22.08.2013
NSA = „STASI“ 2.0 – EIN THEMA FÜR GEDENKSTÄTTEN?
Spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen, im Grunde aber schon länger kann jeder wissen, dass sein gesamtes elektronisches Kommunikationsverhalten, insofern über US-amerikanische Firmen wie Google, Apple, Microsoft, Facebook, Amazon etc. abgewickelt, vom amerikanischen Auslandsgeheimdienst NSA überwacht wird. Dies betrifft unter anderem das Surfverhalten im Internet, persönliche E-Mails, Facebook-Accounts, Youtube-Videos, Skype-Übertragungen, Aufenthaltsdaten (die in Smartphones erfasst werde), SMS, elektronische Kalender und Adressbücher, über das Internet geführte Telefonate, aber auch elektronisch bei Amazon, Microsoft oder anderen „Cloud“-Anbietern gespeicherte Dateien. Die Überwachung erfolgt mit Wissen und Billigung der Bundesregierung und mit Unterstützung durch den BND.
Dies hat in Deutschland Erinnerungen an die Überwachungspraktiken des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR („Stasi“) geweckt. Der Lichtkünstler Oliver Bienkowski projizierte Anfang Juli 2013 in einer Performance den Schriftzug „United Stasi of America“ an die amerikanische Botschaft in Berlin. Aber kann man NSA und Stasi tatsächlich gleichsetzen? Oder wird hiermit einer Verharmlosung kommunistischer Geheimdienstpraktiken Vorschub geleistet?
Die „Stasi“ verstand sich wie ihr großes Vorbild, die sowjetische Geheimpolizei Tscheka (später GPU, NKWD, KGB usw.), als „Schild und Schwert“ der herrschenden kommunistischen Einheitspartei. Sie war kein „Staat im Staate“, sondern ein zentrales Machtinstrument der SED bei der Bekämpfung der inneren Opposition gegen die Weltanschauungsdiktatur des real existierenden Sozialismus. Hierbei griff sie auf ein weit verzweigtes Spitzel-System zurück. Bei Bedarf verschaffte sie sich durch Einbau von Wanzen, Briefpostkontrollen, Wohnungsdurchsuchungen und ähnliches Zugriff auf persönliche, ja intimste Informationen zu verdächtigen Personen. Ihr daran anschließendes Repressionspotenzial war enorm.
Auch die NSA ist kein „Staat im Staate“, sondern untersteht dem US-Verteidigungsministerium und damit der amerikanischen Regierung. Sie ist ein Auslandsgeheimdienst mit dem Auftrag, ausländische elektronische Kommunikationssignale zu erfassen, zu analysieren und für eigene nationale Geheimdienstaktivitäten nutzbar zu machen sowie andererseits die eigenen Telekommunikationsstrukturen vor Angriffen von außen zu schützen. Hiermit soll unter allen Umständen ein Entscheidungsvorteil („decision advantage“) für die Nation und ihre Verbündeten erreicht werden.Mithin geht es nicht nur um Gefahrenabwehr („Schild“), z. B. gegen terroristische Angriffe, sondern die NSA fungiert zugleich als „Schwert“, um „nationale Interessen“ mittels militärischer Operationen und elektronischer Kriegsführung („Network Warfare operations“) durchzusetzen. Dies erklärt, warum die NSA auch ihre „Freunde“ – Regierungen und Institutionen westlicher Partner, insbesondere Deutschland – , aber auch Industrie- und Finanzunternehmen „abhört“.
Die NSA ist anders als die Stasi nicht einer politischen Partei und Ideologie verpflichtet, sondern der demokratisch legitimierten amerikanischen Regierung. Sie zielt anders als die Stasi vor allem auf die Bekämpfung „äußerer“ Feinde und bedient sich hierzu im Vorfeld vor allem der elektronischen Überwachung. Von ihrem Aufgabenprofil (Auslandsgeheimdienst und Spionageabwehr) scheint die NSA noch am ehesten mit der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der Stasi vergleichbar. Allerdings steht der NSA ein ungleich mächtigeres Überwachungsinstrumentarium zur Verfügung: Von einem derartig allumfassenden Zugriff auf persönliche Kommunikationsdaten, wie er heute technisch möglich ist, konnte die Stasi nur träumen. Andererseits spielte die klassische menschliche Spionagetätigkeit bei der HVA die wohl entscheidende Rolle, elektronische Überwachung kann von Terroristen leicht umgangen werden.
Insofern überraschen aus Gedenkstätten in früheren Stasi-Gefängnissen vereinzelt berichtete Besucherreaktionen wie: „Heute wird man doch auch überwacht, nur anders.“ oder „Die sind doch heute auch nicht besser.“, nicht. Es wäre interessant zu erfahren, ob sie in Zukunft verstärkt auftreten. Zu fragen ist: (Wie) Sollten Gedenkstätten darauf reagieren? Sollten Gedenkstätten den Vergleich oder aktuelle staatliche Überwachungspraktiken gar von sich aus zum Thema machen?
Die erste Frage scheint leichter zu beantworten: Besucherbegleiter müssen sich so oder so, auf die eine oder andere Weise zu entsprechenden Äußerungen von Besuchern verhalten. Verkehrt wäre es, sie pauschal als stasi-verharmlosend zu diskreditieren oder komplett zu ignorieren. Was Besucher bewegt, sollte zum Thema gemacht werden. Darüber, dass Besucher von sich aus selbständig Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellen und damit signalisieren, dass Geschichte immer noch etwas ist, was sie „angeht“, können sich Gedenkstätten freuen. Sinnvoll wären daher Differenzierung und Diskussion fördernde Rückfragen, aber auch der Hinweis auf die fundamentalen Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur.
Demgegenüber sind von den Gedenkstätten selbst direkt und offensiv initiierte Gegenwartsbezüge und Verbindungen zur Menschenrechtsbildung in der Vermittlung umstritten. Das historische Unrecht und das Leid der Opfer sollen nicht für aktuelle politische Auseinandersetzungen um Gegenwartsthemen – und bedürfnisse, und sei es aus bester, zum Beispiel präventiver Absicht, instrumentalisiert werden. Außerdem wird die Gefahr gesehen, dass vergangenes Unrecht durch oberflächliche, ahistorische und simplifizierende Aktualisierung relativiert wird.
Andererseits sollen und wollen Gedenkstätten nicht nur historisches Wissen vermitteln. Vielmehr sollen Besucher aus den historischen Fakten Schlussfolgerungen ziehen, durch die Auseinandersetzung mit Geschichte Klarheit über die, so der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald Volkhard Knigge, „Unselbstverständlichkeit von Freiheit, Menschenwürde, Toleranz und Demokratie“ gewinnen [1] und zum Engagement für Demokratie und Menschenrechte angeregt werden. Insofern scheint es durchaus legitim, wenn gerade, aber nicht nur Gedenkstätten in früheren Stasi-Gefängnissen aktuelle Verletzungen von Grundrechten, und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gilt gerade in Deutschland noch als ein solches, behutsam und differenziert thematisieren. Aber auch eine Auseinandersetzung mit der Ethik von „Whistleblowern“ wie Edward Snowden und Bradley Manning, die ihre Gesetzesverstöße und das illegale Enthüllen von Staatsgeheimnissen mit der Aufdeckung krimineller staatlicher Machenschaften rechtfertigen, liegt bei Gedenkstätten, die Opposition und Widerstand würdigen, nicht fern.
Die USA sind ein demokratischer Staat, kein totalitärer. Totalitäres Denken aber findet sich nicht allein in totalitären Systemen, sondern entwickelt sich in nicht-totalitären Systemen. In Gedenkstätten für die Opfer politischer Gewaltherrschaft ist zu besichtigen, welche Ergebnisse totalitäres Denkens zeitigen kann. Aus dieser Einsicht heraus wäre in Bezug auf die verniedlichend „Spähaffäre“ genannte totale Überwachungspraxis mit dem Ziel einer Sensibilisierung für die hieraus erwachsenen Gefahren insbesondere an folgende historische Erfahrungen zu erinnern:
Dem Argument, die Auswertung der personenbezogenen Daten erfolge doch nur „nach Bedarf“, ist entgegenzuhalten, dass sich „Bedarfe“ ändern können, die Daten aber nahezu unbegrenzt aufbewahrt werden können.
Auf das Argument, die Überwachung erfolge doch lediglich zur Terrorabwehr und zum Schutze der Bevölkerung, ließe sich mit dem Politologen Lothar Fritze darauf hinweisen, dass auch der Zweck des Totalitarismus nicht der Wille sei, „Tyranneien aufrichten und Verbrechen begehen zu wollen, (…) sondern Selbstbehauptung, kollektive Existenzsicherung und immer auch ‚Weltverbesserung‘“.[2]
Demjenigen, der eine vermeintlich „wahnhafte Furcht vor dem Staat“ kritisiert, ließe sich entgegnen, dass es sich bei allumfassender Überwachung doch wohl eher um Paranoia auf Seiten des Staates handelt. Und wer der „Sicherheit“ als einem „Supergrundrecht“ Vorrang vor allen anderen Grundrechten einräumen will, der sollte darüber nachdenken, dass das Versprechen von Sicherheit und Stabilität auf Kosten individueller Freiheit seit langem als Kernelement totalitären Denkens gilt.
Wenn, wie der Soziologe Sigmund Neumann schon 1942 in „Permanent Revolution. The Total State in a World at War“ schrieb, Totalitarismus ein „Kind des Krieges“ sei, dann könnte er auch Ergebnis eines „Krieges gegen den Terror“ sein. Wer kann die „Überwacher“ überhaupt noch effektiv überwachen, wenn diese alles über ihre Kontrolleure wissen? Die Warnung des amerikanischen Staatsmanns und Freiheitsfreundes Benjamin Franklin ist also weiterhin aktuell: „Diejenigen, die bereit sind grundlegende Freiheiten aufzugeben, um ein wenig kurzfristige Sicherheit zu erlangen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.“ („They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.“)
Dr. Bert Pampel
bert.pampel@stsg.smwk.sachsen.de
[1] Volkhard Knigge, Historische Orte der NS-Verbrechen und Holocaust-Denkmal. Geschichte – Funktionen – Relationen, in: Fachhochschule Wiesbaden (Hrsg.), Gedenken und Erinnern – braucht Wiesbaden ein Mahnmal? Wiesbaden 1999, S. 55 – 71, S. 69.
[2] Lothar Fritze, Anatomie des totalitären Denkens. Kommunistische und nationalsozialistische Weltanschauung im Vergleich, München 2012, S. 114.
[3] Interview mit dem früheren Bundesinnenminister Otto Schily im SPIEGEL Nr. 31/2013, S. 24 – 26.