Vor 80 Jahren – Die Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein wird aufgelöst
08.10.19
Vor 80 Jahren, am 9. Oktober 1939 brach die Tradition des Pirna-Sonnensteins mit der offiziellen Auflösung der Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein durch das Sächsische Innenministerium ab. Seit 1811 befand sich auf dem Sonnenstein eine Anstalt für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Als erste ihrer Art in Deutschland hatte sie vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung der Psychiatrie.
Bereits Anfang August 1939 hatte der Leiter der Anstalt Sonnenstein, Paul Nitsche, ein Treffen aller Anstaltsdirektoren in Sachsen einberufen: Es sollte besprochen werden, welche Maßnahmen die Anstalten im Kriegsfall ergreifen sollten. Die Direktoren rechneten damit, dass wie im Ersten Weltkrieg Patienten auf engerem Raum untergebracht werden müssten, da größere Teile der Einrichtungen als Lazarette genutzt würden. Nitsche sprach sich in diesem Zusammenhang für eine verstärkte Gabe von Beruhigungsmitteln aus, „[…] um die Umgebung vor den Ausschreitungen von Kranken zu schützen.“ Das Risiko einer erhöhten Sterblichkeit der in vielen Fällen ohnehin schon geschwächten Menschen nahm er bewusst in Kauf.
Noch im August 1939, also noch vor Kriegsbeginn, wurden 200 männliche Patienten in die Landesanstalt Arnsdorf bei Dresden verlegt. Neun Gebäude auf dem Pirnaer Sonnenstein standen daraufhin der Wehrmacht als Lazarett zur Verfügung. Bis Jahresende 1939 wurden die über 500 verbliebenen Patienten in die Anstalten Arnsdorf, Hochweitzschen und Leipzig-Dösen verlegt.
Tatsächlich nutzte die Wehrmacht nur einen Teil der Gebäude. Der Pirnaer Anzeiger vermeldete am 14. November 1939, dass „die Gebäude anderen noch zu bestimmenden Zwecken zur Verfügung gestellt werden.“ Ab Januar 1940 diente der größte Teil des Sonnensteins als Lager für Volksdeutsche Umsiedler, die „Heim ins Reich“ geholt wurden. Nach ihrer rassischen Begutachtung in Pirna sollten sie im besetzten Polen auf zuvor enteigneten Bauernhöfen angesiedelt werden und diese Gebiete „germanisieren“.
In einem Teil der Gebäude wurde im Frühjahr 1940 eine Tötungsanstalt eingerichtet. Ab dem 28. Juni 1940 wurden in einer Gaskammer im Keller des Gebäudes C16 Menschen mit psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen systematisch ermordet. Bis zum Abbruch der zentralen Krankenmorde am 24. August 1941 starben dort 14 751 Menschen, davon 1 000 KZ-Häftlinge. Offiziell starben sie in der „Heil-und Pflegeanstalt Sonnenstein“. Unter den Getöteten waren mindestens 121 Patienten, die bis zur Auflösung am 9. Oktober 1939 tatsächlich in Pirna-Sonnenstein gelebt hatten.
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Hagen Markwardt (Wissenschaftliche Dokumentation, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit)
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