Olivier Messiaen
Der französische Komponist, Kompositionslehrer und Organist Olivier Eugène Prosper Charles Messiaen wurde am 10. Dezember 1908 in einer literarisch geprägten Familie in Avignon geboren. Ab dem achten Lebensjahr sind erste ungewöhnliche musikalische Interessen nachzuweisen. Messiaen begann autodidaktisch Klavier zu spielen und nach Gefühl Kanons in der Oktave zu komponieren. Bald darauf erhielt er ersten Klavierunterricht. Relativ früh wurde er mit den Klavierwerken Ravels und Debussys vertraut, die beide später für seine eigene kompositorische Entwicklung wichtig wurden. Zu Weihnachten wünschte er sich Opernpartituren von Mozart, Gluck, Berlioz und Wagner. Früh zeigte sich mit dem katholischen Glauben eine weitere Leitlinie seines späteren Denkens und Schaffens.
Von 1919 bis 1930 studierte Messiaen am Conservatoire. (Das Pariser Conservatoire national supérieur de musique et de danse de Paris hat in der Entwicklung der französischen und westeuropäischen Musik eine zentrale Rolle gespielt. Es wurde 1795 gegründet und wird heute von über 1.200 Studenten besucht, die von 350 Lehrkräften in neun Départements unterrichtet werden.) Hier besuchte er mehrere Klassen und wurde stark geprägt durch den ganz eigenen Stil des Konservatoriums, der durch Traditionen und die Tätigkeit der Lehrer bestimmt wurde. Sein Harmonielehrer Jean Gallon legte den Grundstein für die Chromatik und die Fiorituren, die Messiaen später in seinen Werken reich zur Geltung brachte. Für seine Studien in Harmonielehre erhielt er 1924 einen zweiten Preis. Im Fugenstudium bei Georges Caussade war Messiaen erfolgreicher. Hier erhielt er 1926 einen ersten Preis in Kontrapunkt und Fuge. Bei seinem Lehrer für Klavierbegleitung, Cesar Abel Estyle, entwickelte Messiaen die Kunst des Improvisierens, wofür er 1927 wieder einen ersten Preis erhielt.
Aufgrund seiner Fähigkeiten im Improvisieren wurde Messiaen schließlich in die Orgelklasse von Marcel Dupré geschickt. Dieser Lehrer war für ihn von großer Bedeutung und so machte sich Messiaen dessen Virtuosität zu Eigen und entwickelte diese bis zur Vollkommenheit weiter. Hierfür wurde er 1929 mit einem doppelten ersten Preis in Orgelspiel und Orgelimprovisation belohnt. Ein weiterer wichtiger Lehrer Messiaens war Maurice Emmanuel, bei dem er Musikgeschichte studierte. Emmanuel beeinflusste Messiaen stark durch die Beschäftigung mit altgriechischer Musik und Metrik, sowie durch die Praxis des Harmonisierens von gregorianischen Melodien.
In der Kompositionsklasse von Paul Dukas, der für Messiaen ebenfalls von großer Bedeutung war, erhielt dieser 1930 seinen letzten ersten Preis, bevor er das Konservatorium mit einem zusätzlichen Diplom höherer musikalischer Studien verließ. Weitere Lehrer waren Noël Gallon, der Bruder von Jean Gallon, der Klavier, Harmonielehre, Fuge, Kontrapunkt und Orchestration unterrichtete, sowie Joseph Baggers, bei dem sich Messiaen als Schlagzeuger ausbildete. Während seiner Zeit am Conservatoire wurde Messiaen jedoch nicht nur musikalisch geformt. Seine Eltern förderten seine Freude am Theater, indem sie mit ihm in zahlreiche Aufführungen gingen. Außerdem wurde durch sie eine gute Allgemeinbildung angestrebt, was für Schüler des Conservatoires eher selten war.
1931 übernahm er die Organistenstelle an der Pariser Kirche La Trinité, die er 60 Jahre lang innehatte. Wenngleich die Hauptaufgabe Messiaens in der liturgischen Begleitung während der Messe bestand, so hatte er doch auch die Möglichkeit, eigene Improvisationen zu spielen. Zusammen mit André Jolivet, Yves Baudrier und Jean-Yves Daniel-Lesur gilt Messiaen als Gründer der Jeune France, eine Gruppe von Komponisten, die sich 1936 formierte. Im selben Jahr, 1936, begann Messiaen seine Lehrtätigkeit. Er unterrichtete Blattspiel am Klavier an der École Normale de Musique de Paris und Orgelimprovisation an der Schola Cantorum.
Im Jahr 1939 wurde Olivier Messiaen zum Kriegsdienst berufen, wo er 1940 in Gefangenschaft geriet. Knapp neun Monate verbrachte er als Kriegsgefangener im Stammlager VIIIA der Deutschen Wehrmacht im Ostteil von Görlitz, dem heutigen Zgorzelec, wo er das besagte „Quartett auf das Ende der Zeit“ („Quatuor pour la fin du temps“) fertigstellte und zusammen mit anderen Lagerinsassen auch zur Uraufführung brachte. Die Aufführenden waren Jean Le Bouaire (Violine), Henri Akoka (Klarinette), Etienne Pascquier (Cello) und Oliver Messiaen am Klavier. Ermöglicht wurde dies durch den wohlwollenden Lagerkommandanten Franzpeter Goebels, derspäter als Konzertpianist und Klavierprofessor an der Nordwestdeutschen Musikakademie (heute Hochschule für Musik) Detmold bekannt wurde.
Nach seiner Rückkehr nach Paris wurde Messiaen 1941 zum Lehrer am Conservatoire ernannt. Er unterrichtete Harmonielehre auf einem sehr hohen Niveau. Als er 1943 Guy-Bernard Delapierre wiedertraf, den er in der Kriegsgefangenschaft kennengelernt hatte, begann er in dessen Wohnung private Analysekurse zu geben. Dies bewog den Direktor des Conservatoires dazu, Messiaen eine Analyseklasse im Konservatorium zu übertragen. So lehrte Messiaen ab 1947 Analyse, Ästhetik und Rhythmus. 1966 durfte er die Kompositionsklasse übernehmen und wurde zum Professor für Komposition ernannt.
Für ihn war diese Klasse so etwas wie eine Klasse über Superkomposition. So behandelte er besonders Inhalte, die seiner Meinung nach in den anderen Kompositionsklassen zu kurz kamen, wie zum Beispiel das Studium der exotischen, antiken und ultramodernen Musik, sowie Orchestration und Rhythmus. Seine Lehrtätigkeit am Conservatoire beendete Messiaen im Jahr 1978. Er bildete in dieser Zeit ganze Generationen von wichtigen Komponisten des 20. Jahrhunderts aus, komponierte eine Vielzahl zeitgenössischer Werke und brachte sie international zur Aufführung.
1967 wurde Messiaen ins Institut de France gewählt. 1971 wurde Messiaen mit dem Erasmuspreis und dem Wihuri-Sibelius-Preis ausgezeichnet, 1977 mit dem Léonie-Sonning-Musikpreis, 1979 mit dem Bach-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg und 1982 mit dem renommierten Wolf-Preis, 1989 mit dem ebenfalls renommierten Music Award der Royal Philharmonic Society in London für großformatige Kompositionen. Am 27. April 1992 starb Olivier Messiaen in Clichy-la-Garenne bei Paris.
In seinem Buch „Olivier Messiaen. Leben und Werk“ beschreibt Theo Hirsbrunner, dass der Krieg tiefe Spuren im Schaffen des Künstlers hinterlassen hat: „Seine Musik bekommt unvermittelt einen noch größeren Ernst, der sich in den Monaten des Leidens einstellte und apokalyptische Visionen hervorbrachte.“
Über das Leiden der Kriegsgefangenen im StaLag VIIIA im Ostteil von Görlitz, das Messiaen neun Monate lang mit Tausenden teilen musste, ist u.a. Folgendes bekannt: Am 23. September 1939 wurde auf dem Jäckelsberg in Görlitz-Moys, heute Zgorzelec-Ujazd, aus dem ehemaligen Durchgangslager (Dulag) das Lager für kriegsgefangene Unteroffiziere und Schützen gebildet. Schon zu diesem Zeitpunkt waren im Lager mehr als 10.000 Kriegsgefangene. Das Lagerareal war mit doppeltem Stacheldraht umspannt. Zur Bewachung standen rund um das Lager zehn Wachtürme. Am Lagereingang befanden sich die Sanitätsbaracken, die Aufnahme- und Desinfektionsbaracke, des weiteren Post- und Paketstelle. Rechts und links der Lagerstraße standen zwanzig Unterkünfte, zwei Lagerküchen, eine Kantine. In diesem Teil des Lagers gab es auch eine Theaterbaracke und eine „Kirchenbaracke“, die auch als Lagerbibliothek genutzt wurde. In der Aufnahme-Baracke wurden alle Gefangenen registriert. Alle Neuankömmlinge mussten sich in der benachbarten Desinfektionsbaracke entkleiden und ihr Gepäck abgeben. Je nach Standort und Einsatz waren die Unterkünfte in den Außenkommandos sehr unterschiedlich. Auf Gasthaussälen oder in stillgelegten Fabrikgebäuden waren manchmal 50 bis 60 Gefangene untergebracht. Sie arbeiteten meistens in Maschinenfabriken oder der Glasindustrie. Kriegsgefangene, die in der Landwirtschaft oder bei Handwerkern in dörflicher Umgebung arbeiteten, wurde eine bescheidene Unterkunft zur Verfügung gestellt. Dabei galten folgende Vorschriften:
- Streng getrennte Unterkünfte der Gefangenen vom allgemeinen Wohnbereich. Über die Arbeit hinausgehende Kontakte mit Kriegsgefangenen waren verboten.
- Die Mahlzeiten durften Gefangene weder am gleichen Tisch noch im gleichen Zimmer mit den Deutschen einnehmen.
- In den Städten war ihnen die Benutzung des Bürgersteiges untersagt, sie mussten auf der Straße gehen.
Die Einweisung der Kriegsgefangenen in die verschiedenen Außenkommandos wurde von ihnen selbst als „Sklavenmarkt“, der dafür zuständige Offizier als „Sklavenhändler“ bezeichnet.
Die Gesamtzahl der Kriegsgefangenen im STALAG VIII A, einschließlich der Außenkommandos, ist schwer zu ermitteln, da in den Unterlagen des Oberkommandos der Wehrmacht im Museum der Kriegsgefangenen in Lambsdorf die Registratur nur vom 28.01.1941 bis zum 01.01.1945 geführt worden ist. Demnach befanden sich im STALAG VIII A und den Außenkommandos am 28.01.1941 insgesamt 23.582 Gefangene, davon 17.395 Franzosen, 6.107 Belgier und 80 Polen. Auch die Berichte des Internationalen Roten Kreuzes in Genf umfassen lediglich den Zeitraum vom 13.06.1941 bis 29.11.1944. Am 13.06.1941 befanden sich laut Statistik insgesamt 29.468 Kriegsgefangene im STALAG VIII A, davon 21.784 Franzosen, 5.254 Belgier, 2.365 Jugoslawen, 65 Polen. Am 01. September 1941 war das Lager bereits mit 47.328 Gefangenen belegt.
Der polnische Historiker Roman Zglobicki schätzt, dass im Verlaufe der Kriegsjahre insgesamt ca. 120.000 Gefangene durch das Lager gegangen sind. Sie kamen u.a. aus Frankreich, Polen, Jugoslawien, Belgien, USA, Sowjetunion, Italien und England. Im Stadtgebiet von Görlitz gab es noch mehrere, dem STALAG VIII A untergeordnete Kriegsgefangenenlager. Etwa 16.000, vorwiegend Sowjetsoldaten, kamen durch Krankheit, Unterernährung und Seuchen ums Leben oder wurden vom Lagerpersonal ermordet. Sie brachte man in Massengräber hinter dem Lager. Heute erinnern ein Gedenkstein und mehrere Informationstafeln an das Kriegsgefangenenlager STALAG VIII A. In der Nähe des Lagers befindet sich ein Friedhof mit den Gräbern im Lager umgekommener sowjetischer Soldaten.
Um die Erinnerung das musikalische Schaffen Messiaens im Kriegsgefangenenlager STALAG VIIIA während der finsteren Zeit des National-Sozialismus wachzuhalten, haben Menschen aus Polen, Tschechien und Deutschland den Verein MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN gegründet. Der organisiert regelmäßig internationale Begegnungen, Geschichtswerkstätten für junge Leute zur Pflege des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers in Zgorzelec und Konzerte. Kooperations¬partner ist die Sächsische Staatskapelle Dresden. Seit 2008 bietet der MEETINGPOINT zum Gedenken an diese längst weltweit bekannte und zu den meistgespielten des 20. Jahrhunderts gehörende Komposition diese in einem Zelt auf dem ehemaligen Lagergelände dar.
Quellen: MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN e.V.; Lauerwald, Hannelore: In Fremdem Land, Verlag VIADUKT, 1996; Wikipedia