Offener Brief an das Kuratorium und den Rektor der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie „Das Rauhe Haus“ in Hamburg
26.03.12
Sehr geehrte Damen und Herren,
in den Lehrmaterialien Ihrer Hochschule im Modul „Geschichte, Strukturen und Ansätze sozialer Arbeit“ ist ein Kapitel „Rückblick auf die Soziale Arbeit in der DDR“ von Eberhard Mannschatz enthalten, das auf einem Vortrag aus dem Jahr 1995 basiert.
Als Leiter der Abteilung Jugendhilfe/Heimerziehung im Ministerium für Volksbildung der DDR von 1951 bis 1954 sowie 1958 bis1977 trägt Eberhard Mannschatz politische Verantwortung für das rigide System der Umerziehung in den Spezialheimen der DDR, welches er in ebendiesem Kapitel leugnet (vgl. S. 211).
Eberhard Mannschatz war als Abteilungsleiter u. a. verantwortlich für die Einrichtung des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau 1964, in welchem die Menschenrechte und die Würde der über 4.000 zur Disziplinierung eingewiesenen Jugendlichen systematisch verletzt wurde (vgl. Urteil des Kammergerichtes Berlin, 2004). Kritische Berichte über die Zustände im GJWH lagen dem Ministerium für Volksbildung und damit auch E. Mannschatz vor, ohne dass es zu maßgeblichen Veränderungen bis zur Schließung dieser Einrichtung im November 1989 kam. Desweiteren beförderte Mannschatz die autoritäre Arbeits- und Disziplinerziehung in den Spezialheimen, die vorrangig auf Anpassung und Einordnung der Kinder und Jugendlichen ins Kollektiv zielte. Auch war er an den Konzepten zur „Bandenbekämpfung“ beteiligt, welche der Verfolgung der Jugendkulturen z. B. Beatfans in der DDR dienten. (Vgl. Expertise von Laudien/Sachse: „Erziehungsvorstellungen in der Heimerziehung der DDR. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums des Inneren, 2011).
Wir fordern Sie auf, einem Hauptverantwortlichen der DDR-Jugendhilfe wie Eberhard Mannschatz in Ihren Lehrmaterialien keine Plattform zu bieten. Es ist nicht hinzunehmen, dass jemand wie er als Kronzeuge gelungener „Sozialarbeit“ in der DDR herangezogen wird. Weiterhin laden wir Sie ein, die Dauerausstellung „Ich bin als Mensch geboren und will als Mensch hier raus. Der GJWH Torgau im Erziehungssystem der DDR“ zu besuchen und mit Betroffenen ins Gespräch zu kommen.
Der Vorstand der Initiativgruppe GJWH Torgau
Lutz Rathenow, Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen
Siegfried Reiprich, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Sächsische Verfolgtenverbände und Aufarbeitungsinitiativen:
Bürgerkomitee Leipzig e.V., Museum in der „Runden Ecke“ Leipzig
Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V.
Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen e.V.
Martin-Luther-King-Zentrum e.V. - Archiv der Bürgerbewegung Südwestsachsens
Erkenntnis durch Erinnerung e.V.
Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V., Landes¬¬gruppe Sachsen
Umweltbibliothek Großhennersdorf e. V.
Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, Regionalstelle Sachsen
Arbeitskreis ehemaliger politischer Häftlinge in der früheren DDR
Opfer-, Förder- und Doku¬men¬tationsverein Bautzen II
Bautzen-Komitee e.V.
Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V., Chemnitz