Fachworkshop in Dresden „Verurteilte sowjetischer Militärtribunale (SMT) als Gegenstand regionaler Forschung“
23.05.19
Urteile sowjetischer Militärgerichte nach dem Zweiten Weltkrieg waren Gegenstand eines am 22. Mai 2019 von der Dokumentationsstelle Dresden und der Gedenkstätte Münchner Platz Dresden gemeinsam mit der Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden veranstalteten fachöffentlichen Workshops. Im Mittelpunkt stand die Frage, inwieweit sich aus einer regionalgeschichtlichen Perspektive neue Erkenntnisse über die Praxis der Militärtribunale gewinnen lassen. Darüber hinaus ging es insbesondere um den Zugang zu wichtigen Quellen, um deren Auswertung und Interpretation sowie um die Kategorisierung von SMT-Verurteilten. Die Teilnehmer, überwiegend Historiker aus Gedenkstätten, Forschungseinrichtungen und Archiven, erörterten anhand abgeschlossener und laufender Untersuchungen den Forschungsstand und tauschten sich sowohl über die Möglichkeiten als auch über die besonderen Herausforderungen bei der Erforschung der SMT-Praxis aus.
Andreas Weigelt (Lieberose) fasste anschaulich die Ergebnisse seiner Studie zu Verhaftungen und SMT-Verurteilungen in Bad Freienwalde zusammen. Er leuchtete anhand ausgewählter Biographien vor allem die Gruppe der SMT-Verurteilten aus, die wegen Spionage verurteilt worden war und betonte die Vielfalt der Motive und Aktivitäten aber auch die Verbindungen zu westlichen Geheimdiensten.
Der Beitrag von Maria Schultz (Gedenkstätte Leistikowstraße Potsdam) gab entlang dreier Fragen einen prägnanten Überblick zum Forschungsstand in Bezug auf SMT-Verurteilte im Gefängnis Leistikowstraße Potsdam: Was weiß man über die Insassen? Was ist über die sowjetischen Militärgerichte bekannt? Welche konkreten Delikte verbergen sich hinter den Urteilsbegründungen? An ihren Vortrag schloss sich eine Diskussion der Frage nach den Vollstreckungs- und Begräbnisorten der Hingerichteten an.
Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen deutsche Zivilisten am Standort Schwerin-Demmlerplatz zwischen 1950–1953 waren Thema des Beitrags von Natalja Jeske (Rostock). Sie hob insbesondere die Bedeutung eines Bestandes im Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF) hervor, der die Gutachten des Obersten Gerichts der UdSSR zu den Gnadengesuchen von zum Tode Verurteilten enthält.
Amélie zu Eulenburg (Gedenkstätte Lindenstraße Potsdam) zeigte am Beispiel einer mit Studenten erarbeiteten Werkstattausstellung zu Werderaner Jugendlichen vor dem SMT das Spannungsfeld zwischen Spionage sowie Opposition und Widerstand. Außerdem widmete sich ihr Beitrag dem äußerst interessanten Aspekt des erinnerungskulturellen Umgangs mit dem Thema.
Bert Pampel (Dokumentationsstelle Dresden) stellte die Planungen für ein Projekt zu Urteilen sowjetischer Militärtribunale in Dresden vor, in deren Verlauf, die in Datenbanken der Dokumentationsstelle gesammelten Informationen zu SMT-Urteilen gegen Dresdner durch Daten aus weiteren Quellen ergänzt und umfassend ausgewertet werden sollen. Als wichtigste Herausforderungen bezeichnete er den fehlenden Zugang zu Sachakten der SMT sowie die Schwierigkeiten bei der Aufklärung des tatsächlichen Geschehens und der Motive der handelnden Personen, die den Verurteilungen zugrunde lagen.
Daran anschließend regte Andreas Hilger (DHI Moskau) an, auf der Basis breiter Quellenstudien eigene Personengruppen und Räume zu definieren, die sich von den administrativen Kategorien der Besatzungsmacht – etwa den einschlägigen Paragraphen des Strafgesetzbuches oder „operative Sektoren“ – unterscheiden. Er gab darüber hinaus einen Überblick über Quellen zu SMT in russischen Archiven, zu denen sich der Zugang allerdings teilweise zunehmend schwieriger gestaltet. So sei zwar bekannt, dass sich Sachakten der Militärgerichte im Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation (CAMO) befänden, allerdings habe bislang noch kein deutscher Forscher darin Einblick nehmen können.
Ulrich Müller (BStU) hob die immense, und bislang wohl großenteils unterschätzte, Bedeutung des in den Beständen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR lagernden Archivmaterials zu SMT vor. An seinen Beitrag schloss sich eine Diskussion der Frage an, ob es auf Seiten der Besatzungsmacht möglicherweise Tribunale gab, die sich schwerpunktmäßig mit bestimmten Deliktgruppen, wie etwa der Verurteilung von Angehörigen von SS-Polizeieinheiten, befassten.
Abschließend schilderte Christoph Raneberg (DRK-Suchdienst München) anhand verschiedener Beispiele die Recherchemöglichkeiten im sogenannten Zentralnachweis und in der „Berliner Kartei“. Angesichts der Bedeutung des Bestandes ist es umso bedauerlicher, dass gegenwärtig keine Klarheit darüber besteht, ob und wie der Zugang nach der für Ende 2023 angekündigten Beendigung der Auskunftstätigkeit in München gewährleistet ist.
Der geplante Beitrag von Wolfgang Buwert (Frankfurt/Oder) über Frankfurter vor Sowjetischen Militärtribunalen musste leider krankheitsbedingt ausfallen.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass trotz schwierigen Zugangs zu den Primärquellen in russischen Archiven durch eine umfassende Auswertung der in Deutschland verfügbaren Bestände nennenswerte Fortschritte bei der Aufarbeitung des für ein Verständnis der kommunistischen Diktaturdurchsetzung in der SBZ/DDR wichtigen Themas erzielen lassen. Die Teilnehmer gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass der gegenseitige Austausch im gegenseitigen Interesse mit ähnlichen Veranstaltungen fortgesetzt wird. Die einladenden Einrichtungen gewannen durch die Veranstaltung wichtige Anregungen und Hinweise für das von ihnen geplante Projekt zur namentlichen Erfassung aller Deutschen, die zwischen 1945 und 1955 von SMT in Dresden verurteilt worden sind. Sie erhoffen sich davon sowohl neue Erkenntnisse über die Tätigkeit der Militärtribunale wie auch weitere Impulse und Material für die Bildungs- und Vermittlungsarbeit zu diesem Thema in den Gedenkstätten.
Kontakt:
Dr. Bert Pampel (Leiter der Dokumentationsstelle Dresden | Stiftung Sächsische Gedenkstätten)
Tel. 0351 4695548
bert.pampel@stsg.de | www.dokst.de