soziales und Verbraucherschutz im Rahmen der Ausschreibung „Projekte zur Erinnerungskultur für den Ersten und Zweiten Weltkrieg als Teil der historischpolitischen Bildung im Freistaat Sachsen“.
> Mehr15.12. | Initiativgruppe GJWH Torgau e.V. gibt jährlichen Newsletter heraus
Jedes Jahr im Dezember wird die Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau e.V. künftig einen Newsletter herausgeben. Er wird über die jährliche Arbeit der Gedenkstätte informieren, einen Rückblick auf Höhepunkte und Projekte sowie einen Ausblick auf Veranstaltungen im kommenden Jahr geben. Die Erstausgabe wurde Mitte Dezember 2015 versendet.
Kontakt und Bestellung:
Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau e.V.
Fischerdörfchen 15, 04860 Torgau
Telefon: 03421 714203, Fax: 03421 776641
Ansprechpartnerin: Manuela Rummel, Mitarbeiterin Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit
E-Mail: m.rummel@jugendwerkhof-torgau.de
Rückblick
28.11. | „Das war kein Dummejungenstreich“
Unbekannte hatten die Gedenktafeln sowjetischer Soldaten beschossen – nicht der einzige Anschlag auf die Gedenkstätten-Stiftung.
> Mehr07.01. | Wie Unbegreifliches greifbar wird
5700 Psychiatriepatienten sind in der ehemaligen Landesanstalt in der Zeit des Nationalsozialismus verstorben oder wurden ermordet. Im Gedenken an die Opfer und zur Erinnerung an deren Schicksal wird nun die Geschichte der ehemaligen Landesanstalt Großschweidnitz aufgearbeitet.
> Mehr13.01. | "Aktivisten der Freiheit" schaffen es in die Schule
Die Geschichte einiger junger Männer aus der Region, die als "Aktivisten der Freiheit" ihre Zivilcourage und den Mut, ihre Meinung zu äußern, mit dem Leben bezahlten, ergänzt jetzt die Materialiensammlung "Von der Verfolgung zum Widerstand". Fünf aus der mehr als 20-köpfigen Gruppe waren im März 1952 in Moskau erschossen worden. Die Anklage lautete damals auf Spionage und antisowjetische Hetze. Zwölf andere Mitglieder wurden zu hohen Freiheitsstrafen in Gulags verurteilt.
> Mehr27.11. | Mutige Männer gewürdigt
An ein düsteres Kapitel DDR-Geschichte erinnert ab sofort eine Bronzetafel am Steinpleiser Feuerwehrgerätehaus.
> MehrVorschau
20.01. | Polnische Juden in Sachsen 1871-1938
Zu den Besonderheiten der jüdischen Bevölkerung in Sachsen im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gehört ein hoher Anteil ausländischer Staatsangehöriger resultierend aus der Einwanderung von jüdischen Menschen aus den ab 1918 zur Zweiten Polnischen Republik gehörenden Territorien. Dieses Kapitel jüdisch-sächsischer Geschichte in Sachsen endete abrupt im Oktober 1938. Im Zuge einer reichsweiten Deportation wurden die meisten dieser Menschen am 28. des Monats über die polnische Grenze abgeschoben.
> Mehr22.01. | THEATERAUFFÜHRUNG: „Krieg – Stell Dir vor, er wäre hier“
Das Theaterstück der dänischen Schriftstellerin Janne Teller handelt von einem deutschen Jugendlichen, der einen Krieg in Europa mit all seinen grausamen Begleitumständen erlebt und dem dann eine teure und illegale Flucht nach Ägypten gelingt.
> Mehr26.01. | Sonderausstellung: Ordnung und Vernichtung. Polizei im NS-Staat
Das Stadtmuseum Riesa und die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain präsentieren gemeinsam die Sonderausstellung "Ordnung und Vernichtung. Polizei im NS-Staat". Die Ausstellung thematisiert die Rolle der deutschen Polizei im nationalsozialistischen Terrorregime als ein zentrales Herrschaftsinstrument. Von seinen Anfängen bis zu seinem Untergang konnte es sich auf die Polizei stützen. Die Ausstellung zeigt, dass nicht nur die Gestapo, sondern auch die Kriminalpolizei und die uniformierte Polizei die politischen und weltanschaulichen Gegner des NS-Staats verfolgten – zunächst im Innern des Deutschen Reiches und ab Kriegsbeginn 1939 auch in den von der Wehrmacht eroberten Gebieten.
> Mehr27.01. | Gedenkfeier der Landeshauptstadt Dresden zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus
Programm der Gedenkfeier:
- Begrüßung durch den Vorsitzenden des Fördervereins Münchner-Platz-Komitee e.V., Wolfgang Howald
- Grußwort des Direktors des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der TU Dresden, Herrn Prof. Dr. Günther Heydemann in Vertretung des Rektors
- Ansprache des Ersten Bürgermeisters der Landeshauptstadt Dresden, Herrn Detlef Sittel
- Gedenken, Niederlegen von Kränzen/Blumengebinden
- Es singt der Dresdner Synagogenchor unter der Leitung von Ursula Philipp-Drescher.
31.01. | Öffentliche Führung durch die Ausstellung "Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat"
Der sächsische Weg. Die Polizei im NS-Staat und ihr Aufbau nach 1945 in Sachsen.
Der Rundgang wird von Polizeihauptkommisar Wolfgang Schütze, Polizeihistorische Sammlung Sachsen, angeboten.
02.02. | Auf einmal gehörten wir nicht mehr dazu: Eine jüdische Kindheit und Jugend in Dresden
Zeitzeugengespräch mit der gebürtigen Dresdnerin und Holocaust-Überlebenden Henny Brenner
Grußwort: Oberbürgermeisterin a.D. Helma Orosz
In den Jahren vor 1933 war das jüdische Leben in Dresden fest verankert. Beispielsweise zählte die Israelitische Religionsgemeinschaft um 1900 etwa 5400 Mitglieder. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, der Zerstörung der Dresdner Synagoge und der Deportation der jüdischen Bevölkerung verschwand es fast vollständig aus dem Stadtbild.
Henny Brenner, gebürtige Dresdnerin und Tochter einer Jüdin und eines Protestanten, ist eine der letzten Zeitzeugen, die die Verfolgung durch die Nationalsozialisten in Dresden überlebte.
27.01. | Buchvorstellung: Nationalsozialistische Zwangssterilisationen in Sachsen
Die Publikation zeichnet die Struktur und Praxis der Zwangssterilisationen in Sachsen nach und untersucht, welche Konsequenzen die Verfolgung und Entrechtung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und geistigen Behinderungen für die Betroffenen hatte.
> MehrZitat des Monats
„Ein weiser Mann wird von Vernunft geleitet, Menschen mit weniger Verständnis durch Erfahrung, die Ignorantesten durch Notwendigkeit und die Tiere durch die Natur.“
Marcus Tullius Cicero (106 - 43 v. Chr.), römischer Staatsmann und Philosoph
Impressum
Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Dülferstraße 1
01069 Dresden
Redaktion: Dr. Julia Spohr
pressestelle@stsg.smwk.sachsen.de
www.stsg.de
Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten erschließt, bewahrt und gestaltet historische Orte im Freistaat Sachsen, die an die Opfer politischer Verfolgung sowie an Opposition und Widerstand während der nationalsozialistischen Diktatur oder der kommunistischen Diktatur in der SBZ/DDR erinnern.
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