November 2014
Liebe Leserinnen und Leser,
in der Ausstellung der Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden findet sich ein Gruppenfoto von Anfang 1989. Zu sehen sind Mitarbeiter der Bezirksverwaltung Dresden des MfS und Mitarbeiter des KGB der Dresdner Dienststelle, darunter Wladimir Putin. Zehn Jahre später erhielt der frühere Tschekist für seine Bemühungen um den deutsch-russischen Kulturaustausch den Dankorden „Adverso Flumine" des Vereins des Sempernopernballs in Dresden. Weitere fünf Jahre später ist er für die westliche Außenpolitik nahezu ein Paria. Wie sich doch die Zeiten ändern.
Wie sich doch die Zeiten ändern. Der frühere amerikanische Präsident Richard Nixon verlor sein Amt, als bekannt wurde, dass er eine Hotelsuite hatte abhören lassen. Unfreiwillig beim früheren Dresdner KGB-Mann Putin zu Gast ist heute Edward Snowden, der im Sommer 2013 enthüllte, wie amerikanische und britische Geheimdienste die technologischen Möglichkeiten der Gegenwart nutzen, um nicht nur Verdächtige in einer Hotelsuite, sondern die gesamte Bevölkerung gesetzwidrig zu überwachen. Als Begründung musste lange die Terrorabwehr herhalten, bis herauskam, dass auch Angela Merkels Mobiltelefon abgehört wurde. Aber warum sollte es ihr auch anders ergehen, als jedem beliebigen anderen Deutschen, wenn doch amerikanische Dienste mit Unterstützung westdeutscher Partner ohne Wissen des Bundestages Zugriff auf die zentralen deutschen Kommunikationsknoten erhielten.
An den Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer von Staatssicherheit und SED-Justiz scheint dies – abgesehen von Einzelfällen – leider vorbeizugehen. Der Vergleich von Stasi und NSA-Überwachung ist nach wie vor kein Thema. In einer Zeit wachsender Bedrohung der persönlichen Freiheit durch Überwachung und zunehmenden Staatsinterventionismus begnügen sie sich weitgehend mit der Würdigung des mutigen Widerstandes gegen den überwundenen Staatstotalitarismus der DDR. Ist das nicht zunehmend anachronistisch?
Das 1992 von Francis Fukuyama voreilig und geschichtsvergessen ausgerufene „Ende der Geschichte“ ist nicht in Sicht. Snowden erinnert uns daran, dass totalitäres Denken nicht von gestern ist, dass es auch in demokratisch verfassten politischen Systemen Wurzeln schlagen kann. [Siehe sein lesenswertes Interview mit "The Nation".] Auch freiheitlich-demokratische Gemeinwesen sind nicht vor totalitärer Entartung gefeit. Dass Beispiel Snowden, aber auch das von Carmen Segarra, einer Mitarbeiterin der FED-Bankenaufsicht, die aufgedeckt hat, wie nachlässig Aufsichtsbehörden gegenüber der großen Investmentbank Goldman Sachs sind, zeigt den Mut Einzelner, wenn es darum geht, auch heute Verbrechen und Machtmissbrauch von Regierungen aufzudecken.
Bert Pampel
Inhalt |
Neues aus der Arbeit der Stiftung und ihrer Gedenkstätten
03.11.2014 | Einweihung der neuen Erinnerungsstele bei der Gedenkveranstaltung zum 25. Jahrestag der Schließung des Geschlossenen Jugendwerkhofs Torgau
»Heute versuche ich mich umzubringen. Weihnachten und Silvester bin ich lieber tot als hier«, schrieb ein Jugendlicher am 3. November 1989 an die Wand seiner Arrestzelle. Seine Worte stehen heute symbolisch für die Ausweglosigkeit vieler Betroffener in den Heimen der DDR. Anlässlich der Schließung des Geschlossenen Jugendwerkhofes vor 25 Jahren erinnerte die Gedenkstätte GJWH Torgau am 10. November 2014 in einer Gedenkveranstaltung an Jugendliche, deren Leben nachweislich in Torgau endete. Gemeinsam mit den Familienangehörigen wurde den Opfern repressiver Heimerziehung gedacht und eine neue Erinnerungsstele im Außenbereich der Gedenkstätte eingeweiht.
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03.11.2014 bis 30.01.2014 | "Die Jugend der anderen" - Wanderausstellung der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau auf Station in Berlin
Die Wanderausstellung „Die Jugend der anderen“ ist vom 3. November 2014 bis 30. Januar 2015 in der Geschäftsstelle „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ in Berlin zu sehen. 1982/83 entstand im sächsischen Jugendwerkhof Crimmitschau eine einmalige Fotodokumentation des Alltags der dort lebenden Mädchen. Dreißig Jahre später fragen die Fotografin Christiane Eisler und die Journalistin Gundula Lasch, wie es einigen Mädchen von damals heute geht und welche Folgen die Zeit im Jugendwerkhof für ihr weiteres Leben hatte.
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Während der Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts waren tausende Menschen zu Unrecht in den Bautzener Gefängnissen eingesperrt. Einer der bekanntesten Gefangenen war der Schriftsteller Erich Loest. Zweitausendfünfhundert Tage verbrachte der Strafgefangene 23/59 in politischer Haft in der Stasi-Sonderhaftanstalt Bautzen II. Seine hier „gemordete Zeit“ prägte ihn ein Leben lang. Erich Loest schied im vergangenen Jahr freiwillig aus dem Leben. In Erinnerung an sein Schicksal und das der anderen Gefangenen werden vom Projektchor „Ökumene“ kirchliche und weltliche Lieder aus vier Jahrhunderten dargeboten.
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Die Wanderausstellung „Auf Biegen und Brechen“ ist im Rahmen der Göttinger Kinder- und Jugendbuchwoche vom 17. bis 21. November 2014 im Grenzlandmuseum Eichsfeld zu sehen. Auf dreizehn Rollups informiert die Ausstellung über die Geschichte des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau. Anhand von Fotos, Dokumenten und Begleittexten wird der menschenunwürdige Alltag der Jugendlichen nachgezeichnet, die diese gefängnisähnliche Unterbringung durchlaufen mussten.
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Vor und während der Friedlichen Revolution trugen westliche Fernseh- und Radiosender entscheidend dazu bei, wichtige Ereignisse in der DDR landesweit bekannt zu machen. Allerdings waren auch manche Regionen im Nord- und Südosten der DDR aus der Reichweite der Sender ausgeschlossen. Die Podiumsdiskussion fragt nach der Bedeutung des westdeutschen Rundfunks in der Friedlichen Revolution. Zu Gast: Karl Wilhelm Fricke, der Ehrenvorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte Bautzen, ehemals in Bautzen inhaftiert und nach seiner Haftentlassung Leiter der Redaktion für Ost-West-Angelegenheiten beim Deutschlandfunk (DLF) sowie der Journalist und ehemalige Intendant des DLF, Dr. Dettmar Kramer und der renommierte Zeithistoriker Manfred Wilke.
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Die neu bearbeitete Ausgabe von „Maries Akte – Das Geheimnis einer Familie“, die bereits an anderen Orten in der Oberlausitz gelesen wurde, ist eine spannende und berührende Publikation. Sie hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Vielmehr gehört das Schicksal von Marie Schöbel (†1942) nach wie vor zu den wenigen, namentlich bekannten unter den etwa 5.000 Opfern der NS-„Euthanasie“ allein in Großschweidnitz. Kerstin Herrnkind zeigt mit ihrer Recherche einen ganz persönlichen Weg auf, sich in der Generation der „Kriegsenkel“ diesem Thema zu nähern.
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„Bier mit Tradition“ steht selbstbewusst auf der Webseite der Leipziger Brauerei Sternburg. Offensiv wirbt das Unternehmen mit seiner mehr als 190jährigen Geschichte. Der Vortrag ist die Präsentation erster vorläufiger Ergebnisse der Erforschung eines Teils dieser Geschichte, dem bisher wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Drei Aspekte stehen im Vordergrund des Vortrags: Die Entlassung kommunistischer und sozialdemokratischer Mitarbeiter in den Jahren 1933/34; die versuchte Bereicherung der Brauereileitung an der Zerschlagung der Leipziger Arbeitersportvereine und schließlich die Beschäftigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs.
10.12.2014 | Aufruhr hinter Gittern. Die Bautzener Gefängnisse in der Friedlichen Revolution. Vortrag und Konzert mit Christian "Kuno" Kunert von Renft
In Montagsdemonstrationen forderten 1989 auch Bautzener Bürger das Ende der SED-Diktatur. Außerdem verlangten sie die Freilassung der politischen Häftlinge in den Gefängnissen ihrer Stadt. Anfang Dezember geschah das Undenkbare: Im bis dahin hermetisch von der Außenwelt abgeriegelten „Bautzen II“ fand eine Pressekonferenz statt. Zur gleichen Zeit streikten die Gefangenen im berüchtigten „Gelben Elend“. Die Gefängnisse wurden zum Brennpunkt des öffentlichen Interesses. Am Internationalen Tag der Menschenrechte und 25 Jahre nach diesen Ereignissen berichtet der Historiker Ronny Heidenreich, wie die Friedliche Revolution die Bautzener Gefängnisse erreichte. Christian „Kuno“ Kunert, Musiker der in der DDR verbotenen „Renft Combo“, begleitet die Veranstaltung musikalisch.
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Weiterdenken - Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen mit Filmprojekt: "Ortsbegehung Döbeln - über wiesen" - Stadtrecherchen zu Shoah und Täterschaft
Das Projekt "Ortsbegehung Döbeln - über wiesen" der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen beschäftigt sich mit der Bedeutung nationalsozialistischer TäterInnenschaft in der Gegenwart. Was fand damals in der Kleinstadt Döbeln statt? Was zeugt heute von der Tat? Was ist Schuld und Entschuldung? Szenisches Spiel analysiert die Strukturen der Shoah und diskutiert Überlegungen der Philosophin Hannah Arendt.
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11.11.2014 | "Der Jugendwerkhof war besonders perfide"
Am 10. November erinnerte die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau an die Auflösung des Jugendwerkhofs vor 25 Jahren.
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Eine neue Stele im Innenhof des Gebäudes der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau erinnert seit 11. November an das Schicksal von vier Jugendlichen, die die geschlossene Unterbringung nicht überlebten.
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16. November 1944 | Italienische „Militärinternierte“ werden aus Torgau in ein „Arbeitserziehungslager“ gebracht.
Nach dem Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten Anfang September 1943 entwaffnete die deutsche Wehrmacht ihre früheren Verbündeten. Doch den regulären Status von Kriegsgefangenen verweigerte man den italienischen Soldaten. Als sogenannte „Militärinternierte“ wurden sie ab Oktober 1943 auch in das Torgauer Kriegsgefangenenlager Stalag IV D gebracht und auf Arbeitskommandos verteilt. Sie sollten mit „scharfen Maßregeln“ und „harten Methoden“ zu „voll befriedigenden Leistungen“ angehalten werden. Auf dem Gelände des Wehrmachtgefängnisses Torgau-Brückenkopf wurden zusätzlich Baracken zur Unterbringung der italienischen Soldaten aufgestellt. Diejenigen unter ihnen, die das Angebot abgelehnt hatten, „freiwillig“ als Zivilarbeiter in Deutschland Zwangsarbeit zu leisten, wurden der Gestapo übergeben. Ein solcher Transport mit 526 Italienern aus Torgau traf am 16. November 1944 im „Arbeitserziehungslager“ AEL Zöschen bei Leuna ein. Dort ist im Gefangenenbuch vermerkt, dass 100 von ihnen in Zöschen oder seinen Nebenlagern und Arbeitskommandos starben – manche davon beim Entschärfen von Bomben. Bei weiteren 200 Gefangenen heißt es im Frühjahr 1945 lapidar: „Entlassen nach K.L. Buchenwald“, noch in den ersten Apriltagen wurden 166 Italiener in das Konzentrationslager Flossenbürg überstellt. Ihr weiteres Schicksal ist ungewiss.
Bild: Die für die italienischen Gefangenen errichteten Baracken auf dem Brückenkopf sind im Plan rot markiert. (Archiv DIZ Torgau / Stadtarchiv Torgau)
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"Immer noch ist man blind gegenüber der furchtbaren Tragödie, daß in Deutschland großenteils Menschen guten Willens, Menschen, die hierzulande bewundert und als Vorbild hingestellt wurden, den Weg für die Kräfte bereiteten, die für sie jetzt alles Verabscheuungswürdige verkörpern. (...) Nur wenige wollen zugeben, daß der Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus nicht als Reaktion gegen die sozialistischen Tendenzen der voraufgegangenen Periode, sondern als die zwangsläufige Folge jener Bestrebungen begriffen werden muß. Dies ist die Wahrheit, die die meisten nicht sehen wollten, selbst als man in weiten Kreisen klar erkannte, daß sich das innere Regime im kommunistischen Rußland und im nationalsozialistischen Deutschland in vielen seiner abstoßenden Züge ähnelte. So kommt es, daß nicht wenige, die sich über die Verirrungen des Nationalsozialismus unendlich erhaben dünken und alle seine Äußerungen ehrlich hassen, sich doch für Ideale einsetzen, deren Verwirklichung auf geradem Wege die verabscheute Tyrannis herbeiführen würde."
Friedrich A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, Tübingen 2004 (zuerst London 1944), S. 7.
Impressum
Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Dülferstraße 1
01069 Dresden
Redaktion: Dr. Julia Spohr
pressestelle@stsg.smwk.sachsen.de
www.stsg.de
Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten erschließt, bewahrt und gestaltet historische Orte im Freistaat Sachsen, die an die Opfer politischer Verfolgung sowie an Opposition und Widerstand während der nationalsozialistischen Diktatur oder der kommunistischen Diktatur in der SBZ/DDR erinnern.
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