„Ich hatte einen schönen Traum“ – zur Erinnerung an Joseph Stephany (1921–2009)
21.12.21
„Ich hatte einen schönen Traum“, schrieb Joseph Stephany kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 7. März 1945 in sein Tagebuch. „Ich habe es geschafft, aus dem Gefängnis zu fliehen.“ Der junge Luxemburger war zu diesem Zeitpunkt als Deserteur im Wehrmachtgefängnis Fort Zinna in Torgau inhaftiert. Geboren am 21. Dezember 1921, wäre Joseph Stephany heute einhundert Jahre alt geworden.
Jos, wie Freunde und Familie ihn nannten, war im März 1944 im Alter von 23 Jahren von den Deutschen verhaftet worden. Knapp zwei Jahre vorher, im Mai 1942, war er aus dem deutsch besetzten Luxemburg in das Nachbarland Belgien geflohen. Er hatte schon seit zwei Jahren gezwungenermaßen bei der Waffen-SS kämpfen müssen und war dabei schwer verwundet worden. Seinen ersten Heimaturlaub in Luxemburg nutzte er und desertierte. Mehrere seiner Geschwister flüchteten mit ihm. Alle schlossen sich der belgischen Widerstandsbewegung „Armée blanche“ an. Joseph Stephany erhielt dort eine neue Identität und nannte sich Joseph-Jules Dupont. Er war untergetaucht. Die Familienmitglieder, die in Luxemburg blieben, wurden von den Deutschen zwangsweise in ein Umsiedlerlager in Schlesien transportiert.
Ab dem Tag seiner Verhaftung führte Joseph Stephany das Tagebuch. Seine berührenden Schilderungen über die Haft im Zweiten Weltkrieg in mehreren deutschen Militärgefängnissen, darunter ein gutes halbes Jahr in Torgau, sind überliefert. Stephany hielt fest, was ihn bewegte und worunter er litt: Hunger, Angst, Ungewissheit, Heimweh und die Sehnsucht nach den Freunden und der Familie finden sich in seinen Aufzeichnungen. Er schrieb in französischer Sprache, nicht auf Luxemburgisch oder auf Deutsch, um sich von den deutschen Besatzern abzugrenzen.
Vor allem der ständige Hunger setzte ihm zu. Schon als er am 21. September 1944 im Fort Zinna in Torgau ankam, schrieb er: „Es ist kalt. Mich quält der Hunger.“ Auch seinen 23. Geburtstag im Dezember 1944 musste er in Haft in Torgau verbringen. Es war ein besonders schwerer Tag für ihn: „Ich könnte so viel schreiben, da mir viele Dinge durch den Kopf gehen, aber aus Vorsicht verzichte ich darauf“, notierte er. Er schrieb aber genau auf, was es zu essen gab, und war über ein Stück Butter glücklich: „Abendessen: zwei Scheiben Brot, Kaffee und ein Stück Butter. Wie gut das schmeckt ‚Brot mit Butter‘“. Wenige Tage später war Weihnachten und er war mit seinen Gedanken Zuhause: „Dann träume ich von der schönen Krippe und dem Weihnachtsbaum.“
Immer wieder erfuhr Joseph Stephany, dass andere Luxemburger Häftlinge im Fort Zinna zum Tode verurteilt und direkt auf dem Gelände hingerichtet wurden. Das machte ihm besonders zu schaffen. Für die Nachwelt hielt er alle Namen in seinem Tagebuch fest. Er selbst konnte einem Todesurteil wegen Fahnenflucht und bewaffnetem Widerstand nur durch Glück entgehen. Er überlebte die Haft und den Zweiten Weltkrieg. Im Mai 1945 kam er wieder in seiner Heimat Luxemburg an.
Für das kommende Jahr ist die Veröffentlichung des Tagebuchs als einem bedeutenden Zeugnis der Verfolgung und der Haft im Zweiten Weltkrieg geplant. Dafür arbeiten das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Torgau und das Nationale Militärgeschichtliche Museum in Luxemburg (Musée National d'Histoire Militaire) sowie Richard Stephany, der Sohn Joseph Stephanys, zusammen. Schülerinnen und Schüler des Johann-Walter-Gymnasiums in Torgau haben das Tagebuch gemeinsam mit ihrer Französisch-Lehrerin Kerstin Stephan bereits ins Deutsche übersetzt.
Kontakt:
Elisabeth Kohlhaas
Ausstellungsbetreuung, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, Projektkoordinatorin „Neukonzeption der Dauerausstellung“
Tel.: 03421 7739681
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