Elfriede Lohse-Wächtler (1899–1940)
Elfriede Lohse-Wächtler gehört zu den 14 751 Menschen, die in den Jahren 1940/1941 in der „Euthanasie“-Anstalt Pirna-Sonnenstein von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Sie gilt heute als eine der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nachdem ihr Schicksal und ihr Werk lange Zeit vergessen waren, setzte seit den 1980er Jahren ihre Wiederentdeckung ein. Mit mehreren großen Ausstellungen wurde Elfriede Lohse-Wächtler im folgenden Jahrzehnt auch wieder einer großen Öffentlichkeit bekannt. Im Laufe ihres kurzen Lebens durchlief sie verschiedene Stationen und entwickelte ein noch immer beeindruckendes künstlerisches Schaffen.
Geboren wurde Elfriede Lohse-Wächtler am 4. Dezember 1899 in Dresden. Das kleinbürgerliche Elternhaus, besonders der Vater, war mit der Kreativität und Exzentrik der Tochter überfordert und versuchte zu verhindern, dass Elfriede Lohse-Wächtler Malerin wurde. Trotz der Widerstände studierte sie an der Kunstgewerbeschule in Dresden. Ihr künstlerisches Schaffen wurde in ihren frühen Jahren durch ihre Verbindung zur „Dresdner Sezession 1919“ um Otto Dix, Conrad Felixmüller und Pol Cassel geprägt.
1921 heiratete sie den Opernsänger Kurt Lohse, einen Freund Otto Dix´, und zog mit ihm 1925 nach Hamburg, wo sie Mitglied in dem von Ida Dehmel gegründeten „Bund Hamburger Künstlerinnen“ wurde. Ehekrisen und finanzielle Schwierigkeiten bestimmten ihren Alltag in der Hansestadt. 1926 kam es zur Trennung. Danach lebte Elfriede Lohse-Wächtler unter ärmlichen Bedingungen, bis sie einen Nervenzusammenbruch erlitt und in die Staatskrankenanstalt Hamburg-Friedrichsberg eingewiesen wurde. Dort schuf sie die Porträt-Reihe der „Friedrichsberger Köpfe“, die eindrucksvoll im Stil der „Neuen Sachlichkeit“ das Leben und den Alltag einer psychiatrischen Klinik festhielten. Die Blätter wurden 1929 in erfolgreichen Ausstellungsbeteiligungen und Einzelausstellungen von der Kunstkritik enthusiastisch gefeiert und machten Elfriede Lohse-Wächtler zu einer lokal berühmten, aber weiterhin armen Künstlerin. Zu Beginn der 1930er Jahre hatte Elfriede Lohse-Wächtler zunehmend psychische Probleme und entschloss sich, zu ihren Eltern nach Dresden zurückzukehren.
Hier brachen bald wieder alte familiäre Konflikte auf und ihr Befinden verschlimmerte sich so sehr, dass sie 1932 in psychiatrische Behandlung im Dresdner Stadtkrankenhaus in der Löbtauer Straße kam. Von dort aus wurde sie nach kurzer Zeit in die große Landesanstalt Arnsdorf verlegt. In der Heil- und Pflegeanstalt diagnostizierten die Ärzte bei Elfriede Lohse-Wächtler Schizophrenie. Ihrer Freiheit beraubt und in ihrer Kreativität beschnitten, drängte sie die Ärzte wiederholt auf Entlassung. „Ich werde durch die Notwendigkeit des dicht aneinander gepfercht seins mit ewig schwatzenden Weibern zur Verzweiflung getrieben […]“, schrieb sie aus Arnsdorf an ihre Mutter. Trotzdem fand sie die Kraft, sich künstlerisch mit ihrer Situation auseinanderzusetzen und hielt das Leben in Arnsdorf und der Umgebung in zahlreichen Zeichnungen und Bildern fest.
Mit der Diagnose Schizophrenie fiel Elfriede Lohse-Wächtler unter das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. 1935, im Jahr der Scheidung von ihrem Mann, wurde ein Sterilisationsverfahren gegen sie eröffnet. Ihre Eltern, ihr Bruder Hubert aber auch sie selbst wehrten sich hartnäckig gegen die Sterilisation. In ihrer Verzweiflung wandten sich die Eltern sogar an den sächsischen Gauleiter Martin Mutschmann - ohne Erfolg. Um Druck auszuüben, verbot die Arnsdorfer Direktion den Eltern sogar die Besuche ihrer Tochter. Trotz aller Bemühungen wurde Elfriede Lohse-Wächtler am 20. Dezember 1935 im Stadtkrankenhaus Dresden-Friedrichstadt zwangsweise sterilisiert. An ihren Bruder schrieb sie: „Ich bei der Frieda gewesen. op.[Operation, d. Verf.] 20.12.35 traurig.“ Für die Künstlerin war die Unfruchtbarmachung ein schwerer Schlag und tiefer Eingriff in ihre Persönlichkeit. Sie resignierte zunehmend, suchte kaum noch Kontakt zu ihren Angehörigen und stellte – seelisch gebrochen – auch jede künstlerische Arbeit ein.
Auch in den folgenden Jahren sollte sich ihr Zustand nicht mehr ändern. Die Eltern unterhielten weiterhin regelmäßig Kontakt zu ihr, aber auch sie konnten sie seelisch nicht mehr aufbauen. Sie verlor zunehmend ihren Antrieb zur Arbeit. Infolge dessen erhielt sie seit 1939 nur noch eine, aus Sparsamkeitsgründen in den sächsischen Landesanstalten eingeführte, „Sonderkost“. Dabei handelte es sich um eine fleischfreie, kalorienarme Breikost, die arbeitsunfhähige Patienten erhielten und kaum noch den Hunger der Patienten stillen konnte. Vor allem war diese Mangelkost extrem billig.
Als arbeitsunfähige und chronisch kranke Patientin fiel sie in das Raster der 1940 einsetzenden zentralen Krankenmorde, der so genannten "Aktion T4". Sie erlebte, wie mehrere hundert Menschen aus anderen psychiatrischen Anstalten nach Arnsdorf verlegt wurden und die ohnehin vorhandene Enge in der Anstalt noch drängender wurde. Arnsdorf war im Sommer 1940 zur Zwischenastalt für die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein geworden. Am 31. Juli erfolgte der vierte Transport von Patienten aus Arnsdorf nach Pirna. Unter den 33 Männern und 53 Frauen befand sich auch Elfriede Lohse-Wächtler. Vermutlich noch am selben Tag wurde sie dort in der Gaskammer mit Kohlenmonoxidgas ermordet.
Zur Person
Nachname: | Lohse-Wächtler |
Vorname: | Elfriede |
Geburtsname: | Wächtler |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 04.12.1899 |
Geburtsort: | Dresden (Löbtau) |
Sterbedatum: | 31.07.1940 |
Sterbeort: | Pirna-Sonnenstein |
Letzter frei gewählter Wohnort: | Dresden |
Begräbnisstätte: | unbekannt |
Orte/Stationen der Verfolgung/Haft |
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Ergänzungen
Quelle(n)/ Literatur |
Boris Böhm, „Ich allein weiß, wer ich bin“. Elfriede Lohse-Wächtler (1899–1940). Ein biografisches Porträt, Pirna 2003. Boris Böhm: Elfriede Lohse-Wächtler. 1899–1940. Eine Biografie in Bildern, Dresden 2009. Regine Sondermann, Kunst ohne Kompromiss. Die Malerin Elfriede Lohse-Wächtler. 1899–1940, Berlin 2008. Dirk Blübaum, Rainer Stamm, Ursula Zeller (Hrsg.), Elfriede Lohse-Wächtler. 1899–1940, Tübingen/Berlin 2008. Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft (Hrsg.): „… das oft aufsteigende Gefühl des Verlassenseins“. Arbeiten der Malerin Elfriede Lohse-Wächtler in den Psychiatrien Hamburg-Friedrichsberg (1929) und Arnsdorf (1932–1940), Dresden 2000.
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