Die "gemordete Zeit" von Bautzen. Nachruf auf Erich Loest
13.09.13
Als "Staatsfeind" der DDR verbüßte Erich Loest mehr als zweitausendfünfhundert Tage seines Lebens in politischer Haft in der Sonderhaftanstalt Bautzen II, dem Gefängnis für "Staatsfeinde" der DDR.
Erich Loest, 1926 in Mittweida geboren, setzte sich während der Phase der halbherzigen Entstalinisierung Mitte der 1950er Jahre für eine Demokratisierung des realexistierenden Sozialismus ein. Nach der Niederschlagung der Aufstände in der DDR am 17. Juni 1953 und in Ungarn 1956 forderte der damals noch überzeugte Sozialist Reformen innerhalb des sozialistischen Systems der DDR. Der Journalist und Schriftsteller geriet schnell in Opposition zur politischen Linie der SED – im November 1957 wurde Loest festgenommen. In einem Gruppenprozess erhielt er eine Freiheitstrafe über siebeneinhalb Jahre wegen "Staatsverrats". Zur Verbüßung seiner Strafe wies ihn die Stasi im März 1959 nach Bautzen II ein.
Er kam sofort in Einzelhaft, wie man seiner Stasi-Akte entnehmen kann: "Auf Grund des Ergebnisses des Einführungsgesprächs war eine solche Maßnahme notwendig". Loest wurde in Bautzen "allseitig beobachtet". Er galt als "verstockt", als "Provokateur" und zeigte "Widersetzlichkeit" und eine "starke feindliche Einstellung zur DDR". Er erhielt Schreibverbot und musste stattdessen stumpfe, monotone Arbeiten verrichten. Loest blieb sich selbst treu und entgegnete seinen Bewachern, "dass auch er ein Opfer des Stalinismus sei, welches auch einmal rehabilitiert werden wird." Erst im September 1964 wurde Loest auf Bewährung entlassen, auf eigenen Wunsch in die DDR. Seine vollständige Rehabilitation erfolgte im April 1990.
Erich Loest kehrte nie wieder nach Bautzen II zurück. Ihm fehlte die Kraft, den Ort seiner Haft noch einmal zu betreten. Aus der Ferne unterstützte er die Arbeit der Gedenkstätte Bautzen, um Legendenbildung und Schönfärberei Einhalt zu gebieten. Sein autobiographisches Werk "Durch die Erde ein Riss" schildert seinen Weg in das Bautzener "Gerechtigkeitskombinat", wie er das Gebäudeensemble aus Gericht, Polizei, Stasi-Kreisdienststelle und Gefängnis sarkastisch nannte. Literarisch verarbeitete er die für sein weiteres Leben prägende Haft in Bautzen – seine "gemordete Zeit". Loest – oft als Chronist der deutschen Teilung bezeichnet – war mehr als das. Sein künstlerisches Schaffen war immer auch ein politisches. Er erhob vor und nach 1989 immer dann seine Stimme in politischen Fragen, wenn die SED-Diktatur verharmlost wurde.
Erich Loest schied gestern Abend freiwillig aus dem Leben. Wir verlieren einen aufrechten Menschen, der bis zum Schluss sich selbst und seiner moralischen Grundhaltung treu blieb.
Weitere Informationen erhalten Sie von Sven Riesel, Öffentlichkeitsarbeit Gedenkstätte Bautzen, Telefon 03591 - 530 362 oder Email sven.riesel@stsg.smwk.sachsen.de.
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