#Kalenderblatt – Freispruch für den Tötungsarzt Kurt Borm vor 50 Jahren
05.06.22
Vor 50 Jahren – am 6. Juni 1972 – sprach das Landgericht Frankfurt am Main den wegen Beihilfe zum Mord angeklagten Tötungsarzt Kurt Borm frei. 1940 begann er seine Tätigkeit in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein, wo er an der Ermordung tausender psychisch erkrankter und geistig behinderter Menschen beteiligt war.
Borm wurde 1909 als einziger Sohn eines Stadtamtsrates und Leiter eines Wohlfahrtsamtes in Berlin geboren. 1930 trat er in die NSDAP ein. Drei Jahre später folgte sein Beitritt in die SS. Nach 16 Semestern schloss er sein Medizinstudium 1937 in Berlin ab. Anschließend war er Arzt in der Waffen-SS.
Im November 1940 kam er zur Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. Borm berichtete, dass, nachdem ihm seine Tätigkeit erklärt worden war, er das Gefühl hatte, sich „positiv zu der Aktion einstellen zu können“. Bedenken seien ihm nicht gekommen. Nach eigener Aussage waren seine Aufgaben in Pirna die „Feststellung der Identität, der zur Euthanasie vorgeführten Kranken, das Heraussuchen einer angemessenen Diagnose als Todesursache und die ideologische Einwirkung auf das Anstaltspersonal.“ Dass er Ermordungen selber durchgeführt habe, bestritt er. Horst Schumann, Leiter der Tötungsanstalt, sagte dagegen aus, dass Borm „treu und redlich seine Pflicht tat“. Er sei praktisch Schumanns Vertreter während dessen Abwesenheit gewesen. Kurt Borm unterzeichnete die Todesmitteilungen an die Angehörigen mit den Tarnnamen „Dr. Storm“ und „Dr. Engel“.
Nach dem Abbruch der zentralen „Euthanasie“ im August 1941 wechselte Borm in die Zentraldienststelle der Krankenmordorganisation nach Berlin. 1943 erfolgte seine Beförderung, weil er sich „seit Durchführung der Aktion hervorragend bewährt hat“.
Nach Kriegsende arbeitete er in der Inneren Abteilung im Städtischen Krankenhaus im schleswig-holsteinischen Uetersen, zuletzt als Chefarzt. Dort war er ein „sehr geschätzter und beliebter Arzt“. Im Juni 1962 kam er für zwei Wochen in Untersuchungshaft. Anschließend ließ er sich als praktischer Arzt nieder.
Obwohl die Generalsstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main bereits 1965 eine Anklageschrift gegen Borm verfasst hatte, kam es erst im Dezember 1971 zu einem Verfahren gegen ihn.
Im Juni 1972 fiel das Urteil: Obwohl ihm Beihilfe zum Mord in mindestens 6 652 Fällen nachgewiesen werden konnte, sprach ihn das Gericht aufgrund eines „Verbotsirrtums“ frei. Er sei überzeugter Nationalsozialist gewesen und habe daher „nicht nachweisbar schuldhaft gehandelt“, da er während seiner Jugend kaum etwas anderes als „die Verherrlichung des nationalsozialistischen Gedankenguts“ kennengelernt habe. Außerdem soll er ein „unkomplizierter Typ“ gewesen sein, der über „ihm befohlenes oder angewiesenes Tun keine tiefschürfenden Überlegungen anstellt“. 1974 bestätigte der Bundesgerichtshof den Freispruch.
15 Künstler, Politiker und Schriftsteller, unter ihnen Günter Grass, Joseph Beuys und Heinrich Böll, kritisierten in einen Offenen Brief an den Bundespräsidenten Gustav Heinemann das Urteil scharf. Sie warfen dem Gericht vor, jene Gesinnung zu privilegieren, „gegen deren unbewältigtes Grauen diese Republik vor 25 Jahren geschaffen wurde.“
Nach dem Gerichtsverfahren blieb Kurt Borm praktischer Arzt in Uetersen. 2001 starb er. Kurt Borm bestritt, jemals selbst den Gashahn betätigt zu haben und scheint sich bis zum Lebensende keiner Schuld bewusst gewesen zu sein.
(verfasst von Sophia Glaner)
Hagen Markwardt (Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, Öffentlichkeitsarbeit)
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