Dr. Willy Katz (1878–1947)
Dr. Willy Katz war ein in Dresden praktizierender jüdischer Arzt und Sportmediziner. Seine Eltern waren Max Katz und Elfriede Katz, geb. Friedländer. Sein Bruder war der Jurist Dr. jur. Ludwig Katz, seine Schwester war Hansi Sachsel. Nach seinem Medizinstudium in Berlin und Wien, seiner nachfolgenden Militärdienstzeit sowie der ihm 1906 erteilten Approbation zum Dr. med. absolvierte er seine Assistenzzeit an der Ohrenklinik seines Onkels Prof. Dr. med. Ludwig Katz in Berlin. Danach trat er eine Oberarztstelle am Sanatorium für Magen- und Darmkrankheiten in Homburg, später am Nervensanatorium in Wiesbaden an und war für fünf Jahre Assistent an der Chirurgischen Klinik in Mainz. 1905 wurde Willy Katz Offizier der Reserve, erlangte im selben Jahr in Berlin die ärztliche Approbation und war ab 1907 neun Monate Schiffsarzt der Hamburg-Südamerika-Linie. 1909 ließ er sich als praktischer Arzt in Dresden nieder.
Während des Ersten Weltkrieges diente Katz als Stabsarzt der Reserve und blieb auch nach dem Krieg der deutschen Militärtradition in Form von Mitgliedschaften in mehreren militärischen Organisationen, verbunden. Er wurde mit dem „Eisernen Kreuz“ (EK) I und II ausgezeichnet und erhielt das Verwundetenabzeichen. Nach seiner Zeit als Offizier im ersten Weltkrieg bezog der Arzt die erste Etage des Hauses Borsbergstraße 3. Später richtete er seine Praxis in der ersten Etage des Hauses Borsbergstraße 14 ein und galt als fähiger Mediziner, zu dem die Menschen Vertrauen hatten. Am 07.10.1918 heiratete er die Berliner Jüdin Elsa Cäcilie Brann (1891-1940), mit der er einen Sohn namens Helmut hatte, der am 28.06.1919 geboren und 1939 vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach England emigriert ist. Da Cäcilie sehr bald schwerer psychisch erkrankte, wurde die Ehe nach zwei Jahren für nichtig erklärt. Sie kam am 24.01.1924 unter ihrem Geburtsnamen Cäcilie Brann zur Behandlung in die Landesheil- und Pflegeanstalt Arnsdorf. Am 15.03.1940 wurde sie von dort in die Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz überführt. Mit weiteren 90 Patienten wurde Cäcilie am 12.07.1940 mit der Diagnose Schizophrenie in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein transportiert und am selben Tag in der Gaskammer ermordet.
Bis 1933 wirkte Dr. Katz in der Sportärztlichen Vereinigung als ehrenamtlicher Schriftführer und Berater und war als Sportarzt bei der Deutschen Turnerschaft tätig. Am 30.10.1933 heiratete er seine langjährige Lebensgefährtin und Ziehmutter seines Sohnes, Helene Preißler, geb. Emte.
Aufgrund seiner Kriegsverdienste blieb er zunächst von besonders drastischen Folgen der Gesetzgebung gegen jüdische Ärzte – dem Entzug der Kassenzulassung entsprechend der Verordnung des Reichsarbeitsministeriums vom 22. April 1933 – verschont. Doch hatten sich nachfolgend auch andere Krankenfürsorgeträger und die Privatkrankenversicherungen dem Boykott „nichtarischer“ Ärzte angeschlossen. Von 1933 bis 1938 durfte er, im Gegensatz zu vielen anderen, als jüdischer Arzt aufgrund seiner Kriegsverdienste weiter praktizieren. Zum 30. September 1938 wurde Willy Katz wie allen jüdischen Ärzten die Approbation entzogen. Er musste zunächst seine Praxis schließen sowie seine langjährige und treu ergebene Sprechstundenhilfe entlassen. Im selben Jahr, im Zusammenhang mit den Ereignissen der so genannten „Reichskristallnacht“, wurde er gleich zweimal von den Nationalsozialisten interniert.
Mit Rundschreiben Nr. 6 der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschland, Bezirksstelle Groß-Dresden, wurde Willy Katz im Juli 1939 als jüdischer Arzt für die Behandlung der – vorrangig in Rüstungsbetrieben – zur Zwangsarbeit verpflichteten Juden benannt und spätestens zu diesem Zeitpunkt als einziger jüdischer „Krankenbehandler“ für Dresden zugelassen. Daher durfte er seine Praxis in der Borsbergstraße 14, nun im Erdgeschoss des noch heute stehenden Eckhauses an der Borsberg-/Ecke Krenkelstraße, behalten. Damit nahm Willy Katz als Leiter der Jüdischen Gesundheitsstelle, die unter strenger Kontrolle der Gestapo stand, seine ärztliche Tätigkeit wieder auf. Es begannen Jahre überaus verschleißender, seelisch und körperlich zermürbender und aufreibender Arbeit. Denn neben der ambulanten Behandlung der jüdischen Pflichtversicherten wurde er auch zur schulärztlichen Betreuung der Jüdischen Schule in der Zeughausstraße 1 verpflichtet, war er verantwortlich für die hygienische Überwachung der über 30 „Judenhäuser“ in Dresden, war er ärztlicher Betreuer des bis 1942 bestehenden Altersheimes Henriettenstift der jüdischen Gemeinde in der Eliasstraße 24 sowie Lagerarzt des von November 1942 bis März 1943 bestehenden „Judenlagers“ am Hellerberg. In diesem Lager waren jüdische Zwangsarbeiter für die Rüstungsproduktion der Zeiss-Ikon A.G. untergebracht worden, die im Goehle-Werk in der Riesaer Straße arbeiten mussten. In einem Film über die Zusammenlegung der letzten Dresdner Juden am 23. und 24. November 1942 in diesem Lager ist u.a. zu sehen, wie Dr. Katz die Betroffenen nach einem entwürdigenden Verfahren der „Entlausung“ in der Städtischen Entseuchungsanstalt Fabrikstraße 5 ärztlich untersuchen musste. Die Baracken, ehemals als Lagerräume errichtet, waren primitivste, nicht heizbare und kahle Massenquartiere mit eng zusammengestellten Betten und feuchten Bettsäcken, ungeheizten Waschräumen und primitiven Aborten. Bitten von Katz zur Gewährleistung zumindest elementarer Gesundheits- und Hygienemaßnahmen an das Gesundheitsamt oder auch an die Gestapo wurden in der Regel als „unnötig“ abgewiesen. Da ihnen die Benutzung der Straßenbahn verboten war, mussten die Kranken, sofern sie gehfähig waren, dessen etwa zehn Kilometer entfernte Praxis zu Fuß aufsuchen. Trotz der schlechten sanitären und hygienischen Bedingungen gelang es Dr. Katz, den Ausbruch von Seuchen im Lager zu verhindern.
Gemäß Befehl Hitlers zur Deportation der reichsdeutschen Juden vom September 1941 begann auch für die jüdischen Mitbürger Sachsens die so genannte „Endlösung der Judenfrage“, die in die systematische Ermordung von 6 Millionen europäischen Juden mündete. Die Depor¬tation der meisten Dresdner Juden in das Ghetto von Riga erfolgte am 21. Januar 1942. Nur wenige überlebten den Terror. In der Nacht vom 3. zum 4. März 1943 wurden alle Insassen des Lagers Hellerberg in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert und in den meisten Fällen sofort ermordet. Einige hundert andere wurden in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Katz oblag die schmerzliche Pflicht, die Betroffenen auf „Gehfähigkeit“ zu untersuchen und sie auch selbst auf der Fahrt zu begleiten. Zwischen 1942 und 1944 erfolgten mindestens zehn dieser Transporte von Dresden nach Theresienstadt. Diese Tage waren für ihn besonders schwer und von erheblicher psychischer Belastung. Dazu kam seine Angst, selbst mit interniert zu werden und nicht mehr nach Dresden zurückzukehren. Darüber hinaus war Katz als Jude ohnehin der wachsenden Diskriminierung, Rechtlosigkeit und Isolation im gesamten öffentlichen Leben ausgesetzt.
Bei seinen aufreibenden Arbeitsaufgaben unterlag Katz massiven Restriktionen der Gestapo, die ihm für die Versorgung oder gar Rettung der Dresdner Juden nur wenig Spielraum ließen. Dennoch bemühte er sich um die bestmögliche Betreuung seiner Patienten. Jedoch konnte er Verbesserungen der katastrophalen hygienischen Zustände in den Judenhäusern und im „Judenlager“ am Hellerberg nur zum Teil erreichen, doch gelang es ihm, einige Menschen vor der Deportation zu bewahren. Allerdings stand er wegen seiner Tätigkeit, zu der er von der Gestapo gezwungen wurde, zwischen den Fronten und hatte unter den noch in Dresden verbliebenen Juden nicht gerade den besten Leumund. Sehr selten schrieb er jemanden arbeitsunfähig, sicher auch um einen Patienten vor dem Abtransport und dem damit verbundenen sicheren Tod zu bewahren.
Der Romanistikprofessor Victor Klemperer, der nach anfänglichem Zögern sehr eng mit Dr. Katz befreundet war, bemerkte in seinen Tagebüchern: „Dr. Katz, manchmal ‚Herr Doktor‘, manchmal ‚Katz‘ angeredet, gestern das erste Mal geduzt, darf nur dann einen Krankenbesuch machen, wenn Lebensgefahr vorliegt. – Katz hat offenbar eine sehr schwere Stellung zwischen überwachender Gestapo und Judenschaft: ‚Die Leute sehen in mir in erster Linie den Juden, dann erst, ganz zuletzt, den Arzt.‘"
Dr. Willy Katz überlebte den Holocaust. Seine Praxis überstand auch die Bombardierung am 13. Februar 1945. Nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus wurde das Gebäude Borsbergstraße 14 zur ersten so genannten Poliklinik. Katz wurde leitender Arzt dieser Einrichtung. Mehr als 100 Patienten kamen täglich in seine Sprechstunde, die damit eine der gefragtesten dieser Zeit in Dresden war. Privat zog er mit seiner Ehefrau Helene in eine Wohnung in der einstigen noch intakten Villa der südlichen Krenkelstraße. Von der neuen Landesregierung Sachsens wurde er zum Vertrauensarzt für den damaligen Verwaltungsbezirk Dresden-Striesen und Blasewitz benannt. 1946 nominierte ihn die LPD als Stadtverordneten-Kandidaten und Stadtrat für die Leitung des Städtischen Gesundheitsamtes.
Jedoch war Dr. Katz schon im Winter 1945 an einer schweren Lungen- und Rippenfellentzündung erkrankt und konnte sich bei bereits vorliegendem Herzmuskelschaden und einer chronischen Tuberkulose sowie wegen der extremen körperlichen und seelischen Strapazen während der Arbeitsjahre unter der NS-Diktatur nicht mehr erholen. Am 13. Januar 1947 verstarb der Mediziner, der auch als Gesundheitsminister der ersten Nachkriegsregierung Sachsens im Gespräch war. Er wurde unter großer Anteilnahme von über 200 Freunden, Kollegen und Patienten mit einer eindrucksvollen Trauerfeier zur letzten Ruhe gebettet. Professor Victor Klemperer hielt an seinem Grab auf dem Tolkewitzer Friedhof die Abschiedsrede, in der er sagte: „Es war eine fürchterliche Arbeit, denn hinter ihm stand immer wieder die teuflische Gestapo und ihr musste er die Opfer wahrlich aus den Händen, aus den Krallen reißen. Um jeden einzelnen Patienten musste er ringen. Dabei wurde er trotz seines vorbildlichen Mühens um die armen, verzweifelten Menschen, für die er sorgte und für die er sein Möglichstes tat, oft gar noch verdächtigt und beschuldigt, nicht alles getan zu haben, was er hätte tun können. Er hat dabei oft genug sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt. Ich werde ihm das für Zeit und Ewigkeit niemals vergessen.“
2011 entdeckte der Hobby-Historiker und Ordinariatsrat Christoph Pötzsch auf dem Urnenhain des Tolkewitzer Friedhofs den verwitterten Gedenkstein für Dr. Katz. Er initiierte zusammen mit dem Dresdner Landtagsabgeordneten Martin Modschiedler eine Spendenaktion für die Wiederherstellung der verwitterten Inschrift, an der sich auch Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler beteiligte. Am 8. Oktober 2011 konnte der restaurierte Gedenkstein enthüllt werden. Ärztliche Instrumente und Fachbücher von Dr. Katz, jüdische Kennkarten, Davidsterne und Deportationslisten sind im United States Holocaust Memorial Museum in Washington ausgestellt.
Zur Person
Nachname: | Katz |
Vorname: | Willy |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 17.12.1878 |
Geburtsort: | Brieg bei Breslau |
Sterbedatum: | 13.01.1947 |
Sterbeort: | Dresden |
Letzter frei gewählter Wohnort: | Dresden, Lipsiusstraße (früher Teil der Krenkelstraße) |
Begräbnisstätte: | Urnenhain auf dem Tolkewitzer Friedhof in Dresden |
Ergänzungen
Quelle(n)/ Literatur |
Buch der Erinnerung. Juden in Dresden deportiert, ermordet, verschollen. 1933–1945. Hg. v. d. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dresden e.V., Arbeitskreis Gedenkbuch, Dresden 2006. S. 182. Heidel, Caris-Petra: Ärzte und Medizin im Nationalsozialismus, in: Ärzteblatt Sachsen 4/2005 S. 171-172. Heidel, Caris-Petra: Der Arzt und Sportmediziner Willy Katz, Ärzteblatt Sachsen 11/2013, S. 473-476 Angaben zu Cäcilie Katz geb. Brann: Opferdatenbank der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein |
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