Im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus: Der italienische Kriegsgefangene Giacomo Baccarani
24.01.23
Am 27. Januar 2023 wird in Deutschland der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Neben den jüdischen Verfolgten soll an diesem Gedenktag auch an andere Menschengruppen erinnert werden, welche unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gelitten haben.
Aus diesem Anlass hat sich die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain dazu entschlossen, mit einer Biografie die Geschichte des in Zeithain verstorbenen „Italienischen Militärinternierten“ Giacomo Baccarani öffentlich zu machen und an ihn zu erinnern.
Geboren am 1. Juli 1944 in Novellara (Reggio Emilia), arbeitete er bis zu seinem Einzug zum Militär 1941 als Arbeiter in der Landwirtschaft. Nach dem Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten wurde Giacomo Baccarani mit weiteren Soldaten seines Regiments am 12. September 1943 in Udine von den Deutschen festgesetzt und gelangte über verschiedene Stationen in das Stammlager IV B Mühlberg. In diesem Zeitraum begann er mit dem Schreiben eines Tagebuchs, was zu den seltenen Zeugnissen von in Zeithain verstorbenen Gefangenen gehört.
Von dort wurde er am 10. Februar einem Arbeitskommando für die Heeresmunitionsanstalt Altenhain-Wurzen bei Leipzig überstellt. Die kärglichen Rationen waren für die harte Arbeit völlig unzureichend, wie er es in seinem Tagebuch beschrieb. Erkrankt und arbeitsunfähig wurde ihm im August im Kriegsgefangenen-Reservelazarett Leipzig-Wahren eine offene Tuberkulose diagnostiziert, woraufhin er am 30. August 1944 nach Zeithain gebracht wurde.
Laut seinem Tagebuch schöpfte er trotz seines sich immer weiter verschlechternden Gesundheitszustands Kraft aus der Anwesenheit der italienischen Militärpriester im Lager, welche ihm zudem frische Kleidung besorgten.
Trotz der Bemühungen vonseiten des italienischen Pflegepersonals erhöhte sich die Sterblichkeit im Lager in diesem Zeitraum kontinuierlich. Zeithain wurde so nach den sowjetischen auch für die italienischen Kriegsgefangenen zu einem Sterbelager. Auch Giacomo Baccarani verstarb am 25. November 1944 an der Tuberkulose.
Anders als die sowjetischen Gefangenen wurden die 874 italienischen Toten in Einzelgräbern mit militärischen Ehren bestattet. So wurde Giacomo Baccarani in Grab Nummer 575 beerdigt, seine wenigen Habseligkeiten samt des Tagebuchs behielt der italienische Priester Padre Erio Ghidini, welcher sie nach dem Krieg den Eltern in Novellara übergab.
Nach dem Krieg wurde der italienische Friedhof durch die sowjetischen Streitkräften vernachlässigt und schließlich eingeebnet. Die sterblichen Überreste der italienischen Opfer wurden daher erst 1991 wiederentdeckt und in ihre Heimat überführt, wo sie mit militärischen Ehren auf dem Gelände des zentralen Kriegerehrenmals Redipuglia in Italien in Empfang genommen wurden. Unter ihnen waren auch die Gebeine von Giacomo Baccarani. Teilweise wurden sie anschließend in den Familiengräbern in den Geburtsorten beerdigt, die übrigen Gefallenen auf dem Soldatenfriedhof in Bari beigesetzt. Das Grab von Giacomo Baccarani befindet sich heute auf dem Friedhof seiner Heimatgemeinde Novellara.
Die Gedenkstätte Zeithain erinnert mit Namenstafeln am Ort des ehemaligen italienischen Friedhofs an die verstorbenen Italiener. Darunter findet sich auch der Name von Giacomo Baccarani. In seiner Heimatgemeinde Novellara in der Provinz Reggio Emilia wurde im Frühjahr 2020 durch Angehörige und das dortige Geschichtsinstitut Istoreco ein Stolperstein mit den Daten von Giacomo Baccarani verlegt und festlich eingeweiht. In Deutschland wie in Italien galten die verstorbenen wie auch überlebenden italienischen Militärinternierten lange als ignorierte und vergessene Opfergruppe, ihre Gefangenschaft erfährt erst seit einigen Jahren mehr Aufmerksamkeit in beiden Ländern.
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Milan Spindler
Referent für Öffentlichkeitsarbeit
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