Rückblick: Kontroverse Prozesse. Die juristische Verfolgung von NS-Justiz- und Euthanasieverbrechen in Dresden 1947
08.07.22
Am 5. Juli 2022 erinnerte die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein zusammen mit dem Amtsgericht Pirna an den Dresdner Juristenprozess sowie an den Dresdner „Euthanasie“-Prozess vor 75 Jahren.Beim Juristenprozess waren vier Richter und zwei Staatsanwälte angeklagt, die im Nationalsozialismus hohe Zuchthausstrafen und Todesurteile gegen politisch Verfolgte herbeitgeführt hatten. Der heute fast vergessene Prozess blieb das größte Verfahren, in dem sich Juristen für ihre Rolle in der nationalsozialistischen Strafjustiz verantworten mussten. Der Historiker Stefan Jehne betonte in seinem Vortrag die Bedeutung der von John Ulrich Schroeder verfassten Anklageschrift. Diese setzte sich mit dem Problem auseinander, wie die Anwendung von im Nationalsozialismus geltendem Recht bestraft werden konnte. Schroeder vertrat die Auffasssung, dass das nationalsozialistische Recht gegen die „übergeordnete Sittlichkeit“ verstoßen hatte und damit keine Gültigkeit besaß.
Der Leiter der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, Boris Böhm gab im Folgenden einen Überblick zum Dresdner „Euthanasie“-Prozess. Mit 15 Angeklagten war es das größte ostdeutsche Verfahren gegen Beteiligte der nationalsozialisitischen Krankenmorde. In seinem Urteil kennzeichnete das Gericht die Krankenmorde deutlich als ein spezifisch nationalsozialistisches Verbrechen. Es widersprach damit Auslegungen der „Euthanasie“ als Sterbehilfe oder Erlösung vermeintlich leidender Menschen. Noch immer sind die in den Ermittlungen zusammengetragenen Erkenntnisse unverzichtbar für die historische Forschung zu den „Euthanasie“-Verbrechen in Sachsen.
Die sich anschließende Diskussion fragte vor allem nach der Bedeutung beider Prozesse für die Gegenwart. Der Direktor des Amtsgerichtes Pirna, Alexander Klerch, betonte, dass eine unabhängige Justiz Voraussetzung dafür ist, deren politischen Missbrauch zu verhindern.
Hagen Markwardt (Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, Öffentlichkeitsarbeit)
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