Nachruf auf Siegfried Hentschel
02.02.12
Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft trauert um das Mitglied ihres Stiftungsrates, Herrn Siegfried Hentschel, der am 17. Januar 2012 im Alter von 85 Jahren verstorben ist.
Der gebürtige Dresdner, der schon als Jugendlicher politischen Repressionen durch die Nationalsozialisten ausgesetzt war, trat auch unter der kommunistischen Gewaltherrschaft in der SBZ/DDR für Freiheit und Demokratie ein. Ende der 40er-Jahre war er aus französischer Kriegsgefangenschaft nach Dresden zurückgekehrt. 1949 nahm der gelernte Elektroinstallateur Kontakt zum Ostbüro der SPD und zur Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) in Westberlin auf. Wegen SED-kritischer Flugblattaktionen in Dresden wurde er 1951 von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet und in deren Untersuchungsgefängnis in der Bautzner Straße Dresden verhört. Zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, musste Siegfried Hentschel nach einigen Monaten Haft im Gefängnis Bautzen I unter unmenschlichen Bedingungen im sowjetischen Straflager Workuta in einem Steinkohlenschacht arbeiten. Im Ergebnis der Verhandlungen, die Bundeskanzler Konrad Adenauer 1955 betreffs der letzten Kriegsgefangenen und Lagerhäftlinge in Moskau führte, kam auch Siegfried Hentschel frei. Er ließ sich diesmal in Hamburg nieder und gründete eine Familie. Dort war er viele Jahre als Betriebsratsvorsitzender der Firma Reemtsma und auch als Kommunalpolitiker tätig. Der Eintritt in den Ruhestand führte ihn und seine Frau Edeltraut zunächst für einige Jahre nach Südfrankreich, bis ihn nach der Wiedervereinigung Deutschlands die Sehnsucht 1999 in seine Heimatstadt Dresden zog.
Bald trieb ihn die Neugier an den Ort, an dem 1951 sein Leidensweg in der kommunistischen Diktatur begann – in die Bautzner Straße. Dort fand er eine Gedenkstätte vor, zu der nicht nur die ehemalige Untersuchungshaftanstalt der Bezirksverwaltung Dresden des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR gehört, sondern auch jene Kellerzellen, die einst die sowjetische Geheimpolizei als Verwahrräume für politische Untersuchungshäftlinge wie ihn nutzte. Von Stunde an engagierte sich Siegfried Hentschel für die Entwicklung der Gedenkstätte in deren Trägerverein „Erkenntnis durch Erinnerung e.V.“, aber vor allem auch als Zeitzeuge. Hunderten von Besuchergruppen und Schulklassen berichtete er sachlich und authentisch am historischen Ort, aber auch landesweit in Schulen von seinem Leidensweg. Als Konsequenz aus der Erfahrung in zwei Diktaturen ermutigte er besonders junge Menschen, sich aktiv für Freiheit und Demokratie einzusetzen. Seine antitotalitäre Grundhaltung kam auch in seiner Mitgliedschaft im Münchner-Platz-Komitee e. V. zum Ausdruck. Am 2. Juni 2007 verlieh ihm der Präsident des Sächsischen Landtages für seine Verdienste die Verfassungsmedaille des Freistaates Sachsen.
Ab Oktober 2003 vertrat Siegfried Hentschel den Verein „Erkenntnis durch Erinnerung e.V.“ im Stiftungsbeirat der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Herr Hentschel erwarb sich durch seine sachlich-konstruktive, ausgleichende und humorvolle Art großes Ansehen bei den anderen Mitgliedern dieses Gremiums. Auf Vorschlag der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft entsandte ihn der Stiftungsbeirat ab 25. Januar 2008 als einen seiner Vertreter in den Stiftungsrat. Auch dort waren sein Rat und sein ausgewogenes Eintreten für die Opfergruppen beider Diktaturen stets sehr geschätzt.
Siegfried Hentschels Tod hinterlässt eine schmerzliche, nicht zu schließende Lücke in der praktischen Gedenkstättenarbeit vor Ort, im bürgerschaftlichen Engagement der Fördervereine, wie auch in der Arbeit der die Stiftung begleitenden Gremien. Die Stiftung wird sein Andenken bewahren und ihre Arbeit in seinem Geiste fortsetzen.
Siegfried Reiprich
Geschäftsführer