Grußwort der Sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Prof. Dr. Dr. Sabine von Schorlemer, vertreten durch Herrn Staatssekretär Dr. Henry Hasenpflug, anlässlich der Eröffnung der Gräberstätte an der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein am 02.11.2011
Sehr geehrte Angehörige der Opfer der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein,
die Sie von nah und fern, aus dem In- und Ausland, den Weg hierher an einem so schweren Tag gefunden haben:
Ich möchte Sie im Namen der Sächsischen Staatsregierung und des Stiftungsrates der Stiftung Sächsische Gedenkstätten sehr herzlich zu dieser Veranstaltung begrüßen, in deren Mittelpunkt die Einweihung einer in ihren Dimensionen kaum fassbaren Gräberstätte in Sachsen steht – endlich, 70 Jahre nachdem das Morden auf dem Sonnenstein stattgefunden hat. Seien Sie alle herzlich willkommen!
Sehr herzlich begrüße ich
den Herrn Landtagspräsidenten Dr. Rößler
sowie die Vertreter der Republik Polen und der tschechischen Republik, Herrn Botschafter Jindrak
und Herrn Gesandter Szynka
und die Vertreter des Rates zur Bewahrung des Gedenkens an Kampf und Martyrium aus Warschau,
weiterhin Herrn Aris als Vertreter des Zentralrates der Juden in Deutschland.
Herzlich Willkommen auch Ihnen!
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des deutschen Bundestages und des Sächsischen Landtags,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Hanke,
sehr geehrter Herr Professor Landgraf-Dietz,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
der heutige Tag ist für die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, aber auch für den Freistaat Sachsen von besonderer Bedeutung, bildet er doch den vorläufigen Abschluss einer nun schon etwa 22jährigen Entwicklung, in deren Mittelpunkt die Erinnerung an die Tausenden von Opfern des ersten großen Massenmordes des NS-Regimes in Sachsen steht.
Die Sächsische Verfassung, getragen vom Geist der friedlichen Revolution, hat bereits in ihrer Präambel Bezug auf die totalitären Diktaturen in Deutschland genommen.
Sie spricht darin von den leidvollen Erfahrungen nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft – ohne diese damit gleichzusetzen – und sie bekennt sich zu eigener Schuld.
Daraus abgeleitet ist der Auftrag, sich mit den beiden Vergangenheiten, der nationalsozialistischen Herrschaft mit ihren Massenmorden, sowie der SED-Diktatur kritisch auseinander zu setzen und hieraus für die Gegenwart und Zukunft zu lernen.
In Artikel 117 bekennt sich die Verfassung ausdrücklich dazu, die Ursachen individuellen und gesellschaftlichen Versagens in der Vergangenheit abzubauen und ihre Folgen für die Verletzung der Menschenwürde zu mildern.
Auf staatlicher Seite ist dies u.a. durch die Gründung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, zu der auch die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein gehört, im Jahre 1994 geschehen.
Heute verfügt die Stiftung über fünf Gedenkstätten in eigener Trägerschaft. Darüber hinaus unterstützt sie im Auftrag von Freistaat Sachsen und dem Bund Gedenkstätten in freier Trägerschaft sowie eine ganze Reihe von Aufarbeitungsinitiativen, die alle ihre Aufgabe entweder in der Aufarbeitung der NS-Gewaltherrschaft oder der SED-Diktatur oder, soweit an einem Ort in beiden Perioden Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, beider Diktaturen sehen.
Doch der Anfang war schwer. Grundsätzlich ist gerade für das Verbrechen, das heute im Mittelpunkt unserer Gedenkveranstaltung steht, die Euthanasie-Morde der Nazis, zu konstatieren, dass erst zum Ende der SED-Diktatur erste Gedenkanstöße umgesetzt werden konnten.
Seit Herbst 1989 drang das historische Geschehen auf dem Sonnenstein allmählich in das öffentliche Bewusstsein der Stadt. Am 1. September 1989 fand auf Initiative einiger an der Aufklärung interessierter Bürger eine kleine Ausstellung des Historikers Götz Aly zur „Aktion T4" im Evangelisch-Lutherischen Gemeindezentrum Pirna-Sonnenstein anlässlich des 50. Jahrestages des Beginns der nationalsozialistischen Krankenmordaktionen statt, die viel öffentliche Beachtung fand.
In der Folge entstand eine Bürgerinitiative zur Schaffung einer würdigen Gedenkstätte für die Opfer der „Euthanasie"-Verbrechen auf dem Sonnenstein. Im Juni 1991 konstituierte sich daraufhin das Kuratorium Gedenkstätte Sonnenstein e.V., ein bürgerschaftlicher Verein
Nach archivalischen Forschungen und bauarchäologischen Untersuchungen in den Jahren 1992 bis 1994 wurden die zur Tötung genutzten Kellerräume seit 1995 rekonstruiert und als Gedenkstätte eingerichtet.Seit dem Jahr 1999 gehört die Gedenkstätte nunmehr zur Stiftung Sächsische Gedenkstätten.
In ihrem Auftrag entstand eine ständige Ausstellung zur Dokumentation der Verbrechen, die im Jahr 2000 der Öffentlichkeit übergeben werden konnte. Sie soll ein aktives Erinnern und Lernen aus der Geschichte fördern, so dass sich Derartiges nie wieder ereignen kann.
In unmittelbarer Nachbarschaft wurde gleichzeitig eine große Werkstatt für Menschen mit Behinderung eingerichtet, die bewusst an die humanistische Tradition der Heilanstalt im 19. Jahrhundert anknüpft.
Im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens bemühte sich die Gedenkstätte besonders um die Organisation und Durchführung vielfältiger Angebote in der Bildungsarbeit, insbesondere für Jugendliche.Begleitet wurde dies durch künstlerische Projekte, die das Ziel hatten, die Gedenkstätte in der Stadt Pirna bekannter zu machen und diese stärker in ihr zu verankern. Erinnert sei dabei besonders an die 20 Denkzeichen-Stelen der Berliner Künstlerin Heike Ponwitz, die vom Bahnhof in Pirna bis zur Gedenkstätte führen.
Große Beachtung fanden auch die seit 2002 von Jugendlichen von der Gedenkstätte über den Sonnenstein in die Stadt geführte Gedenkspur mit 14751 bunten Kreuzen für alle Opfer der Tötungsanstalt und der über einjährige Aufenthalt des Denkmals der Grauen Busse in den vergangenen zwei Jahren im Pirnaer Stadtzentrum. Mit dem heutigen Tag findet nun auch äußerlich die Gestaltung der Gedenkstätte und ihres Umfeldes ihren Abschluss.
Die am 1. September 2009 vom sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich eingeweihten Namenstafeln im Stillen Raum der Gedenkstätte finden nun ihre äußerliche Entsprechung an dem Ort, an dem die Nationalsozialisten in grässlicher, pietätloser Weise die Asche zahlloser „Euthanasie“- Opfer wie Schutt auf einer Deponie abluden.
Dieser nunmehr würdevoll gestaltete Ort wird damit zum integralen Bestandteil der Gedenkstätte und ihrer Erinnerungs- und Bildungsarbeit.Für die Angehörigen bilden sie gemeinsam einen sichtbaren Ort der Trauer, den sie so lange Zeit haben entbehren müssen.
Die Pirnaer Bürger und die Besucher der Stadt werden an diesem lange im Verborgenen gelegenen Ort verhängnisvoller Pirnaer Stadtgeschichte nunmehr durch seine Kenntlichmachung unweigerlich angeregt, wenn sie den so genannten Canaletto-Weg entlangwandern und das herrliche Panorama des hiesigen Elbtales genießen, sich auch mit der Vergangenheit auseinander zu setzen.
Ähnlich wie das klassische Weimar und das verbrecherische Buchenwald zwei Seiten der deutschen Geschichte in Thüringen ausmachen, deren Spannungsverhältnis ausgehalten werden muss, so gilt dies auch für Pirna.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle, gerade der Stadt sehr herzlich für ihr Engagement und für ihre Bereitschaft zu danken, die dunklen Seiten der Stadtgeschichte nicht nur nicht zu verschweigen, sondern sich damit aktiv auseinander zu setzen.
Wir können in der Aufarbeitung der Geschichte nur nachhaltigen Erfolg haben, wenn jeder hierzu seinen Pflichten und Möglichkeiten in gemeinsamer Anstrengung nachkommt.
Dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist für seine Unterstützung und die enge Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte und der Stadt Pirna ebenfalls sehr herzlich zu danken. Es waren die jahrelangen Bemühungen seines scheidenden Landesgeschäftsführers, Klaus Leroff, die mit entscheidend dazu geführt haben, dass nunmehr die Gräberstätte errichtet ist.
Meine Damen und Herren,
die heutige Einweihung der Gräberstätte, im Eigentum der Stadt Pirna, finanziert über das Sächsische Staatsministerium für Soziales, genutzt zukünftig durch die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, ist ein überzeugendes Zeichen für ein solches gemeinsames Bemühen. Wenn damit 11 Jahre nach Einweihung der Gedenkstätte die Gestaltung des Umfeldes abgeschlossen ist, gehen dennoch die Bemühungen der Gedenkstätte um die Aufarbeitung der NS- Verbrechen weiter.
Die Forschungen zur Ermittlung weiterer Namen von Opfern der Tötungsanstalt werden unvermindert fortgesetzt, um auch diesen Menschen mit ihren Namen ein Stück ihrer Würde zurück zugeben. Weiterhin wird ein im nächsten Jahr beginnendes mehrjähriges Forschungsprojekt sich darum bemühen, als weiteren Schritt der Aufarbeitung die Namen aller Opfer der NS-„Euthanasie“ in Sachsen in einem Gedenkbuch zusammenzuführen. 70 Jahre nach den Morden an Kindern und Jugendlichen in sogenannten Kinderfachabteilungen und an Patienten in Heil- und Pflegeanstalten mittels Hunger und Medikamenten ist es an der Zeit, auch dieser lange vergessenen Opfergruppen des Nationalsozialismus in Sachsen zu gedenken.
Gleichzeitig macht es sich die Gedenkstätte zur Aufgabe, mit der Erforschung dieser weiteren Mordaktionen auch die Komplexität der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik zu verdeutlichen. Das Forschungsprojekt soll in Kooperation mit tschechischen und polnischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durchgeführt werden, da auch in auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik und Polens befindlichen psychiatrischen Kliniken sächsische Patienten starben.
Die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein und ihre Bemühungen für die Aufarbeitung der Geschichte ihre Opfer, dies belegt nicht nur die Anwesenheit der hochrangigen Vertreter aus Tschechien und Polen, hat damit eine länderübergreifende Bedeutung; sie leistet Arbeit für Hinterbliebene in verschiedenen Ländern und sie ist ein Zeichen dafür, dass mehr als 70 Jahre nach den schrecklichen Geschehnissen hier in Pirna die die europäische Zusammenarbeit funktioniert und ein gemeinsames europäisches Gedenken gelingt.
Ich nehme die Gelegenheit wahr, Ihnen hierfür, Exzellenzen, seitens der Sächsischen Staatsregierung sehr herzlich zu danken!
Ihnen allen danke ich damit für Ihre Aufmerksamkeit.