Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser,
dieser Newsletter steht ganz im Zeichen der zahlreichen Aktivitäten anlässlich des 60. Jahrestages des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 in der DDR. Neben Ostberlin waren gerade die traditionellen Industriegebiete in Sachsen als Mittelpunkte der Arbeiterbewegung Zentren der Erhebung. Sie wurde gewaltsam niedergeschlagen, ihre Initiatoren und Unterstützer kamen ins Gefängnis oder verloren ihre Funktionen. Der Volksaufstand offenbarte den wahren Charakter des SED-Regimes, "Der Arbeiter erhob sich gegen den 'Arbeiter- und Bauernstaat'" (Heinz Brandt). Für einige war er trotz seines Scheiterns der Anfang vom Ende ihrer Illusionen in Bezug auf das Wesen kommunistischer Herrschaft und wirkte in dieser Hinsicht und darüber hinaus bis 1989 nach.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bert Pampel
Vorschau
14.06. | DIZ Torgau: Eröffnung der Wanderausstellung "Der weisse Strich. Vorgeschichte und Folgen einer Kunstaktion an der Berliner Mauer". Die gemeinsame Wanderausstellung der Gedenkstätte Bautzen und der Gedenkstätte Berliner Mauer dokumentiert jene Kunstaktion, die für einen der Beteiligten auf tragische Weise in der Stasi-Sonderhaftanstalt Bautzen II endete. Fotografien, Dokumente, Fernsehberichte und Interviews mit den Malern erzählen von der Kunstaktion und von ihrer Vorgeschichte. Lesung und Gespräch mit Anne Hahn und Frank Willmann. > Mehr...
15.06. | Gedenkstätte Bautzen: "Ulbricht, Pieck und Grotewohl, dass euch drei der Teufel hol!" - Sonderführungen und Dokumentarfilme zur Langen Nacht der Museen in Bautzen von 18.00 Uhr bis 23.00 Uhr. Was am 17. Juni 1953 als sozialer Protest begann, entwickelte sich rasch zur politischen Manifestation: Massenhaft war der Ruf nach Freiheit, Demokratie und deutscher Einheit zu hören. Hunderttausende skandierten auch in den sächsischen Bezirken ihren Unmut. Zahlreiche Menschen wurden wegen ihrer Beteiligung an den Protesten verhaftet, verurteilt und in die Bautzener Gefängnisse gesperrt. Von 18.00 Uhr bis 23.00 Uhr informieren Sonderführungen durch die Ausstellung "Wir wollen freie Menschen sein!" und Dokumentarfilme über die Ereignisse im Juni 1953 und deren Folgen.
17.06. | Gedenkstätte Museum in der "Runden Ecke" Leipzig: Gedenkfeier für die Opfer des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 mit Kranzniederlegung an der Straße des 17. Juni, anschließendem Friedensgebet in der Nikolaikirche sowie abendlicher Filmvorführung mit Zeitzeugengespräch zum Film von Freya Klier "Wir wollen freie Menschen sein". > Mehr...
18.06. | Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden: "Streiken für die Freiheit." Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR mit Vorführung des Dokumentarfilms „Wehe den Besiegten – der 17. Juni 1953“. Der Film schildert reich bebildert und anhand von Zeitzeugeninterviews die Lebensverhältnisse und Veränderungen Anfang der 50er-Jahre, die den Volksaufstand auslösten. Inhaltlich wird direkt Bezug genommen auf die Geschehnisse zum Ende der DDR. Der Filmvorführung folgt um 19.00 Uhr ein Podiumsgespräch mit Zeitzeugen aus Dresden und Sachsen. > Mehr...
24.06. | Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig: Buchvorstellung und Gespräch: "Die Grenzen des Erzählbaren. Erinnerungsdiskurse von NS-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in Ost- und Westeuropa“. In transnationaler Perspektive untersuchte die Historikerin Dr. Regina Plaßwilm 55 narrative Interviews mit ehemaligen NS-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeitern aus der Republik Belarus, Russland, Frankreich und den Niederlanden vergleichend. Im Umgang mit NS-Zwangsarbeit sind in allen diesen Ländern bis heute Erinnerungskulturen vorherrschend, die eine angemessene Anerkennung dieser Opfergruppe verhindern. Die vorliegende Analyse macht jedoch deutlich, dass die nationalen Erinnerungsdiskurse Möglichkeiten und Grenzen des Erzählbaren zwar mit strukturieren, die Erinnerung an und die Verarbeitung von Zwangsarbeit aber stärker von individuellen biografischen Verläufen und Faktoren der Vor- und Nachkriegszeit beeinflusst sind. > Mehr...
25.06. | Gemeinschaftsveranstaltung u. a. mit Gedenkstätte Münchner Platz Dresden: Mordechaj Gebirtig oder Bleib gesund mein Kraków: Film und Konzert zum 70. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto. Der Krakauer Dichter und Komponist Mordechaj Gebirtig (1877–1942) wurde am 4. Juni 1942 in seiner Heimatstadt auf dem Weg in das deutsche Vernichtungslager Bełżec ermordet. Der Abend erinnert in Bild und Ton an den Mann, dessen Lieder vor dem Zweiten Weltkrieg auf den Bühnen und in den Straßen des jüdischen Polens erklangen. Programm: 19.00 Uhr Filmvorführung mit dem Regisseur Piotr Szalsza (Wien), danach Konzert von Valeriya Shishkova & Di Vanderer (Dresden) mit Liedern von Mordechaj Gebirtig. > Mehr...
26.06. | Gedenkstätte Münchner Platz Dresden:
17.30 Uhr: "Eva Schulze-Knabe. Spurensuche." Ein Rundgang auf den Spuren Eva Schulze-Knabes durch den ehemaligen Justizkomplex am Münchner Platz. Eva Schulze-Knabe wurde im Januar 1941 von der Gestapo verhaftet. Nach monatelangen Verhören im Polizeipräsidium Dresden kam sie Ende Mai 1941 in die Untersuchungshaftanstalt auf der George-Bähr-Straße. Der Rundgang folgt dem Weg, den die Künstlerin als Untersuchungshäftling und Angeklagte durch den Gerichts- und Haftkomplex gegangen ist. > Mehr...
19.00 Uhr: Vortrag von Dr. Birgit Sack: "Kunst und Widerstand. Das Dresdner Künstlerpaar Eva Schulze-Knabe (1907-1976) und Fritz Schulze (1903-1942)." Das Künstlerpaar Schulze gehörten zu der Generation der um die Jahrhundertwende geborenen Künstler, deren künstlerische Entwicklung und Anerkennung durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft gebremst wurde, ehe sie sich entfalten konnte. Ihr Engagement im kommunistischen Widerstand endete mit einem Verfahren vor dem Volksgerichtshof in Dresden, dem Hinrichtungstod von Fritz Schulze und einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe für seine Frau. > Mehr...
28.06. | Geschlossener Jugendwerkhof Torgau e.V./Sächsischer Landtag: Vorstellung des Buches von von Dr. Christian Sachse: "Menschenrechtsverletzungen in DDR-Heimen". In vielen Einrichtungen der DDR-Jugendhilfe war der Alltag der Kinder und Jugendlichen von Missachtung elementarer menschlicher Bedürfnisse, Demütigung sowie seelischer und körperlicher Misshandlung bestimmt. Besonders in den Spezialheimen prägten Zwang und Gewalt das Heimleben. Da jedoch gerade die Spezialheime von der Forschung bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden, erstellte Dr. Christian Sachse im Auftrag der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau einen Überblick über sämtliche Spezialheime der DDR-Jugendhilfe auf dem Gebiet des heutigen Freistaates Sachsen. Besondere Beachtung erfuhren dabei der Arbeitszwang in den Jugendwerkhöfen und die Lebensqualität in den Spezialheimen. Die schulischen Verhältnisse und die Möglichkeiten der beruflichen Ausbildung bildeten einen weiteren Schwerpunkt der Untersuchung, die auch Zeitzeugen zu Wort kommen lässt. > Mehr...
03.07. | Gedenkstätte Bautzen: Beginn der in den nächsten vier Wochen jeden Mittwoch veranstalteten Reihe "Kino im Freihof" unter dem Thema "Agentenfilme". Eröffnet wird das Freilichtkino mit "Dame, König, As, Spion" mit Gary Oldman, es folgen "Der Spion, der aus der Kälte kam" mit Richard Burton, "Romeo", "Die Verschwörung. Verrat auf höchster Ebene" und "Syriana" mit George Cooley und Christopher Plummer. > Mehr...
13.07. | Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig: Fahrradtour - Orte von NS-Zwangsarbeit im Leipziger Nordosten. Anschließend an die öffentlichen Führungen durch die Gedenkstätte wird eine Radtour durch den Leipziger Nordosten stattfinden. Im Mittelpunkt stehen dabei Orte von Zwangsarbeit im Nationalsozialismus – Lager und andere Unterkünfte, Fabriken, Arbeitersiedlungen und Gedenkorte. > Mehr...
16.07. | Leipzig: Gedenkveranstaltung: Verlegung von 22 neuen Stolpersteinen in Leipzig. Bisher liegen 180 "Stolpersteine" an 75 Orten in Leipzig. Am Freitag, den 16. Juli 2013, ab 9.30 Uhr, verlegt der Kölner Künstler Gunter Demnig 22 weitere Steine in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus in Leipzig. Vor den ehemaligen Wohnorten getöteter Mitbürger werden diese Erinnerungsmale ebenerdig in den Gehweg eingelassen. > Mehr...
NEUES AUS DER ARBEIT DER STIFTUNG UND IHRER GEDENKSTÄTTEN
Gedenkstätte Bautzen: In der Reihe "Lebenszeugnisse - Leidenswege" der Stiftung Sächsische Gedenkstätten ist das Heft 8 "Wege nach Bautzen II - Biographische und autobiographische Porträts", eingeleitet von Silke Klewin und Kirsten Wenzel, jetzt in einer neuen korrigierten vierten Auflage erhältlich. In hohem Maß interessieren sich viele Menschen gerade für die persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen, die individuellen Hintergründe der Inhaftierung, die Einzelschicksale der Inhaftierten und ihrer Familienangehörigen. Aufgrund dieses steigenden Interesses wurde das Heft 8, welches sich speziell mit Biographien einzelner Inhaftierter beschäftigt, erneut aufgelegt. Beiträge von Karl Wilhelm Fricke, Gustav Just, Manfred Wilke, Hossein Yazdi und anderen. > Mehr...
VERMISCHTES
06.06.2013 | Bürgerbüro e.V. Berlin: Zum 60. Jahrestag des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 hat das Bürgerbüro Berlin einen öffentlichen Appell an den Bundespräsidenten gerichtet, den 17. Juni zum Denk-Tag über deutsche Geschichte nach 1945 zu erklären. > Mehr...
KALENDERBLATT
17. Juni 1953 | Die anhaltend schlechte Versorgungslage und die Erhöhung der Arbeitsnormen bei gleicher Bezahlung löst überall in der DDR Streiks und Unruhen aus. Die Menschen fordern bald auch freie Wahlen, die Freilassung der politischen Gefangene und den Rücktritt der Regierung unter SED-Chef Walter Ulbricht.
Einer der Streikführer in Dresden ist Wilhelm Grothaus (1893–1965). Der Sozialdemokrat hatte sich Anfang der 1930er Jahre der KPD angeschlossen. Auf Grund seines Widerstands gegen die nationalsozialistische Diktatur als Angehöriger der Gruppe „Nationalkomitee Freies Deutschland“ war er wegen „Hochverrats“ angeklagt worden. Anders als vielen seinen Mitstreitern, die ermordet wurden, gelang ihm während des Luftangriffs am 13. und 14. Februar 1945 die Flucht aus dem Gefängnis des Oberlandesgerichts in der Dresdner Mathildenstraße.
Schon 1950 geriet Grothaus, der als leitender Mitarbeiter im sächsischen Ministerium für Land- und Forstwirtschaft tätig war, in Konflikt mit der SED-Führung, die ihn wegen „mangelnder Wachsamkeit“ zur „Bewährung in die Produktion“ schickte.
In seinem Betrieb ABUS Dresden gewann er die Achtung seiner Kollegen, die ihn am 17. Juni 1953 in die Streikleitung wählen und beauftragen, ihre Forderungen zu vertreten. Grothaus versucht, die streikenden Betriebe untereinander zu vernetzen. Im Tagesverlauf wird er zum Führer der Gesamtstreikleitung in Dresden erhoben. Doch die sowjetische Besatzungsmacht schlägt die Erhebung gewaltsam nieder und schon in der Nacht auf den 18. Juni 1953 wird Grothaus mit zahlreichen anderen Streikbeteiligten verhaftet.
Das Bezirksgericht Dresden verurteilt ihn am 23. Juli 1953 in einem Schauprozess am Münchner Platz wegen „Boykotthetze“ und „faschistischer Propaganda“ zu einer 15-jährigen Haftstrafe. Sein Status als „Opfer des Faschismus“ wird ihm im Laufe des Verfahrens aberkannt. Seine Haftzeit verbringt Grothaus in den Zuchthäusern Waldheim, Torgau und Leipzig. Erst durch den Gnadenerlass anlässlich des Todes des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck kommt Grothaus im November 1960 frei.
Foto: Wilhelm Grothaus als Redner, ca. 1950, SLUB Dresden/Deutsche Fotothek
ZITAT DES MONATS
So ergab sich ein historisches Paradoxon: Eben der moralisch-politische Bankrott des Ulbricht-Systems - durch das Flammenzeichen der Volkserhebung erhellt - führte in dialektischer Wechselwirkung auch dessen Rettung herbei: Er rettete Walter Ulbricht vor dem neuen Kurs, rettete damit seine politische Existenz. (...) Nicht deshalb nenne ich den 17. Juni eine Tragödie, weil er - aus diesem oder jenem Mangel - fehlschlug, unterdrückt werden konnte. Ich bezeichne ihn deshalb so, weil seine Helden, die Massen, genau wie in der klassischen griechischen Tragödie, ihren Untergang gerade mit der Aktion herbeiführten, die ihn hatte verhindern sollen. Sie bewirkten das Gegenteil von dem, was sie bezweckten: Sie zerstörten durch ihre Aktion gerade jenen Ansatz, den sie hatten entwickeln wollen. (...) So unfruchtbar der politische Ausgang des 17. Juni war, so schöpferisch wirkte er auf alle ein, die sich das Denken noch nicht abgewöhnt hatten.
Heinz Brandt, Ein Traum, der nicht entführbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West, München 1967, S. 244 und 246. Heinz Brandt bezieht sich in seiner Interpretation auf den im Zuge des Machtkampfes nach Stalins Tod durch die neue sowjetische Führung initiierten Kurswechsel, der auch die Entmachtung von Ulbricht vorsah. Brandt war als Funktionär der SED-Bezirksleitung Augenzeuge und Akteur am 17. Juni 1953 in Berlin.
Foto: Heinz Brandt 1958 (Mit freundlicher Genehmigung von Stefan Brandt)
IMPRESSUM
Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Dülferstraße 1
01069 Dresden
Redaktion: Dr. Bert Pampel/Gesine Quellmalz
pressestelle@stsg.smwk.sachsen.de
www.stsg.de
Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten erschließt, bewahrt und gestaltet historische Orte im Freistaat Sachsen, die an die Opfer politischer Verfolgung sowie an Opposition und Widerstand während der nationalsozialistischen Diktatur oder der kommunistischen Diktatur in der SBZ/DDR erinnern.