Torgau als Zentrum der WehrmachtJustiz im besetzten Europa (1936–1945)
In Torgau befanden sich ab 1939 zwei von acht Gefängnissen der Wehrmachtjustiz: das Fort Zinna, von 1936 bis 1939 zum größten und modernsten Gefängnis der Wehrmacht ausgebaut, und das Gefängnis Brückenkopf. Während des Zweiten Weltkriegs waren etwa 60 000 Häftlinge der Wehrmacht in den beiden Gefängnissen inhaftiert.
Die Gefangenen waren von deutschen Militärgerichten verurteilt: Sie galten als Wehrdienst- und Befehlsverweigerer oder als Deserteure und waren der „Zersetzung der Wehrkraft“, der „Feindbegünstigung“ oder der „Spionage“ angeklagt. Auch wegen krimineller Delikte verurteilte Soldaten waren in Torgau inhaftiert. Unter den Insassen der Gefängnisse waren außerdem Kriegsgefangene und Angehörige des deutschen und europäischen Widerstandes gegen das NS-Regime sowie in die Wehrmacht zwangsrekrutierte ausländische Staatsbürger, wie Luxemburger und Elsass-Lothringer.
Zentrale Bedeutung für das Wehrmachtstrafsystem erlangte Torgau, als das Oberkommando des Heeres (OKH) im März 1941 das Gefängnis Fort Zinna zur Überprüfungsstelle für Verurteilte bestimmte, die zum
„Bewährungseinsatz“ ausgewählt waren. Diese besondere Funktion Torgaus als Prüfungs- und Verschiebestelle verstärkte sich noch, als das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) ein Jahr später die Aufstellung der Feldstraflager I und II in Torgau anordnete.
Seit August 1943 residierte zudem das Reichskriegsgericht, die höchste Instanz der Wehrmachtjustiz, in der Torgauer Zieten-Kaserne. Während des gesamten Krieges verhängte allein dieses höchste Gericht der Wehrmachtjustiz annähernd 1 400 Todesurteile, von denen ca. 1 200 – teils in Torgau, teils an anderen Orten – vollstreckt wurden. Unter den Opfern fanden sich unter anderen Wehrdienstverweigerer, vor allem „Zeugen Jehovas“, Angehörige der Widerstandsorganisation „Rote Kapelle“, französische und polnische Widerstandskämpfer, amerikanische Kriegsgefangene und deutsche Generale.
Je länger der von Deutschland begonnene Krieg dauerte und je aussichtsloser der Kampf wurde, desto drakonischer bekämpfte die NS-Militärjustiz die Kriegsmüdigkeit in der Wehrmacht und die wachsende Opposition. Mehr als eine Million deutscher Soldaten wurde von ihr verurteilt, 20 000 davon wurden hingerichtet. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum vollstreckten die westlichen Alliierten in ihren Reihen insgesamt rund 300 militärgerichtliche Todesurteile.
Die Gesamtzahl der Erschießungen in Torgau läßt sich nachträglich nicht mehr exakt ermitteln. Aus den unvollständigen Unterlagen von Wehrmacht, Standesamt und Friedhofsverwaltung geht hervor, daß hier mindestens 197 verurteilte Wehrmachtangehörige erschossen wurden. Andere Quellen legen jedoch die Vermutung nahe, daß die Zahl der Hinrichtungsopfer tatsächlich erheblich höher war. Erschießungsstätten waren die Süptitzer Kiesgrube unweit des Reichskriegsgerichts sowie der nördliche Wallgraben des Wehrmachtgefängnisses Fort Zinna.
Nach dem Krieg kam es nur zu selten zur Verurteilung der Täter. Die Mehrheit der Richter am Reichskriegsgericht und andere verantwortliche Militärjuristen überlebten unbeschadet das Kriegsende und setzten in der Bundesrepublik ihre berufliche Karriere fort.