#Kalenderblatt: Vor 80 Jahren. Ermordung von 575 Auschwitzer KZ-Häftlingen in Pirna-Sonnenstein
29.07.21
Vor 80 Jahren, in der Nacht vom 28. zum 29. Juli 1941, verließ ein Sonderzug der Deutschen Reichsbahn mit 575, fast ausschließlich polnischen Häftlingen das Konzentrationslager Auschwitz. Ziel war die gut 450 Kilometer entfernte NS-Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. Nach ihrer Ankunft am Pirnaer Bahnhof wurden die Männer in Busse und LKWs verladen oder mussten zu Fuß auf den Sonnenstein laufen. Dort wurden sie in einer Gaskammer mit Kohlenmonoxid ermordet. Es handelte sich um den größten Einzeltransport in die Tötungsanstalt Sonnenstein.
Seit 1941 wurden arbeitsunfähige und chronisch kranke KZ-Häftlinge teilweise in den Tötungsanstalten der zentralen „Euthanasie“ ermordet. Sie hatten für die SS ihren Wert verloren, da sie nicht mehr durch Zwangsarbeit ausgebeutet werden konnten. Im internen SS-Schriftverkehr wurden die Morde mit dem Aktenzeichen „14f13“ versehen. Heute wird das Mordprogramm als „Aktion 14f13“ bezeichnet.
Vermutlich im Juni 1941 fuhren Horst Schumann, Leiter der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein und Robert Müller, Psychiater in der Landesheilanstalt Königslutter, nach Auschwitz, um dort Häftlinge zu selektieren. Vor Ort wurden sie vom Lagerarzt Max Popiersch und Lagerkommandanten Rudolf Höß begleitet. Bereits zuvor hatte das SS-Personal Listen von Erkrankten erstellt und das Gerücht verbreitet, es solle ein Transport in ein Sanatorium bei Dresden zusammengestellt werden. Tatsächlich gab es Häftlinge, die hofften, so der brutalen Behandlung in Auschwitz zu entkommen und sich freiwillig meldeten. Noch beim Verladen in den Zug bemühte sich die SS, das Gerücht glaubwürdig erscheinen zu lassen. Schon wenige Tage später wurde den verbliebenen Häftlingen klar, dass die Verlegung tatsächlich eine Mordaktion war. So mussten Funktionshäftlinge erfundene Todesdaten und -ursachen in das Sterbebuch eintragen, Kleidungsstücke kamen zurück und die SS-Mannschaften sprachen angetrunken teilweise offen über die Ermordung der 575 Männer. Der Häftling Felix Myłik erinnerte sich: „Es war, als ob ein Blitz durch die Dunkelheit fuhr und sie grell erleuchtete und mir plötzlich die entsetzliche Wahrheit zeigte. Diese Menschen waren umgebracht worden.“
Dem Mut einiger Häftlinge ist es zu verdanken, dass die genaue Transportgröße heute bekannt ist. Sie schmuggelten 1944 einen Kassiber aus dem Lager, der Angaben aus dem Stärkebuch von 1941 enthielt. Noch immer ist ein großer Teil der Opfer unbekannt. Zu den in Pirna Ermordeten gehörte auch Wojciech Kowalczyk. Nach der deutschen Besetzung Polens war er im Widerstand aktiv und wurde am 18. März 1941 von der Gestapo verhaftet. Drei Wochen später kam er in das KZ Auschwitz und schließlich nach Pirna-Sonnenstein. Seine Angehörigen erfuhren nichts über die wahren Todesumstände. Erst 1975 bekam sein Sohn Kazimierz dazu Auskunft von der Gedenkstätte Auschwitz. Noch heute besucht die Familie von Wojciech Kowalczyk regelmäßig die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, wo eine Tafel im Gedenkraum an ihn erinnert. 2005 stiftete die Regierung der Republik Polen eine Tafel zur Erinnerung an die Opfer des ersten systematischen Massenmordes von Auschwitzer KZ-Häftlingen.
Kontakt:
Hagen Markwardt (Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, Öffentlichkeitsarbeit)
Tel.: 03501 710963
hagen.markwardt@stsg.de