Freiwillig hinter Gittern
sz-online/Sächsische Zeitung, Samstag, 21. April 2012
Von Sebastian Kositz
Julia Kallauch arbeitet für ein Jahr ehrenamtlich im früheren Stasi-Knast. Eine fesselnde Aufgabe.
Julia Kallauch hockt auf ihrem Stuhl. Sie blickt aus dem Fenster hinauf zum Himmel. Der Blick dorthin wird von soliden Metallstreben zerschnitten. Die 21-Jährige sitzt hinter Gittern. Seit Anfang Oktober. Und das freiwillig.
Die junge Frau absolviert derzeit in der Gedenkstätte Bautzen ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Dafür haben ihr die Mitarbeiter der Gedenkstätte eigens ein Büro im alten Verwaltungstrakt des ehemaligen Stasi-Knastes eingerichtet. Die Gitter vor dem Fenster sind ein Teil der Geschichte von Bautzen II. Einfach abmontieren geht nicht.
Das ist schon bedrückend, meint die zierliche junge Frau. Vielleicht sitzt sie auch deshalb mit dem Rücken zum Fenster. Vor ihr steht ein großer Schreibtisch, darauf ein Computer. In dem Regal rechts an der Wand und auf einem Beistelltisch neben ihrem Schreibtisch stapeln sich dutzende Bücher. „Die muss ich für unser Archiv inventarisieren“, sagt Julia Kallauch. Eine interessante Aufgabe, wie sie meint. Denn hin und wieder kommt es vor, dass sie sich dabei in einem der Bücher festliest. Besonders die Einzelschicksale der von der Stasi Verfolgten fesseln sie.
Dabei wusste Julia Kallauch vor dem Beginn des FSJ-Dienstes nicht besonders viel über die Geschichte der DDR. Als sie geboren wurde, war die Mauer gerade gefallen. „Meine Eltern haben mir erzählt, dass man nicht verreisen konnte und dass es keine Bananen gab“, sagt die 21-Jährige, die vor zweieinhalb Jahren am Schiller-Gymnasium ihr Abitur abgelegt hat.
Filmreife Geschichte
Doch auch in der Schule sei das Thema nie tiefgreifend angepackt worden, wie sie meint. Richtig erfassen ließe sich das Ausmaß der Unterdrückung erst durch die Arbeit vor Ort. „Das ist zum Teil wie im Film. Etwa der Ausbruch von Dieter Hötger“, sagt Julia Kallauch. Der Häftling hatte 1967 von den Wachen unbemerkt mit viel Aufwand ein Loch in die Gefängniswand gegraben. Er entkam, wurde allerdings wieder aufgespürt. – Zu den Aufgaben von Julia Kallauch gehört aber nicht nur das Erfassen von Büchern. Sie pflegt unter anderem auch den Postverteiler für die Öffentlichkeitsarbeit, erstellt den Pressespiegel und erledigt typische organisatorische Arbeiten, die in der Gedenkstätte anfallen. Außerdem hat sie einen Fragebogen für eine großangelegte Besucherumfrage erarbeitet. Darin will die FSJlerin unter anderem wissen, wie die Gäste die Arbeit der Gedenkstätte wahrnehmen und warum sie hergekommen sind. Später will Julia Kallauch die Ergebnisse der Umfrage in einem Bericht zusammenfassen. „Bei der Umfrage geht es darum zu schauen, wie wir die Zielgruppen ansprechen können, die bislang noch nicht da waren“, erklärt die junge Frau.
Das Handwerkszeug für die Gestaltung einer solchen Umfrage hat Julia Kallauch aus ihrer Ausbildung mitgebracht. In Dresden hat die 21-Jährige einen Abschluss im Bereich Tourismus-Marketing gemacht. Als Abschlussarbeit hat sie eine Tourismus-Studie für Bautzen erstellt – mit Unterstützung der Stadt. Vom Stadtmarketingchef André Wucht erhielt sie auch den Tipp mit der freien FSJ-Stelle in der Gedenkstätte. „Ich wusste bis dahin gar nicht, dass es FSJ-Stellen auch im Bereich Politik gibt“, sagt Julia Kallauch, die in der Tätigkeit nicht nur einfach eine Möglichkeit sieht, ein Jahr zu überbrücken: „Neben der Geschichte erfahre ich auch viel über Abläufe in einer Verwaltung oder wie ich etwa eine Pressemitteilung schreibe und verbreite.“
Wissen, dass Julia Kallauch später in ihrem Beruf mit nutzen möchte. Nach dem Jahr will sie eine Ausbildung in einer Verwaltung oder als Bürokauffrau dranhängen. Sogar mit der Vorstellung, anschließend Geschichte zu studieren, hat sie bereits geliebäugelt.
Die FSJ-Stelle in der Gedenkstätte Bautzen wird zum 1. September neu besetzt. Bewerbungen nimmt bis zum 15. Mai die Sächsische Jugendstiftung in Dresden entgegen. Die Interessenten müssen zwischen 16 und 24 Jahre alt sein. Der Dienst wird monatlich mit 300 Euro vergütet. Kontakt Sächsische Jugendstiftung: 03514820783 Internet: www.saechsische-jugendstiftung.de