Mai 2014
Liebe Leserinnen und Leser,
viele Menschen beobachten seit einigen Wochen und Monaten gespannt und mit Sorge die Ereignisse in der Ukraine. Dabei gehen die Bewertung der Vorgänge und die Einschätzung der Konfliktparteien weit auseinander, nicht nur zwischen Linken und Rechten, auch zwischen Ost und West. In der Zeit des Kalten Krieges erlernte und verinnerlichte Klischees und Vorurteile kommen erneut zum Tragen. Diese stützen sich nicht selten auf historische Erfahrungen oder Meinungen zu historischen Ereignissen. Und so verwundert es nicht, dass immer wieder auch historische Vergleiche bemüht werden. An die Zeit vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges wird erinnert und an die vom Sowjetregime verursachte Hungersnot in der Ukraine zwischen 1929 und 1933. In den baltischen Staaten werden Erinnerungen an den Sommer 1940 wach, als die Sowjetunion im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes diese Länder besetzte. Manche sehen in den Maidan-Protesten die Fortsetzung der Friedlichen Revolutionen vor 25 Jahren, andere erkennen darin amerikanische Destabilisierungspraktiken durch Geheimdienstoperationen wieder.
Für die Ukraine ist der alleinige Rückgriff auf das zeitgeschichtliche Kurzzeitgedächtnis jedoch unzureichend. Samuel P. Huntington verwies in seinem Buch "Kampf der Kulturen" 1996 auf die Erhebung des Kosakenführers Bogdan Chmelnizki gegen die polnische Herrschaft 1654 als entscheidendem geschichtlichem Ereignis, bei der dieser als Gegenleistung für Hilfe gegen Polen dem Zaren die Bündnistreue schwor. Vor allem aber rief er ins Gedächtnis, dass mitten durch die Ukraine die große historische Scheidelinie verläuft, die seit Jahrhunderten westlich-christliche und orthodoxe Kulturen trennt. Dementsprechend groß ist ist die Sprengkraft an dieser Bruchlinie. Huntington warnte: "In der kommenden Ära ist es also zur Vermeidung großer Kriege zwischen den Kulturen erforderlich, daß Kernstaaten davon absehen, bei Konflikten in anderen Kulturen zu intervenieren. Das ist eine Wahrheit, die zu akzeptieren manchen Staaten, besonders den USA, schwerfallen wird. Dieses Prinzip der Enthaltung (...) ist die erste Voraussetzung für Frieden in einer multikulturellen, multipolaren Welt." (S. 522) Die zweite Voraussetzung für den Frieden, darauf verwies der in Lemberg geborene libertäre Theoretiker Ludwig Mises 1927 (siehe Zitat des Monats), ist die Anerkennung des Rechts der Völker und Menschengruppen auf Sezession und alleinige Entscheidung, in welchem Staatengebilde sie leben wollen.
Heute ist weder 1914 noch 1989, aber ohne historisches Bewusstsein für diese Umbrüche irren wir orientierungslos durch die Gegenwart. Ich lade Sie herzlich zur Lektüre des Newsletters und zu den zahlreichen Veranstaltungen in den kommenden Wochen ein, bei denen Sie auf anregende Weise ihr historisches Gedächtnis nähren und auffrischen können.
Bert Pampel
Inhalt |
Vorschau
18.05.2014 | Ausstellungseröffnung "Zwischen großem Berg und Lindenallee. Der Katharinenhof im Sächsischen Großhennersdorf während der Zeit des Nationalsozialismus"
Eröffnung der Ausstellung in der Gedenkstätte Großschweidnitz mit einem umfangreichen Begleitprogramm bis 24. Juni, u. a. mit Vorträgen, Zeitzeugengesprächen und Filmvorführungen.
> Mehr18.05.2014 | Ausstellungseröffnung in der Gedenkstätte Bautzen: "Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme. Streiflichter auf die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert"
Im Rahmen des Internationalen Museumstages und anlässlich der Gleichzeitigkeit runder Jahrestage im Jahr 2014 präsentiert die Gedenkstätte die Ausstellung "Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme. Streiflichter auf die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert". Sie verdeutlicht die Verflechtung der Nationalgeschichten: In diesem Jahr jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal. Vor 75 Jahren entfesselte Deutschland den Zweiten Weltkrieg. 25 Jahre sind seit den friedlichen Revolutionen in Europa vergangen.
> Mehr18.05.2014 | Internationaler Museumstag in der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain
Die Gedenkstätte bietet anlässlich des Internationalen Museumstages zwei Sonderführungen an, eine allgemeine Führung durch die Dauerausstellung und eine thematische Führung, in der die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers anhand einzelner Sammlungsgegenstände dargestellt werden soll. Eine Vorabanmeldung ist nicht notwendig, der Eintritt ist frei.
> Mehr21.05.2014 | Podiumsdiskussion "Gedenkstätten: Erinnerungskultur und Menschenrechte"
Die Münsteraner Amnesty-Gruppe 1510 lädt zu einer Podiumsdiskussion zum Umgang mit Verbrechen gegen die Menschenrechte ein. Teilnehmer sind Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Prof. Dr. Alfons Kenkmann, Geschäftsführer des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e.V., Siegfried Reiprich, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft
> Mehr23.05.2014 | Gedenkstätte Jugendwerkhof Torgau eröffnet neu konzipierte Wanderausstellung "Auf Biegen und Brechen"
Experten und Betroffene von Heimerziehung der damaligen und der heutigen Zeit kommen ins Gespräch zu Hintergründen und Ursachen von traumatischen Heimerfahrungen von Kindern und Jugendlichen und fragen, wie diese künftig verhindert werden können. Die Gedenkstätte hat zudem seine Wanderausstellung, „Auf Biegen und Brechen“ zur Geschichte des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau 1964-1989 neu konzipiert, die im Anschluss an das Podiumsgespräch erstmals präsentiert wird.
> Mehr26.05.2014 | Arbeitstagung "Erinnern wozu? Perspektiven des Gedenkens an Opfer und Widerstand im Nationalsozialismus"
Eine Tagung der Evangelischen Hochschule Sachsen (EHS) in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, dem Verband der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten Sachsen e. V., der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Während der Tagung ist die Ausstellung des DGB Sachsen „Nicht mit uns! Sächsische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur 1933 - 1945“ im Foyer der EHS zu sehen.
> Mehr12.06.2014 | Ausstellungseröffnung "Die Jugend der anderen" in Leipzig
Eindrückliche Fotografien der Leipziger Fotografin Christiane Eisler und Gesprächsprotokolle der Journalistin Gundula Lasch aus dem Alltag in einem DDR-Jugendwerkhof. Neben vielen bisher unveröffentlichten Fotos stellt die Ausstellung in Form von Erinnerungsprotokollen exemplarische Einzelschicksale der Mädchen des Jugendwerkhofs Crimmitschau vor. Sie zeigt, wie unterschiedlich ihre Lebenswege waren und auf welche Weise die Folgen der DDR-Umerziehung sie bis heute begleiten.
> Mehr12.06.2014 | Leipzig im Nationalsozialismus: Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma. Präsentation aktueller Rechercheergebnisse.
Anhand von Einzelschicksalen zeigt die Initiative "Geschichte vermitteln" unterschiedliche Wege der Verfolgung und Vernichtung, aber auch des Überlebens von Leipziger Sinti und Roma ebenso wie die Geschichte derjenigen Angehörigen der Minderheit, die z. B. bei der HASAG in Leipzig Zwangsarbeit leisten mussten. Abschließend wirft sie in ihrem Recherchebericht einen kritischen Blick auf den Umgang mit Sinti und Roma in der DDR und in der Bundesrepublik und auf die ihnen lange verweigerte „Entschädigung“ für die Verfolgung und Vernichtung ihrer Familien. Präsentiert wird zudem eine neue Ausstellungstafel, die mobil einsetzbar für die lokale Geschichtsarbeit zum Thema zur Verfügung steht.
> Mehr14.06.2014 | Lange Nacht der Museen in Bautzen: Die Bautzener Gefängnisse in der „geteilten Welt“
Führungen durch die Ausstellung „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme“ und durch die ehemalige Stasi-Sonderhaftanstalt II gehen auf die Verflechtung dieses Hauses in der „geteilten Welt“ und auf die Öffnung der Bautzener Gefängnisse während der Friedlichen Revolution vor 25 Jahren ein. Dokumentarfilme beleuchten historische Ereignisse des 20. Jahrhunderts, die sich 2014 zu verschiedenen Jubiläen jähren.
> Mehr17.06.2014 | Leipzig: Veranstaltungen zum Gedenken an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR
Die Besucher erwartet u.a. eine Lesung des Comics „17. Juni. Die Geschichte von Armin & Eva“ (Graphic Novel) mit den Autoren. Comic statt trockenem Geschichtsbuch, eine Wissensvermittlung der anderen Art, ist besonders für Schüler geeignet. Um 17.00 Uhr findet eine Gedenkfeier für die Opfer des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 statt. Es schließt sich abends eine Buchvorstellung mit Vortrag zum Thema „Zielvorgabe Todesstrafe. Der Fall Jennrich, der 17. Juni 1953 und die Justizpraxis der DDR“ an, es werden Originalmitschnitte des damaligen Schauprozesses gezeigt, und es kann diskutiert werden. Der Eintritt ist frei.
> Mehr17.06.2014 | Vortrag am Münchner Platz Dresden: "Für Kultur, für Recht, für Freiheit" - Carl-Albert Brüll (1902-1989) - Ein Görlitzer Anwalt in gefährlichen Zeiten
Nur selten manifestieren sich die Wendungen der deutschen Zeitgeschichte so eindrücklich wie im Leben und Wirken des Görlitzer Rechtsanwaltes Carl-Albert Brüll. Der Berliner Publizist Dr. Rolf Hensel beleuchtet den Weg des streitbaren Juristen „in gefährlichen Zeiten“ von der Sozialisation in Görlitz bis zum Engagement des nach Westberlin Geflohenen für DDR-Flüchtlinge und den Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen.
> Mehr19.06.2014 | Buchvorstellung in der Gedenkstätte Jugendwerkhof Torgau: „Sonja: 'Negativ-dekadent'. Eine rebellische Jugend in der DDR“
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Das Schweigen brechen – Schicksale ehemaliger DDR-Heimkinder“ stellt Autorin Silke Kettelhake ihr Buch „Sonja: 'Negativ-dekadent'. Eine rebellische Jugend in der DDR" in der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau vor. Sonja kam mit 16 Jahren in den Jugendwerkhof Torgau - sie trug Jeans, lange Haare und hatte 1968 gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag protestiert. Ihre Strafe: Jugendwerkhof Torgau, geschlossene Abteilung. Ein Leben im Visier von Volkspolizei und Staatssicherheit - bis 1989 zu ihrem ganz persönlichen Befreiungsschlag wurde.
> MehrNeues aus der Arbeit der Stiftung und ihrer Gedenkstätten
12.05.2014 | Stiftungsrat beschließt Gestaltung des Gedenkortes Chemnitz-Kaßberg
Der Stiftungsrat der Stiftung Sächsische Gedenkstätten beschließt auf seiner Sitzung unter Vorsitz der Sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Frau Prof. Sabine von Schorlemer, die Gestaltung eines Gedenkortes auf einem Areal am Rande des früheren Gefängnisses Chemnitz-Kaßberg. Es soll ein Entwurf der AG Berthold Weidner/Martin Bennis (Stuttgart/Berlin) realisiert werden. Dieser war dem Stiftungsrat im Ergebnis eines Ideenwettbewerbes von einer Empfehlungskommission zusammen mit einem weiteren Entwurf zur Diskussion und Entscheidungsfindung vorgelegt worden.
> MehrNeues von weiteren zeitgeschichtlichen Erinnerungsorten in Sachsen
29.04.2014 | Gedenkstätte Großschweidnitz jetzt mit eigener Website
Seit kurzem hat die Gedenkstätte Großschweidnitz eine eigene Website. Damit ist ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer größeren öffentlichen Wahrnehmung dieses bedeutenden historischen Ortes in der Oberlausitz getan.
> Mehr30.04.2014 | Archiv Bürgerbewegung Leipzig bietet Revolutionskarte des Herbstes 1989 an
In Vorbereitung des 25. Jahrestages der Friedlichen Revolution in der DDR bietet das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. eine Revolutionskarte an, auf der die wichtigsten Ereignisse des Herbstes `89 vermerkt sind.
> Mehr10.05.2014 | Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig erhält historische Dokumente
Eine Delegation von Angehörigen ehemaliger niederländischer Zwangsarbeiter besuchte zur Museumsnacht am 10. Mai 2014 die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig. Unter ihnen war auch Herr Isselmann, der während des Zweiten Weltkrieges selbst als Zwangsarbeiter im Reichsbahnausbesserungswerk Leipzig-Engelsdorf arbeiten musste. Sie übergaben der Gedenkstätte einzigartige historische Dokumente, unter anderem ein Tagebuch sowie mehrere Fotografien und Erinnerungsberichte.
Mehr Informationen dazu HIER.
16.05.2014 | Sammlungs- und Digitalisierungsprojekt zur Friedlichen Revolution mit Unterstützung der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“
„Europeana 1989“ ist ein Projekt von Europas digitaler Bibliothek, Museum und Archiv. Nun wird in Deutschland dazu aufgerufen, persönliche Geschichten, Fotos und Erinnerungsstücke aus der bewegten Zeit der Friedlichen Revolution in diesem Online-Archiv zu sammeln. Bei Aktionstagen können Interessierte ihre Geschichten erzählen und ihre Objekte, Dokumente und Fotos digitalisieren lassen.
> Mehr16.05.2014
Franz Hammer, der ehemalige Vorsitzende des Fördervereins Dr. Margarete Blank e. V. und ehrenamtlich für die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig tätig, hat in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift MEDAON einen Artikel über jüdische Zwangsarbeit und die Gedenkstätte für Zwangsarbeit veröffentlicht.
> MehrRückblick
10.04.2014 | "Auf den Spuren der Vergangenheit" - Bericht über die Stadtrundgänge der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig
Millionen Menschen mussten während der Zeit des Nationalsozialismus Zwangsarbeit leisten. Lange Zeit wurde über dieses Thema geschwiegen. Stadtteilrundgänge durch Leipzig klären darüber auf.
> Mehr23.04.2014 | "Nicht mehr namenlos im Ehrenhain"
Die Zeitung berichtet über die Einweihung der Namenstafeln für die im Kriegsgefangenenlager Zeithain umgekommenen sowjetischen Kriegsgefangenen auf den Friedhöfen der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain.
> Mehr30.04.2014 | 600 Besucher bei Ausstellung im DIZ Torgau
Wolfgang Oleschinski, der Leiter des DIZ Torgau, zieht eine positive Bilanz des Elbe Day 2014.
> Mehr13.05.2014 | Kaßberg-Gefängnis Chemnitz: Größte Abschiebehaftanstalt der DDR wird Gedenkort
Bericht über den Beschluss des Stiftungsrates der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Gestaltung des Gedenkortes Chemnitz-Kaßberg und seine Folgen.
> MehrKalenderblatt
7. Mai 1989 | Fälschung der Kommunalwahlen in der DDR - mit weitreichenden Folgen
Angesichts der Reformunwilligkeit der SED-geführten DDR-Regierung haben viele Bürger das „Zettelfalten“ für die Einheitsliste der „Nationalen Front“ satt. Im Vorfeld der Wahl gibt es zahlreiche Aufrufe zum Wahlboykott sowie Flugblattaktionen. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) registriert 103 gegen die Kommunalwahlen gerichtete „Vorkommnisse“. Bereits in einem Schreiben des Leiters der MfS-Bezirksverwaltung Dresden, Generalmajor Horst Böhm, vom 26. Januar 1989 wird erwähnt, dass es „Aktivitäten gegnerischer Kräfte, die mittels schriftlicher staatsfeindlicher Hetze gegen die Wahlen 1989 in Erscheinung treten“, gebe. Laut Bericht vom 19. Mai 1989 über „Maßnahmen zur Zurückweisung und Unterbindung feindlicher, oppositioneller und anderer negativer Kräfte zur Diskreditierung der Ergebnisse der Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989“ registriert die Staatssicherheit in Leipzig die Überprüfung der Wahlauszählungen von 161 Wahllokalen durch Bürgerrechtler. Es gibt zahlreiche Eingaben wegen festgestellter Unregelmäßigkeiten, ca. 300 davon direkt an Egon Krenz als Leiter der Zentralen Wahlkommission. Viele Bürger erstatten Strafanzeige wegen Wahlfälschung. In verschiedenen Städten kommt es zu Demonstrationen. Auf dem Marktplatz in Leipzig werden 72 Demonstranten verhaftet. Die gefälschten Kommunalwahlen bringen das Fass zum Überlaufen.
Während die Zahl der Antragsteller auf Ausreise aus der DDR stetig steigt, hoffen andere auf Veränderungen im Lande. Raum für freie Meinungsäußerungen finden die Menschen in den Kirchen. Aus Versammlungen und Friedensgebeten erwachsen die Montagsdemonstrationen mit ihren Forderungen für Reise- und Meinungsfreiheit und für freie Wahlen. Während die einen das zwischen Ungarn und Österreich entstandene Loch im Eisernen Vorhang oder die Prager Botschaft der Bundesrepublik nutzen, um in den Westen zu gelangen, formieren sich andere unter der Losung „Wir bleiben hier, Reformen wollen wir!“ Im Herbst 1989 verliert die SED ihre Macht, denn: „Eine revolutionäre Situation gibt es dann, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen“ (Lenin zugeschriebenes Zitat).
Am 18. März 1990 finden erstmals freie und geheime Wahlen zur Volkskammer der DDR statt und am 3. Oktober 1990 wird die deutsche Einheit vollzogen. Knapp eineinhalb Jahre nach der Wahlfälschung vom 7. Mai 1989 existiert die DDR nicht mehr.
Foto: Stimmenauszählung im Wahllokal am Thälmann-Park in Berlin, Archiv Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, BStA, Fotobestand Klaus Mehner
Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) hat eine Broschüre herausgegeben, die die Ereignisse in den drei sächsischen Bezirken dokumentiert:
Zitat des Monats
Es muß die Möglichkeit bestehen, daß die Staatsgrenzen verlegt werden, wenn der Wille der Bewohner eines Landesteiles, sich einem anderen Staate anzuschließen als dem, dem sie gerade angehören, sich deutlich kundgegeben hat. Im 17. und 18. Jahrhundert haben die russischen Zaren weite Gebiete ihrem Reiche einverleibt, deren Bevölkerung niemals den Wunsch gehabt hatte, dem russischen Staate anzugehören. Auch wenn das russische Reich eine vollkommen demokratische Verfassung durchgeführt hätte, wären die Wünsche der Bewohner dieser Ländergebiete nicht befriedigt gewesen, weil sie überhaupt nicht den Wunsch hatten, mit den Russen zusammen einem gemeinschaftlichen Staatsverbande anzugehören. Ihre demokratische Forderung war: los vom russischen Reich, Bildung eines selbständigen polnischen, finnischen, lettischen, litauischen usw. Staatswesens. Daß diese Forderungen und ähnliche Wünsche anderer Völker (z. B. Italiener, Deutsche in Schleswig-Holstein, Slaven und Magyaren im Habsburgerreich), nicht anders befriedigt werden konnten als durch Krieg, war die wichtigste Ursache aller Kriege, die in Europa seit dem Wiener Kongreß geführt wurden.
Das Selbstbestimmungsrecht in bezug auf die Frage der Zugehörigkeit zum Staate bedeutet also: wenn die Bewohner eines Gebietes, sei es eines einzelnen Dorfes, eines Landstriches oder einer Reihe von zusammenhängenden Landstrichen, durch unbeeinflußt vorgenommene Abstimmungen zu erkennen gegeben haben, daß sie nicht in dem Verband jenes Staates zu bleiben wünschen, dem sie augenblicklich angehören, sondern einen selbständigen Staat bilden wollen oder einem anderen Staate zuzugehören wünschen, so ist diesem Wunsche Rechnung zu tragen. Nur dies allein kann Bürgerkriege, Revolutionen und Kriege zwischen den Staaten wirksam verhindern.
Ludwig Mises, 1881 in Lemberg geborener wichtigster Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und Theoretiker des Libertarianismus, in: Liberalismus, Jena 1927, S. 96.
Impressum
Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Dülferstraße 1
01069 Dresden
Redaktion: Dr. Julia Spohr
pressestelle@stsg.smwk.sachsen.de
www.stsg.de
Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten erschließt, bewahrt und gestaltet historische Orte im Freistaat Sachsen, die an die Opfer politischer Verfolgung sowie an Opposition und Widerstand während der nationalsozialistischen Diktatur oder der kommunistischen Diktatur in der SBZ/DDR erinnern.
Nutzen Sie bitte diese Seite zum Bestellen bzw. Abbestellen des Newsletters.