Heinz Brandt (1909–1986)
Heinz Brandt gehört zu jenen Menschen, die sowohl von den Nationalsozialisten als auch von den Kommunisten wegen ihrer politischen Überzeugung und ihres Widerstandes verfolgt worden sind. Er überlebte die nationalsozialistischen Gefängnisse und Lager Luckau, Brandenburg, Sachsenhausen, Auschwitz und Buchenwald. Später, in der DDR, war er in den Gefängnissen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Berlin-Hohenschönhausen und in Bautzen inhaftiert. Trotz aller Widrigkeiten und Lebenserfahrungen engagierte er sich bis zu seinem Tode für eine menschliche demokratisch-sozialistische Gesellschaft.
Kindheit und Jugend
Heinz Brandt wurde am 16. August 1909 im damaligen preußischen Posen (heute Poznań/Polen) geboren. Seine Mutter, Gertrude Brandt (1879–1943), arbeitete als Kindergärtnerin und Lehrerin. Sein Vater, Georg Brandt (1874–1940), war Schriftsteller und Kunstkritiker. Auch sein Großvater, Rabbiner Ludwig Krause, ein bekannter Talmud-Gelehrter und Großonkel des späteren Psychoanalytikers Erich Fromm, beeinflusste ihn sehr. Das Elternhaus, in dem er mit seinen jüngeren Geschwistern Lili, Richard und Wolfgang aufwuchs, war weltoffen, bildungsbürgerlich und liberal.
1926 zog Heinz Brandt nach Berlin. Nach dem Schulabschluss begann er dort ein Volkswirtschaftsstudium, doch wegen einer Gefängnishaft wurde er 1930 von der Universität relegiert. Er war als Redakteur bei den Zeitungen „Schulkampf“ und „Rote Studenten“ aus politischen Gründen zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die er aber nicht bezahlte, sondern im Gefängnis verbüßte. 1928 wurde er Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes und der Berliner Roten Studentengruppe, 1931 Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Er fühlte sich schon bald der Fraktion der „Versöhnler“ verbunden, die die Ablösung des KPD-Führers Ernst Thälmann und eine Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) anstrebten, um die nationalsozialistische Machtergreifung zu verhindern.
Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus
Am 13. März 1933 verschleppte ihn die SA in Berlin-Weißensee in einen ihrer Folterkeller. Dort wurde er schwer misshandelt, dann aber wieder freigelassen. Dies hielt ihn nicht davon ab, sich in der Folgezeit als Mitherausgeber der illegalen kommunistischen Betriebszeitung „Siemens-Lautsprecher“ zu engagieren. Am 4. Dezember 1934 wurde er verhaftet und am 15. März 1935 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in den Gefängnissen Luckau und Brandenburg verbüßte. In Brandenburg erfuhr Heinz Brandt, dass seine Eltern und sein jüngerer Bruder Wolfgang als Juden aus Posen in die Nähe von Lublin deportiert worden waren. Sein Vater erkrankte und starb im Januar 1940 aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen an einer Lungenentzündung, sein Bruder Wolfgang verstarb 1942. Seine Mutter wurde 1943 im KZ Auschwitz ermordet. Erst sehr viel später erfuhr Heinz Brandt, dass sein Bruder Richard dem Stalinschen Terror in der Sowjetunion zum Opfer gefallen war und seine Schwester Lili in der Verbannung in Sibirien lebte. Beide waren vor den Nationalsozialisten dorthin geflohen.
Nach Haftverbüßung am 8. Dezember 1940 kam Heinz Brandt nicht frei, sondern im Februar 1941 zur „Sicherungsverwahrung“ in das KZ Sachsenhausen. Im Oktober 1942 wurden alle jüdischen Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen in das KZ Auschwitz gebracht, das Heinz Brandt nur durch glückliche Umstände und durch die Hilfe von Kameraden überlebte. In Auschwitz verfasste er mit anderen Kassiber, die nach draußen geschmuggelt wurden und die Öffentlichkeit im Westen über den Völkermord informieren sollten. Nach Auflösung des Lagers Auschwitz im Januar 1945 wurde er auf einem Todesmarsch zu Fuß und per Viehwaggon in das KZ Buchenwald verlegt, in dem er am 23. Januar 1945 halbtot ankam. Nur dank der Unterstützung anderer politischer Häftlinge, die ihn mit zusätzlicher Nahrung versorgten, überlebte er.
Vom Parteikader zum Oppositionellen in der DDR
Unmittelbar nach der Befreiung aus dem KZ nahm Heinz Brandt eine Arbeit in der Berliner Stadtverwaltung auf und gründete mit anderen ehemaligen KZ-Häftlingen den Berliner Hauptausschuss „Opfer des Faschismus“. Später wurde er Sekretär der Berliner Bezirksleitung der SED für Agitation und Propaganda. Nach einer nur ein Jahr dauernden Ehe, die 1947 geschieden wurde, verheiratete er sich im Juni 1949 erneut. Die mit Annelie(se) geschlossene Ehe, aus der drei Kinder hervorgingen, hielt bis zu seinem Tode.
Die stalinistischen Schauprozesse gegen „Titoisten“, „Agenten“ und „Kosmopoliten“ am Beginn der 1950er-Jahre beunruhigten Heinz Brandt, denn viele der nun vor Gericht stehenden Menschen gehörten wie er in den 1930er-Jahren zu den „Versöhnlern“. Noch gefährlicher wurde es für ihn, als Anfang 1953 die jüdischen SED-Mitglieder als potenzielle Klassenfeinde überprüft werden sollten. Dazu kam es nach Stalins Tod im März 1953 nicht mehr. Am 16. und 17. Juni 1953 erhoben sich die Menschen gegen die SED-Diktatur. Doch sowjetische Panzer erstickten den Volksaufstand. Brandt, der mit den Aufständischen sympathisiert hatte, wurde im August 1953 von seiner Leitungsfunktion in der Partei entbunden und versetzt.
Die Enthüllungen über Stalins Verbrechen auf dem XX. Parteitag in Moskau im Februar 1956, die Niederlagen der ungarischen und polnischen Reformer und die erneute Festigung der Machtposition des SED-Chefs Walter Ulbricht bewirkten Brandts endgültige Abkehr vom Sowjetkommunismus. 1956 nahm er Kontakt zum „Ostbüro“ der SPD in Westdeutschland auf, dem er über oppositionelle Strömungen in der DDR berichtete. Im September 1958 setzte er sich nach einer Warnung vor einem drohenden Parteiausschluss und anschließender Verhaftung mit seiner Frau und seinen Kindern nach West-Berlin ab. 1959 zog Brandt nach Frankfurt am Main und wurde dort Redakteur der Gewerkschaftszeitschrift „Metall“. Später trat er in die SPD ein.
Haft in Bautzen
Am 16. Juni 1961 wurde Heinz Brandt mit Unterstützung eines MfS-Agenten bei der IG Metall und einer Geliebten, die von der Staatssicherheit einige Monate zuvor gezielt auf ihn angesetzt worden war, gewaltsam aus West-Berlin in den Ostteil der Stadt verschleppt. Im MfS-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen wurde er monatelang verhört. Ihm wurde die Freilassung angeboten, wenn er seine politischen Irrtümer gestehe und erkläre, dass er freiwillig in die DDR zurückgekehrt sei. Doch Heinz Brandt lehnte ab. Am 10. Mai 1962 wurde er in einem Geheimprozess vor dem Obersten Gericht der DDR wegen angeblicher „schwerer Spionage in Tateinheit mit staatsgefährdender Propaganda und Hetze im schweren Fall“ zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt.
Vom 27. Juli 1962 bis 20. Mai 1964 war Brandt im Sondergefängnis der Staatssicherheit in Bautzen in Isolationshaft inhaftiert. Durch die totale Einsamkeit wird er vollkommen auf sich selbst zurückgeworfen. Die Einzelhaft stellte eine schwere psychische Belastung dar. Immer wieder erwachte er aus Alpträumen, wenn er in der Bautzner Zelle von seiner KZ-Haft träumte. Erst ein Jahr nach der Entführung, im Juni 1962, erhielt er erstmals einen Brief seiner Frau ausgehändigt. Ab Ende 1962 konnten sich die Eheleute einmal im Monat schreiben, wobei Brandt nur andeutungsweise über die Umstände der Verhaftung und der Haft berichtete, um keinen Vorwand für eine Nicht-Weiterleitung der Post zu bieten. Nur mit dem Häftlingsarzt, Funktionshäftlingen, dem Wachpersonal und einem auf ihn angesetzten Mitgefangenen, der für die Staatssicherheit spitzelte, konnte er sprechen. Das ihn umgebende Schweigen versuchte er durch Erinnerungen an Gelesenes und Theaterinszenierungen im Kopf zu brechen. In seinem "Selbstbildnis aus der Zellen-Perspektive" mit dem Titel "Im Loch von Bautzen" (1984) beschrieb er sein Verhältnis zum Wachpersonal wie folgt: "Die uniformierten Aufpasser sehen in mir eine Nummer, den numerierten Teilsplitter des Weltdämons Klassenfeind (im vorigen Knast war ich der Weltdämon Juda). Mit dieser Nummer habe ich mich auch bei ihnen zu melden. Und sie verkehren mit mir in der Einwort-Sprache, Babysprache: Das einzelne, isolierte Wort ist jeweils Code für den ganzen Satz. Sie nölen: "Auslaufen" oder "Einlaufen", wenn es aus der Einzelzelle (dem "Kammkasten") zum Einzel-"Freigang" geht - oder zurück. Für meine Kerkermeister bin ich ein Verräter - grade weil ich meiner inneren Stimme folgte, nicht ihnen."
An seiner Freilassung am 23. Mai 1964 hatte eine internationale Solidaritätskampagne, an der neben anderen die IG Metall, Erich Fromm, Amnesty International und der Philosoph Bertrand Russell mitwirkten, bedeutenden Anteil.
Nach der Haft
Nach der Freilassung arbeitete Brandt bis zu seiner Pensionierung 1974 weiter als Redakteur der IG-Metall-Zeitung. 1967 erschien sein autobiographischer Lebensbericht „Ein Traum, der nicht entführbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West“. Brandt setzte sich weiterhin für einen demokratischen Sozialismus ein, wobei er die Linke jedoch für ihre unkritische Haltung zur Sowjetunion kritisierte. Brandt suchte nach einem „Dritten Weg“ zwischen westlichem Kapitalismus und kommunistischem System. Später beteiligte er sich an der Gründung der GRÜNEN.
Am 8. Januar 1986 starb Heinz Brandt in Frankfurt am Main. Eine Grabstätte existiert auf eigenen Wunsch Brandts nicht, da es auch für seine von den Nationalsozialisten ermordeten Eltern und seinen von Stalins Handlangern ermordeten Bruder keine gebe. Seine Einschätzung einer trotz unterschiedlicher sozialer und ideeller Wurzeln partiellen Übereinstimmung zwischen Faschismus und Stalinismus beruhte auf eigener bitterer Lebenserfahrung.
Seit 17. Juni 1999 trägt eine Oberschule in Berlin-Weißensee seinen Namen. Auf dem früheren Grenzstreifen der Berliner „Mauer“, am Rande des Pankower Gewerbegebietes Pankow-Park, ist eine Straße nach ihm benannt.
Zur Person
Nachname: | Brandt |
Vorname: | Heinz |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 16.08.1909 |
Geburtsort: | Posen (heute Poznań) |
Sterbedatum: | 08.01.1986 |
Sterbeort: | Frankfurt am Main |
Orte/Stationen der Verfolgung/Haft |
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Ergänzungen
Quelle(n)/ Literatur |
Heinz Brandt: Ein Traum, der nicht entführbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West, erweiterte Ausgabe, Frankfurt am Main 1985. Heinz Brandt: Im Loch von Bautzen. Selbstbildnis aus der Zellen-Perspektive, in: Hans Jürgen Schultz (Hrsg.): Trennung. Eine Grunderfahrung menschlichen Lebens, München 1991 (zuerst Stuttgart 1984), S. 209-220. Knud Andresen: Widerspruch als Lebensprinzip. Der undogmatische Sozialist Heinz Brandt (1909–1986), Bonn 2007. Manfred Wilke: Heinz Brandt – in Selbstzeugnissen, in: Wege nach Bautzen II. Biographische und autobiographische Porträts. Eingeleitet von Silke Klewin und Kirsten Wenzel, 4. korrigierte Auflage, Dresden 2013, S. 45–59. Bert Pampel/Siegfried Reiprich: Heinz Brandt. Im Widerstand gegen Nationalsozialismus und Stalinismus, in: Damit wir nicht vergessen. Erinnerung an den Totalitarismus in Europa, Prag 2013, S. 117-123. |
Dokument(e) |
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