Bauforscherin zeigt ehemalige Hinrichtungsorte am Münchner Platz
11.09.24
Das frühere Dresdner Landgericht ist als Hinrichtungsort bekannt. Doch wo befand sich die Guillotine genau? Dieser Frage ging die Architektin und Bauforscherin Barbara Schulze am Tag des offenen Denkmals 2024 in der Gedenkstätte Münchner Platz Dresden nach. Zu zwei Rundgängen waren am Sonntag, 8. September 2024, interessierte Besucherinnen und Besucher gekommen. Das Ergebnis: Während sich die während des Nationalsozialismus genutzte Hinrichtungsstelle im ehemaligen Richthof mit großer Sicherheit lokalisieren lässt, kann der genaue Standort der zentralen Hinrichtungsstätte der DDR im heutigen Tillich-Bau bislang nur vermutet werden.
Die Ingenieurin Barbara Schulze hat über die Jahre mehrfach im Auftrag der Gedenkstätte Münchner Platz Dresden geforscht. Dabei wertete sie Baupläne, Fotografien und Akten aus, aber auch Hinterlassenschaften an den Gebäuden und im Boden. Als 2011 der Plattenbelag im ehemaligen Richthof am Münchner Platz ausgetauscht wurde, suchte sie nach Spuren des früheren Hinrichtungsortes. Während des Nationalsozialismus waren an dieser Stelle rund 1300 Menschen hingerichtet worden, davon zwei Drittel Tschechinnen und Tschechen. Die meisten der Opfer waren aus politischen Gründen zum Tode verurteilt worden.
Fotografien des Richthofs aus der Nachkriegszeit zeigen vier im Boden verankerte Eisenbolzen. Diese dienten aller Wahrscheinlichkeit nach zur Arretierung der Guillotine. Im Zuge ihrer archäologischen Grabungen fand die Bauforscherin keine Spuren dieser Verankerungen. Trotzdem konnte sie den Standort der Guillotine bis auf wenige Zentimeter genau bestimmen: Dafür setzte sie die fotografisch dokumentierten Punkte der früheren Eisenbolzen in ein Raster ein, das sie über den Hof gelegt hatte. Inzwischen markiert eine schlichte graue Markierung den ehemaligen Standort der Guillotine. Barbara Schulze merkt kritisch an, dass ihre Befunde nicht ganz so eindeutig waren: „Wenn man versucht, Befunde gestalterisch zu vermitteln, wird eine klarere Aussage gemacht als es die Forschung belegen kann.“ Trotzdem halte sie diese Installation für die Arbeit der Gedenkstätte für sehr wichtig. Zumal aus der Zeit der DDR-Gedenkstätte in einer Ecke des Hofes ein Gedenkstein existiert. Lange Zeit war behauptet worden, dieser markiere den Standort der Guillotine.
Nach dem Zweiten Weltkrieg vollstreckte die Justiz der sowjetisch besetzten Zone und der neu gegründeten DDR weiterhin Todesurteile am Münchner Platz. Wie der Gedenkstättenmitarbeiter Dr. Gerald Hacke berichtet, war allerdings die alte Guillotine 1945 zerstört und 1948 ein neues – kleineres – Fallbeil angefertigt worden. 1952 kam dann der große Schnitt: „Die Hinrichtungen wurden nach Auslösung der Länder zentral vollstreckt und gingen von der Justiz an die Volkspolizei über“, sagt Hacke. Von 1952 bis 1956 befand sich der zentrale Hinrichtungsort der DDR in Dresden. 66 Menschen verloren hier ihr Leben – davon 39 aus politischen Gründen.
Barbara Schulz führt die Teilnehmenden des Rundgangs an die Stelle des heutigen Tillich-Baus in der George-Bähr-Straße, an der sich einst die Einfahrt zum Haftkomplex befand. Davon ist auf den ersten Blick nichts zu sehen. „Man hat eine sehr gefällige Lösung gewählt, so dass man heute gar nicht mehr begreift, dass man vor dem Haupteingang steht“, sagt Schulz. Sie deutet auf zwei Fenster im Untergeschoss etwas weiter rechts. In dem dahinter liegenden Raum vermutet sie den Standort der DDR-Hinrichtungsstätte. „Wir haben den Ort nach dem Ausschlussprinzip gefunden“, erklärt sie. Der gesuchte Raum hatte eine Reihe von Bedingungen zu erfüllen: Er musste sich in einem abgeschlossenen Gebäudeteil befinden, aber eine Verbindung zum Hafthaus haben. Er musste über einen Wasseranschluss verfügen und in unmittelbarer Nähe von kleineren Räumen sein, die als Zellen für die zum Tode Verurteilten genutzt werden konnten. All dies sei hier der Fall gewesen.
Der Raum im Untergeschoss des Tillich-Baus ist heute ein Seminarraum. In der Mitte stehen Computer auf Tischen. Die Teilnehmenden der Führung schauen sich um: Hier soll die Guillotine gestanden haben? „Materielle Spuren, die das definitiv belegen, gibt es nicht“, sagt Schulze. „Denn später wurde der Raum für die Kartographie umgebaut.“ Klärung könnte aus ihrer Sicht möglicherweise eine intensive Untersuchung des Fußbodens bringen. Pläne der Abwasserleitungen zeigen, dass in den Raum ein Abfluss für Abwasser eingebaut worden war – vermutlich direkt neben dem Standort des Fallbeilgeräts. Der Bodeneinlauf müsse sich unter dem heutigen Fußboden befinden, schlussfolgert Schulz: „Im Boden schlummert möglicherweise der Nachweis, dass dort die Guillotine stand.“
Das Fazit der Bauforscherin: Die Wahrscheinlichkeit sei sehr hoch, dass sich in dem Seminarraum der erste zentrale Hinrichtungsort der DDR befunden hat. Barbara Schulz wirft die Frage auf, wie mit dem Ort umgegangen werden soll: „Ich weiß nicht, ob es nicht angemessen wäre, an die Menschen zu erinnern, die hier ihr Leben verloren haben.“
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Volker Strähle (Referent Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit)
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