Stiftungsgeschäftsführer Siegfried Reiprich: „Keine Unterscheidung in Opfer erster und zweiter Klasse“
06.10.16
Jüngst ist in Pressebeiträgen publiziert worden, die Stiftung Sächsische Gedenkstätten habe dem Landesverband Sachsen des Vereins „Verband der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ (VVN-BdA) einen Besuch in der Gedenkstätte Bautzen verwehrt. Gleichzeitig wird erneut der Vorwurf geäußert, die Stiftung Sächsische Gedenkstätten betreibe die Aufarbeitung politischer Gewaltherrschaft im Nationalsozialismus nachlässig und fördere entsprechende Einrichtungen in nicht ausreichendem Maße. Damit zusammenhängend wurde öffentlich behauptet, die jüdischen NS-Opfervertreter würden ihre Mitgliedschaft im Beirat der Stiftung Sächsische Gedenkstätten aufkündigen (eine derartige Interessenvertretung ist gleichwohl nicht existent – die jüdische Religionsgemeinschaft wird im Stiftungsrat sowie im Stiftungsbeirat durch Vertreter des Landesverbands Sachsen der Jüdischen Gemeinden repräsentiert). Ebenso wird vorgebracht, die Stiftung Sächsische Gedenkstätten würde dem Umstand ungenügend Rechnung tragen, dass Institutionen zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur aufgrund ihrer personellen Überalterung bei der Beantragung von Fördermitteln benachteiligt seien.
Der Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten nimmt hierzu wie folgt Stellung:
- Der Verein VVN-BdA (Landesverband Sachsen) hatte im Frühsommer 2016 angefragt, seine anstehende Vorstandssitzung in den Räumlichkeiten der Stiftung Sächsische Gedenkstätten/Gedenkstätte Bautzen durchzuführen und mit der Gedenkstättenleitung über den Stand der Erarbeitung der Dauerausstellung „Bautzen I und II im Nationalsozialismus. 1933–1945“ ins Gespräch zu kommen. Zwar handelt es sich bei den Einrichtungen der Stiftung Sächsische Gedenkstätten nicht um öffentliche Veranstaltungsorte, die Geschäftsführung hatte dennoch nach wohlwollender Prüfung gegenüber dem Landesverband Sachsen der VVN-BdA das geplante Vorhaben als grundsätzlich möglich kommuniziert und zudem einen geführten Rundgang durch die ehemalige MfS-Sonderhaftanstalt Bautzen II (heute Gedenkstätte Bautzen) verbindlich zugesagt. In diesem Zusammenhang wurde seitens der Geschäftsführung beim sächsischen Landesverband der VVN-BdA erfragt, ob der Verein falsche Tatsachenbehauptungen, die die Landesverbandssprecherin gegenüber der Wochenzeitung „Die Zeit“ Anfang 2016 geäußert hatte, künftig weiterhin öffentlich verbreiten wolle. VVN-BdA (Landesverband Sachsen) ließ die Aussagen der Sprecherin durch seinen Vertreter im Beirat der Stiftung Sächsische Gedenkstätten gegenüber der Stiftungsgeschäftsführung schriftlich bekräftigen. Der Landesverband zog daraufhin seine Anfrage zurück, seine Vorstandssitzung in den Räumlichkeiten der Stiftung Sächsische Gedenkstätten durchführen zu können, und sagte auch den geführten Rundgang durch die Gedenkstätte Bautzen ab.
- Der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden ist im Stiftungsrat und im Stiftungsbeirat vertreten, die Zusammenarbeit gestaltet sich sehr positiv und konstruktiv. Der Landesverband beabsichtigt keineswegs, die Mitarbeit in den Gremien der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zu beenden: Der Vertreter im Stiftungsbeirat dementierte unmittelbar nach Bekanntwerden entsprechender Meldungen.
- Die oben genannte Behauptung, aufgrund von Überalterung seien Einrichtungen zur Aufarbeitung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen gegenüber Institutionen zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur strukturell im Hinblick auf die Beantragung von Fördermitteln benachteiligt, ist nicht tragfähig. Die Erfahrung der Stiftung zeigt deutlich, dass insbesondere in Vereinen, Initiativen, Gedenkstätten in freier Trägerschaft oder anderen Institutionen, die sich der Aufarbeitung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen widmen, vorrangig junge Menschen tätig sind, die sich des Themas angenommen haben. Obwohl auch die Opfer politischer Verfolgung in der SBZ/DDR mittlerweile mehrheitlich bereits ein hohes Alter erreicht haben, ist eine vergleichbare personelle Entwicklung im Bereich der Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur nicht festzustellen. Zur Mittelverwendung durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten wird auf die bereits am 12.02.2016 veröffentlichte Meldung „Ausgewogene Verwendung von Stiftungsgeldern“ verwiesen.
- Eine Unterscheidung in Opfer „erster“ und „zweiter Klasse“ wie in der jüngsten Presseberichterstattung teils offen, teils indirekt vorgenommen, verbietet die Präambel des 2003 vom Sächsischen Landtag beschlossenen und 2012 geänderten Sächsischen Gedenkstättenstiftungsgesetzes (SächsGedenkStG). Die gesetzlich festgeschriebene Arbeitsgrundlage beauftragt die Stiftung Sächsische Gedenkstätten, die Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur und der kommunistischen Diktatur in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR wachzuhalten. Die Stiftung soll insbesondere historisch authentische Orte politischer Gewaltverbrechen und politischen Unrechts im Freistaat Sachsen erschließen und bewahren und sie als Orte politisch-historischer Bildung gestalten. Nicht zuletzt ist es Zweck der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Strukturen und Methoden der beiden Herrschaftssysteme zu dokumentieren und den Widerstand gegen die Diktaturen zu würdigen. Dem Sächsischen Gedenkstättenstiftungsgesetz folgend relativiert die Stiftung weder die Menschheitsverbrechen während des Nationalsozialismus mit Verweis auf die kommunistischen Verbrechen noch bagatellisiert sie die Verbrechen während der kommunistischen Diktatur mit Verweis auf den Nationalsozialismus. Der Grundsatz des Erinnerns ohne gleichzusetzen („Faulenbach-Formel“) ist für die Praxis der Stiftung Sächsische Gedenkstätten essentiell.
Kontakt:
Geschäftsführer
Siegfried Reiprich
+49 (0)351 / 469 55 - 40
siegfried.reiprich@stsg.smwk.sachsen.de
Stellvertretender Geschäftsführer
Dr. Bert Pampel
+49 (0)351 / 469 55 - 48
bert.pampel@stsg.smwk.sachsen.de
Wissenschaftliche Referentin/Leitung Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Julia Spohr
+49 (0)351 / 469 55 - 45
julia.spohr@stsg.smwk.sachsen.de