„Zerrissene Leben“: Gedenkstätte Münchner Platz Dresden erinnert an tschechoslowakische Frauen in KZ Ravensbrück
05.11.24
Die Haft im Konzentrationslager Ravensbrück bedeutete für diejenigen tschechoslowakische Frauen, die überlebten, eine harte Zäsur. Anlässlich der Tschechisch-Deutschen Kulturtage präsentierte Dr. Pavla Plachá am 31. Oktober 2024 in der Gedenkstätte Münchner Platz Dresden ihre Forschungsergebnisse über diese Häftlingsgruppe. Gekommen war auch Dr. Miroslav Kunštát, der von seiner in Ravensbrück inhaftierten Mutter Miroslava Majerová erzählte – und von deren Bruder Bohuslav Majer, der 1944 am Münchner Platz hingerichtete wurde.
„Zerrissene Leben“ hat Pavla Plachá ihre Dissertation überschrieben, die 2023 auf Deutsch erschienen ist. Warum sie diesen Titel gewählt habe, will Gedenkstättenleiterin Dr. Birgit Sack von der Historikerin wissen, die in Prag beim ÚSTR arbeitet, dem Institut zur Erforschung totalitärer Regime. „Es gibt keine gemeinsame Erfahrung der tschechoslowakischen Frauen im KZ Ravensbrück“, erklärt Plachá. „Das einzige war die erlebte Zäsur der Lagerhaft.“
Denn die Frauen, die zwischen 1939 und 1945 aus der vom nationalsozialistischen Deutschland zerschlagenen Tschechoslowakei im Lager festgehalten wurden, verband oftmals wenig außer ihrer Staatsangehörigkeit. Unter ihnen waren Frauen tschechischer Nationalität, aber auch Sudetendeutsche, Polinnen und Ungarinnen, jüdische Frauen und Sintizza. Vor den Nationalsozialisten wurden sie unterschiedlichen Häftlingsgruppen zugeteilt: „Politische“ Gefangene wurden etwa von „Asozialen“ oder „Kriminellen“ abgesondert. „Diese Kategorien hatten großen Einfluss auf das Leben jeder Frau im Lager“, sagt Plachá – sie bestimmten letztlich auch die Chancen zu überleben.
Miroslava Majerová, verheiratete Kunštátová (1922–2015) wurde als 20-Jährige 1941 festgenommen und ins KZ überstellt. „Sie war eine der jüngsten Frauen in Ravensbrück und deshalb Schützling der älteren Häftlinge“, berichtet ihr Sohn Miroslav Kunštát. Ihre politische Sozialisation im Lager unter den „politischen Gefangenen“ habe sie „ausschließlich kommunistisch geprägt“.
Der 66-jährige Historiker gibt auf der Veranstaltung einen Einblick in seine Familiengeschichte, die mit dem Konzentrationslager Ravensbrück ebenso verbunden ist wie mit der Dresdner NS-Justiz: Während seine Mutter 1945 frei kam, war ihr Bruder Bohuslav Majer (1920–1944) im Jahr zuvor vom Oberlandesgericht Dresden wegen „Hochverrats“ und „Feindbegünstigung“ hingerichtet worden. Auch der Vater der beiden, Alois Majer, der Großvater von Miroslav Kunštát, war während der NS-Zeit in Dresden inhaftiert.
Ein schweres Schicksal für die Großmutter, die mit den Familienangehörigen Briefkontakt hielt, so gut es ging. „Sie hat ihrem Ehemann erstmal nicht mitgeteilt, dass ihr Sohn hingerichtet worden war“, erzählt Kunštát. „Sie wollte den Familienangehörigen diesen Schock ersparen.“ Vieles erfuhr Kunštát erst nach dem Tod seiner Mutter 2015, als er deren Korrespondenz lesen konnte. Dabei fand er auch fünf Kassiber – also aus der Haft geschmuggelte Briefe: drei von seinem Großvater, zwei von seinem in Dresden hingerichteten Onkel.
Inwiefern Ravensbrück eine Zäsur im Leben seiner Mutter war, wird Miroslav Kunštát gefragt. „Nach ihrer KZ-Zeit fand sie alles oberflächlich – auch die Männer“, erzählt er schmunzelnd. „Es hat vier Jahre gedauert, bis mein Vater sie überredet hat.“ Birgit Sack will außerdem wissen, wie es für ihn war, als Kind einer Überlebenden aufzuwachsen. „Aus dem Rückblick finde ich es seltsam“, sagt Kunštát. Der engste Freundeskreis seiner Mutter habe ja aus ehemaligen Mitgefangenen bestanden. Jeden Sommer sei er zu diesen Frauen gebracht worden, die von Ravensbrück als einem „Mädchenpensionat am See“ gesprochen hätten. Lange verstand er nicht, was die Frauen durchgemacht hatten.
Die Geschichte seiner Mutter lässt ihn bis heute nicht los. Aktuell versucht er die Bauernfamilie ausfindig zu machen, bei der sie sich nach ihrer Flucht vom Todesmarsch 1945 verstecken konnte, bis sie von der Roten Armee befreit wurde.
Pavla Plachá: Zerrissene Leben. Tschechoslowakische Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück 1939–1945, VSA-Verlag, 456 Seiten, teilweise in Farbe, Hardcover, Erscheinungsjahr 2023, 34.80 Euro.
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