Kalenderblatt: Gustav Boeters und die Debatte um Zwangssterilisationen vor 100 Jahren
26.07.23
Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde am 14. Juli 1933 beschlossen. Allerdings erfuhr die Öffentlichkeit erst am 26. Juli 1933 darüber. Das Gesetz ermöglichte die Zwangssterilisierung von Menschen, die als „erbkrank“ galten. Zwischen 1933 und 1945 wurden schätzungsweise 350 000 Menschen im Deutschen Reich durch einen Eingriff gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht. Bereits zehn Jahre zuvor sandte ein Bezirksarzt aus Zwickau, Gustav Boeters, eine Denkschrift mit einem Gesetzentwurf zur zwangsweisen Sterilisierung „Minderwertiger“ an die sächsische Staatsregierung.
Boeters wurde 1869 in Chemnitz geboren. Er studierte Medizin in Leipzig und war in der Burschenschaft „Arminia zu Leipzig“ aktiv. Zwischen 1903 und 1904 arbeitete er als Hilfsarzt in der Landes-Heil-und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein. Anschließend arbeitete er als Bezirksarzt in Leipzig, Döbeln und Marienberg und wurde 1922 Medizinalrat in Zwickau.
1921 führte er, in Zusammenarbeit mit dem Direktor des Staatlichen Krankenstifts Zwickau, Heinrich Braun, Sterilisationen bei drei Jungen und einem Mädchen durch. Zu dieser Zeit illegal.
In seiner Denkschrift „Lex Zwickau“ mit dem Gesetzentwurf zu Zwangssterilisationen, forderte er die Unfruchtbarmachung von blinden, gehörlosen und „blödsinnigen“ Kindern. Ebenfalls sollten Menschen mit Epilepsie und „Geisteskranke“, die in Anstalten untergebracht waren, vor ihrer Entlassung sterilisiert werden. Heiratswillige mit vermeintlichen Erbkrankheiten sollten erst zur Eheschließung zugelassen werden, wenn sie unfruchtbar gemacht worden seien. Dazu zählte er auch „Sittlichkeitsverbrecher“ sowie Frauen, die zwei oder mehr uneheliche Kinder ohne anerkannte Vaterschaft besäßen. Auf freiwilliger Basis könnten sich auch Verbrecher sterilisieren lassen, um im Gegenzug Teile der Strafe erlassen zu bekommen.
Boeters Denkschrift fand weite Verbreitung. So erschien beispielsweise im Januar 1924 im Ärztlichen Vereinsblatt für Deutschland sein „Aufruf an die Deutsche Ärzteschaft“. Seine Vorschläge lösten eine Debatte aus und trieben die Frage der Zulässigkeit von Zwangssterilisationen aus rassenhygienischen Gründen voran.
1925 gab Boeters zu, Sterilisationen in 63 Fällen „auf freiwilliger Basis“ veranlasst zu haben und zeigte sich selbst an. Konsequenzen gab es für ihn keine. Er behauptete „eifrige Anhänger“ seiner Ideen unter den Zwickauer Juristen hätten eine juristische Verfolgung verhindert. Bereits 1923 wurde Boeters aufgrund des Verdachts einer Geisteskrankheit, die sich auch in seiner eugenischen Propaganda zeigte, als Bezirksarzt der Amtshauptmannschaft Zwickau-Land entlassen. 1926 setzte er sich endgültig zur Ruhe.
Auch wenn das „Lex Zwickau“ nie rechtskräftig wurde, berief man sich in der Genese des Sterilisationsgesetzes zehn Jahre später zum Teil auf Gustav Boeters Vorschläge und Theorien. Er leistete im Deutschen Reich in den 1920er Jahren einen wesentlichen Beitrag zur fortschreitenden Diskriminierung und Ausgrenzung psychisch kranker und geistig behinderter Menschen.
(verasst von Felicia Adakh)
Hagen Markwardt (Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, Öffentlichkeitsarbeit)
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