Landesbeauftragter für die Stasiakten Rathenow und Stiftungsgeschäftsführer Reiprich begrüßen Novelle des Stasiunterlagengesetzes (StUG) durch den Deutschen Bundestag
03.10.11
Es geht um die Würde der Opfer, Recht, nicht Rache und um eine gute Perspektive für Forschung und Aufarbeitung.
Der Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Siegfried Reiprich, und der Sächsische Landesbeauftragte für die Staatssicherheitsunterlagen, Lutz Rathenow, begrüßen die am 30.09.2011 durch den Deutschen Bundestag erfolgte Novellierung des Stasiunterlagengesetzes (StUG). Die Ausweitung der Überprüfungsmöglichkeiten von Personen, die in besonderem Maße der Öffentlichkeit und damit dem Allgemeinwohl dienen, könne beschädigtes Vertrauen der Bürger in den demokratischen Rechtsstaat wieder herstellen.
„Damit wird auch auf die neue Situation einer dramatisch verstärkten Re-Traumatisierung zahlreicher Menschen und auf neue Krankheitsbilder (posttraumatisches Verbitterungssyndrom) reagiert. Allein die Vorstellung, es könnten Mitarbeiter der Stasi in der sie aufklärenden Aktenbehörde arbeiten, verstärkt gesundheitliche Probleme und schreckt auch andere Menschen davon ab, sich an diese zu wenden. Das habe ich in den ersten fünf Monaten meiner Arbeit oft erfahren“, sagte Lutz Rathenow heute in einer Rede zum Tag der deutschen Einheit auf der Augustusburg bei Freiberg/Sachsen. „Auch die Öffentlichkeit ist sensibler geworden. Und den oft bitter marginalisierten Opfern wird somit ein Mühlrad von der Seele gewälzt“, meint Siegfried Reiprich, der auch als Gutachter in der Bundestagsanhörung zur StUG-Novelle fungiert hatte.
Ein Arbeitsverbot für Ex-Stasileute in der Jahn-Behörde sei angemessen und vollkommen richtig. Hier ginge es nicht um Strafe für Täter, sondern um die Linderung seelischer Schmerzen bei den Opfern, wie Rathenow und Reiprich betonten. „Und die Opfer stehen sozialökonomisch zumeist schlechter da, als ihre einstigen Peiniger und deren willige Helfer“, ergänzt Reiprich. Den gut abgesicherten Bediensteten der Jahnbehörde drohe bei Stasivergangenheit nichts Schlimmeres, als eine Versetzung. „Solche Probleme hätten viele Stasiopfer gern.“
Auch in anderen Punkten erleichtere und verbessere das Gesetz den Umgang mit dem Stasi-Erbe. Eine Regel-Überprüfung in bestimmten sensiblen Bereichen, nicht erst im Verdachtsfall, wirke dem allgemeinen Misstrauen entgegen. „Eine reguläre Überprüfung ohne Anfangsverdacht stellt Vertrauen wieder her, aber man muss nicht jeden geringfügigen Fall skandalisieren“, so Siegfried Reiprich.
Rathenow und Reiprich unterstützten ausdrücklich die Position des Chefs der Stasiaktenbehörde Roland Jahn und der Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. „Es ist absurd, einen so versöhnlerischen, sanften und gemäßigten Mann wie Jahn als ‚Behördenchef Gnadenlos‘ zu verunglimpfen“, meinte Reiprich. Rathenow ergänzt: „Der jetzige Beschluss ist in Wirklichkeit ein Kompromiss. Vielleicht wäre auch ein Untersuchungsausschuss über das Wirken der ehemaligen Stasi-Leute in der Stasi-Auflösungsbehörde angemessen. Es gibt Indizien für mögliche kritische Nachfragen.“
Bei aller Zustimmung für die weitere beschlossene Verbesserung des Aktenzugangs für Wissenschaft, Journalismus und für die Landesbeauftragten selbst, sieht der Historiker Rathenow generell noch Verbesserungsbedarf. Gemeinsam mit Reiprich, der u.a. als Vizedirektor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen ebenfalls mit hunderten Betroffenen zusammengearbeitet hatte und heute u. a. auch für die Gedenkstätte Bautzen Verantwortung trägt, fordert er: „Die Praxis der Schwärzung von personenbezogenen Informationen in Stasiakten muss auf das vernünftige Minimum eingedampft werden!“ Und beide erklären: „Insofern geht es schon jetzt um die Zukunft der Akten und auch der Stasi-Überprüfung über 2019 hinaus. Um den Umgang mit diesen Dokumenten als Ausdruck praktizierter Demokratie zukunftsfähig zu sichern, wäre es gut für die Gesamtheit der Staatssicherheitsakten den Status des Weltdokumentenerbes zu beantragen. Und sofort an der Verbesserung der Lagerungs- und Erschließungsbedingungen für die vielen fleißigen Jahn-Behördenmitarbeiter, vor allem in den Außenstellen, zu arbeiten.“
Lutz Rathenow,
Sächsischer Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR
Siegfried Reiprich,
Geschäftsführer der Stiftung sächsischer Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft