1945 | 2020 Kalenderblatt: Zwischenstation Sportplatz Glaubitz – das Ende der Hetzjagd auf entflohene KZ-Häftlinge
20.04.20
Am 13. April 1945 wurden die Leipziger Außenlager des KZ Buchenwald in Thekla, Abtnaundorf und Heiterblick wegen der heranrückenden US-Armee evakuiert. Etwa 2 400 Häftlinge, die seit 1943 in drei Werken der Erla Maschinenwerke GmbH in Leipzig für die Montage von Flugzeugteilen eingesetzt waren, wurden per Fußmarsch auf den Weg in das KZ Theresienstadt geschickt.
Der Marsch führte über Wurzen, Oschatz, nach Merschwitz bei Riesa. Dort angekommen, setzte der Häftlingszug mit einer Fähre auf das Ostufer der Elbe bei Nünchritz über. Am Nachmittag des 17. April trafen die völlig entkräfteten Häftlinge schließlich auf dem Sportplatz in Glaubitz ein.
Der Weitermarsch wurde unterbrochen. Die Häftlinge lagerten ungeschützt auf dem nackten Boden, auf dem sie auch nachts schliefen. Wer aufstand, auf den wurde geschossen. Es gab Tote und Verletzte. Es fehlte an Wasser und Toiletten, viele der Häftlinge waren krank, die Essensrationen bestanden an den ersten beiden Tagen aus 12 Kartoffeln.
Gerüchte, der Marsch nach Theresienstadt sei wegen des raschen Vormarschs der Roten Armee nicht mehr möglich, verbreiteten sich unter den Gefangenen. Sie schmiedeten Fluchtpläne und durch ein nicht verschlossenes Eisentor in der Umzäunung des Sportplatzes konnten am Morgen des 19. April zahlreiche Gefangene fliehen. Als die SS-Bewacher die Fluchtaktivitäten bemerkten, alarmierten sie Glaubitz und die
umliegenden Dörfer. Angehörige von Landwacht, Hitlerjugend, Volkssturm, Wehrmacht und NSDAP entfesselten eine regelrechte Hetzjagd auf die Fliehenden. Obwohl die Rote Armee nach dem Durchbruch an der Neiße im Anmarsch war, begann eine Gewaltorgie, der mehr als 90 KZ-Häftlinge zum Opfer fielen. Nur sehr wenigen von ihnen gelang die Flucht.
Die meisten Morde an wiederergriffenen Häftlingen wurden von SS-Bewachern verübt, Angehörige der Hitlerjugend, Soldaten der Wehrmacht, Mitglieder der Landwacht und der NSDAP mordeten aber ebenso. Die Ereignisse in Glaubitz und Umgebung bildeten ein mörderisches Fanal der NS-Herrschaft in Sachsen.
28 der Opfer wurden in Massengräbern in Streumen, 65 von ihnen in Glaubitz verscharrt, bevor der Häftlingszug sich am 20. April wieder in Bewegung setzte. Der Todesmarsch dauerte 19 weitere Tage bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 9. Mai 1945.
Einen Eindruck dieses Martyriums geben die Tagebuchaufzeichnungen von André Rimbault und drei weiteren französischen überlebenden Häftlingen, die von dem Fotografen Herbert Naumann auf dessen Internetseite veröffentlicht worden sind.
Kontakt:
Nora Manukjan (Ausstellungsbetreuung, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit)
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