Gräberstätte Pirna-Sonnenstein eingeweiht. Über sechs Meter hohes Gedenkkreuz erinnert an fast 15.000 Opfer der NS-Tötungsanstalt
02.11.11
Am 2. November 2011 wurde die „Gräberstätte am Elbhang Pirna-Sonnenstein“ unterhalb der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein eingeweiht. In der während des Nationalsozialismus als „Euthanasie“-Anstalt genutzten ehemaligen Heilanstalt Pirna-Sonnenstein wurden in den Jahren 1940/41 mehr als 13.000 vorwiegend psychisch kranke und geistig behinderte Menschen sowie über 1000 Häftlinge aus Konzentrationslagern ermordet und anschließend verbrannt.
Nachdem archäologische Grabungen bestätigt hatten, dass die Asche aus den Verbrennungsöfen auf dem angrenzenden Elbhang aufgeschüttet wurde, ließ die Stadt Pirna hier eine würdevolle Außenanlage mit einem über sechs Meter hohen Gedenkkreuz für die „Euthanasie“-Opfer Pirna-Sonnensteins anlegen.
Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke: „Durch das Engagement von Bürgern und Verantwortlichen ist es uns gelungen, einen Ort zu schaffen, der an das Leid der fast 15.000 Toten in eindrucksvoller Weise erinnert und nicht nur den Angehörigen eine neue Form des Gedenkens ermöglicht. Ich danke allen, die sich dafür eingesetzt haben, dass dieses Vorhaben umgesetzt werden konnte. Nehmen wir es würdig in unsere Stadt auf und erfüllen wir diese Erinnerung mit Leben – damit diese Geschichte nicht verblasst!“
Erst nach dem Ende der SED-Diktatur konnte die Gräberstätte durch historische und archäologische Forschungen nachgewiesen werden. Auf Initiative der Stadt Pirna, der Stiftung Sächsische Gedenkstätten und des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge wurde im Jahr 2011 die Gräberstätte errichtet und damit ein Ort des Gedenkens geschaffen. Sie erinnert nun an eines der größten Massengräber aus der Zeit des Nationalsozialismus in Sachsen.
Anlässlich dieses Ereignisses sagt Dr. Klaus-Dieter Müller, stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten: „Dieser Tag ist für die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, aber auch für den Freistaat Sachsen von besonderer Bedeutung. Bildet er doch den vorläufigen Abschluss einer nun schon etwa 22-jährigen Entwicklung, in deren Mittelpunkt die Erinnerung an Tausende Opfer des ersten großen Massenmordes des NS-Regimes in Sachsen steht.“
An der Gedenkstunde nahmen nicht nur Vertreter der Politik, sondern auch Angehörige von Opfern teil. Die Anwesenheit hochrangiger Vertreter aus Tschechien und Polen würdigt die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein und ihre Bemühungen für die Aufarbeitung der Geschichte. Sie leistet Arbeit für Hinterbliebene in verschiedenen Ländern und sie ist ein Zeichen dafür, dass mehr als 70 Jahre nach den schrecklichen Geschehnissen hier in Pirna die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg funktioniert und ein gemeinsames europäisches Gedenken gelingt.
Informationen zur Gräberstätte:
Im Jahr 2002 beauftragte die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein archäologische Grabungen am Elbhang. Die wissenschaftliche Untersuchung des gefundenen Materials bestätigte das Vorliegen menschlicher Knochen. Daher wurde die Fläche nach dem Gräbergesetz als Sammelgrabfläche anerkannt.
Dank der Finanzierung durch den Freistaat Sachsen ließ die Stadt Pirna die Anlage für rund 150.000 Euro als Gräberstätte gestalten. Die Arbeiten begannen am 15. August und wurden Ende Oktober abgeschlossen. Die Gestaltung des Areals wurde mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. – Landesverband Sachsen, der Gedenkstätte und der Stadtverwaltung Pirna abgestimmt. Zur Vermeidung von Bodenerosion und zur Wahrung der Totenruhe wurden die Eingriffe in den Hangbereich minimiert. Baugrunduntersuchungen ergaben eine Mächtigkeit der aschehaltigen Auffüllungen verschiedener Herkunft von bis zu 8,60 Meter im Bereich der Hangkante. Mit einer Gesamthöhe von über sechs Metern zeigt das Kreuz den symbolischen Schichtenaufbau der Asche in schlichtem künstlerisch bearbeitetem Stampfbeton. Im Hangbereich symbolisiert eine bodendeckende, weißblühende Bepflanzung die „Aschefläche“ und dient gleichzeitig als Erosionsschutz. Da die tatsächliche Ausdehnung des Gräberfeldes (bzw. Aschefeldes) damals nicht dokumentiert wurde und heute aufgrund der Waldbildung und starken Hangneigung schwer zu bestimmen ist, ist die Dimension des Gräberfeldes auf dem Hang symbolisch in Gebäudebreite der Gedenkstätte von der Hangkante bis zum Canalettoweg dargestellt. Dazu wurden in diesem Bereich die Bäume mit einem weißen Anstrich deutlich hervorgehoben und der punktuelle Wildaufwuchs beseitigt. Als respektvoller Rahmen entstand entlang des Gebäudes eine dekorative Pflanzfläche, in Anlehnung an Grabflächenschmuck.
Durch den Abriss der Mauer zwischen Elbhang und Gedenkstätte wurde eine direkte Sichtbeziehung zwischen der Gedenkstätte und dem Gräberfeld hergestellt. Insbesondere der Blick aus den Kellerräumen, in denen die Tötungen und Verbrennungen stattfanden, verdeutlicht den Besuchern, welchen würdelosen Weg die sterblichen Überreste der Opfer nahmen.
Der Weg von der Gedenkstätte zum Gräberfeld ist barrierefrei zugänglich. Die vorhandenen Wegeverbindungen wurden in die Gräberstätte integriert und befestigt. Zwei Informationstafeln weisen auf die Geschehnisse hin.
Autoren: Sabine Schlechtiger, Pressesprecherin der Stadt Pirna; Dr. Boris Böhm, Leiter der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein