Helmut Finkel (1923–1988)
Was Frau B. von ihrer inzwischen verstorbenen Großmutter über ihren leiblichen Großvater erfuhr, war wenig und erschien ihr nicht besonders verlässlich. Angeblich hatte er seinen Sohn, den Vater von Frau B., nie gesehen, sondern war am Anfang der 1950er-Jahre wegen Spionage verurteilt worden und nach der Haftentlassung von der DDR nach Westdeutschland übergesiedelt. Seine Ehefrau heiratete erneut und bewegte ihren zweiten Ehemann zur Adoption des Kindes. Was aber war aus Helmut Finkel geworden? Hatte er tatsächlich im Westen gelebt und nie Kontakt zu seiner Familie in Dresden aufgenommen? Wieso war er überhaupt verhaftet worden? Hatte er möglicherweise noch weitere Kinder?
Über eine Internetsuche nach Vereinen und Verbänden, die sich der Aufarbeitung der DDR-Geschichte widmen, stieß Frau B. auf die Dokumentationsstelle und bat diese im September 2015 um Unterstützung bei der Schicksalsklärung. In einer Datenbank, die auf Mitgliedsunterlagen der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) basiert, fanden sich in einer Selbstauskunft von Helmut Finkel zwar erste Hinweise, doch noch keine genauen Informationen über die Hintergründe der Verurteilung. Daher reichte Frau B. im März 2016 über die Dokumentationsstelle bei der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation einen Antrag auf Überprüfung des Urteils ein. Anfang Januar 2017 erfuhr sie durch einen Bescheid der Militärstaatsanwaltschaft der Strategischen Raketentruppen der Russischen Föderation, dass Helmut Finkel tatsächlich wegen Spionage verurteilt und später rehabilitiert worden war. Doch warum er überhaupt verurteilt wurde und im Gefängnis eingesessen hatte, erfuhr sie zunächst nicht. Konnte eine Akteneinsicht in Moskau das Geheimnis lüften?
Die Akte P-10098 des Operativsektors des Ministeriums für Staatssicherheit (MGB) des Landes Sachsen offenbarte den Lebenslauf eines jungen Mannes, der sich in den politisch, sozial und ökonomisch schwierigen Verhältnissen Nachkriegsdeutschlands tragisch verhedderte und dadurch in die Fänge der sowjetischen Geheimpolizei geriet. Helmut Finkel, am 2. Dezember 1923 in Württemberg geboren, war im Oktober 1945 aus britischer Kriegsgefangenschaft zu seiner Ehefrau nach Dresden entlassen worden. Dort trat er in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein und fand eine Anstellung als Lehrer. Aufgrund einer Bewährungsstrafe verlor er diese jedoch und siedelte mit seiner Frau zu Verwandten nach Württemberg um, wo er sich als Chauffeur und Hilfsarbeiter durchschlug. Bei einem Besuch seiner Schwiegereltern in Dresden – seine mitreisende Ehefrau war mit dem Sohn schwanger – wurde er am 3. Februar 1949 von deutschen Polizisten verhaftet und anschließend den sowjetischen Sicherheitsorganen übergeben. Man warf ihm vor, dass er sich aus Geldmangel vom amerikanischen militärischen Abwehrdienst CIC zur Spionage in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands habe anwerben lassen. In den folgenden Verhören gestand Helmut Finkel dies nicht nur, sondern erklärte, er habe sich bereits im Januar 1949 bei einem SED-Funktionär in Dresden selbst angezeigt, amerikanischer Spion zu sein. Dieser Funktionär wiederum gab in einem Verhör an, Helmut Finkel habe ihm angeboten, für die SED in der amerikanischen Zone zu spionieren, also als Doppelagent zu agieren. Freilich geben die Verhöre, die bekanntermaßen unter erheblichem psychischem, teils auch physischem Druck stattfanden, nicht zuverlässig Auskunft über Helmut Finkels tatsächliche Motive und über sein Handeln.
Am 25. März 1949 verurteilte das Militärtribunal der Sowjetischen Militäradministration des Landes Sachsen ihn auf der Grundlage von Artikel 58-6 Strafgesetzbuch der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) in Dresden wegen Spionage zu 25 Jahren Besserungsarbeitslager. Wenige Tage später wurde er aus Dresden in das Speziallager Bautzen verlegt. Erst im April 1955 kam er aus der Haft frei und siedelte nach Westdeutschland über. Er wohnte zunächst in Hameln, heiratete erneut und unterrichtete in der Volksschule Afferde Sportunterricht und Technisches Zeichen.
Die Rehabilitierung erfolgte am 11. September 2003 mit der Begründung, die Verurteilung habe nur auf eigenen Aussagen, nicht aber auf weiteren Beweisen beruht. Auch habe er nachweislich keinerlei Spionageaktivitäten begangen.
Auf Antrag der Dokumentationsstelle wurden vom Archiv des FSB aus der insgesamt 105 Blatt umfassenden Akte einige Kopien gefertigt, die an Frau B. übergeben werden konnten. Die Akte enthielt neben Verhörprotokollen und anderen Dokumenten aus dem Ermittlungsverfahren Helmut Finkels KPD-Mitgliedsbuch, sein SED-Mitgliedsbuch, einen Flüchtlingsausweis und den Führerschein. Von dem ebenfalls in der Akte abgelegten Adressbüchlein, das Frau B. besonders interessierte, wurde leider keine Kopie angefertigt, da Daten Dritter nicht weitergegeben werden dürfen. Deshalb finden sich in den kopierten Dokumenten oftmals auch geweißte Stellen. Dafür erhielt Frau B. aus dem Archiv unter anderen Kopien eines umfassenden Verhörprotokolls und des Urteils sowie den Nachweis über die Verlegung von Dresden in das Speziallager Bautzen.
Für Frau B. hat sich die Akteneinsicht trotzdem gelohnt. „Auch wenn vieles, wie zum Beispiel die Rolle und das Verhalten seiner Ehefrau, aber auch sein Leben in Westdeutschland, nach wie vor unklar bleibt, so gibt doch die auf den russischen Archivunterlagen gründende Auskunft meinem Großvater ein deutlicheres Profil. Und das ist angesichts meines vorherigen vagen Bildes von ihm nicht wenig. Die erhaltenen Daten ermöglichten unserer Familie eine Anfrage beim zuständigen Standesamt in Württemberg. Damit erfuhren wir die Namen von Helmut Finkels Eltern und können nun unsere Forschungen über die entsprechenden Kirchenbücher fortsetzen.“
Zur Person
Nachname: | Finkel |
Vorname: | Helmut |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 02.12.1923 |
Geburtsort: | Württemberg |
Sterbedatum: | 26.02.1988 |
Sterbeort: | Hameln |
Begräbnisstätte: | Friedhof am Wehl in Hameln |
Orte/Stationen der Verfolgung/Haft |
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Ergänzungen
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