Bericht: 8. Ost-Westeuropäisches Gedenkstättenseminar (Kreisau, 24.-27. März 2010)
05.05.10
Zu Beginn standen einführende Vorträge von Wolfgang Benz (Institut für Antisemitismusforschung/Berlin) und Marcin Zaremba (Polnische Akademie der Wissenschaften/Warschau) über die Nachkriegssituation in Deutschland respektive Polen. In dieser Reihe sind auch die Vorträge über die sowjetische Besatzungszone von Jörg Morré (Deutsch-Russisches Museum/Berlin) und die Tschechoslowakei von Lukáš Vlček (Institut zur Erforschung totalitärer Regime/Prag) zu sehen. Die Beiträge machten bewusst, dass mit dem Ende des 2. Weltkriegs kein wirklicher Frieden einkehrte. In Deutschland zog sich die Neuordnung lange und schmerzhaft hin und in den anderen Ländern war das stalinistisch-kommunistische System trotz sowjetischer Befreiung von den Nationalsozialisten und Besetzung durch die Rote Armee noch nicht voll einsetzbar. Es stießen zwei nicht miteinander zu vereinbarende Bestrebungen aufeinander: auf der einen Seite die Hoffnung auf eine demokratische Neugestaltung, auf der anderen Seite die von der Sowjetunion angestrebte Einparteindiktatur, die diese Erwartung zunichte machte.
Im Abschnitt über die Darstellung in Museen und Gedenkstätten stellte Jurij Kalmykow (Studio Artefactum/Jekaterinburg) die Ausstellung „Den Abfällen gleichgestellte Erinnerungen“ vor. Sowohl Yurij Starshov (Museum der Russischen Streitkräfte/Moskau) als auch Ulrich Pfeil (St. Etienne/Paris) richteten folgend den Blick auf die Thematisierung der Nachkriegszeit in Schulbüchern und Ausstellungen. Pfeil ging zunächst auf die Erinnerungskultur der Normandieküste ein, die sich zu einem transnationalen Erinnerungsort für die Landungen im 2. Weltkrieg entwickelt hätte. Er erläuterte dies am Mémorial de Caen. Zudem stellte er das 2006 erschienene erste deutsch-französische Geschichtsbuch „Histoire/Geschichte – Europa und die Welt seit 1945“ (Klett Verlag) vor. Nun sei erstmals eine Beschäftigung mit der Geschichte des Nachbarlands möglich. Eine solche Erfolgsmeldung konnte Starshov nicht verkünden: Die russischen Geschichtsbücher seien eindimensional und das Kriegsende und die Neuordnung seien verfälscht dargestellt. Er resümierte, dass das propagandistischste Buch auch weiter in Schulen Anwendung fände, da es von staatlicher Seite entsprechend gefördert würde. Ferner sei ein russisch-polnisches Schulbuch illusionär, so lange es keine gesellschaftliche Annäherung gebe. In regionalen und lokalen Museen gebe es darüber hinaus kaum Informationen über die Nachkriegszeit. Er beobachte jedoch auch eine Tendenz zur differenzierteren Thematisierung der Nachkriegszeit. Christiane Kohser-Spohn (Eberhard Karls Universität/Tübingen) machte deutlich, dass auch Frankreich mit dem Ankommen im Frieden, der eigenen Rolle im Nationalsozialismus und der Erinnerungskultur Probleme hatte und dies einer kritischen Darstellung der Nachkriegszeit noch immer im Wege steht.
Schließlich stellten Piotr Jakubowski (Haus der Begegnung mit der Geschichte/Warschau) und Marek Mutor (Institut für Erinnerung und Geschichte/Breslau) ihre Einrichtungen mit dem Schwerpunkt Bildung vor. Das Hauptprinzip des „Haus der Begegnung mit der Geschichte“ sei die Arbeit mit Biografien. So lade etwa ein Lese- und Studienraum zu einer weiterführenden Beschäftigung mit Briefen, Bildern, Erinnerungen und Tonaufnahmen ein. Außerdem fänden Zeitzeugengespräche statt und auf der Homepage seien Ton- und Bildmaterialien für Bildungszwecke zugänglich. Auch in den Ausstellungen werde das Prinzip der intensiven Arbeit mit Bild- und Tonaufnahmen verfolgt und es gebe nur wenige ergänzende Erläuterungen wie etwa bei der Ausstellung „Gesichter des Totalitarismus“, die sich sowohl dem Nationalsozialismus als auch der Nachkriegszeit in Polen widmet. Das „Zentrum Erinnerung und Zukunft“ beschäftigt sich mit der den ehemals deutschen Gebiete in Polen (Schlesien) nach Flucht und Vertreibung der Deutschen seit 1945. Ziel sei, die historischen Prozesse der Nachkriegszeit offen zu behandeln. Beispielhaft sei das Projekt "Reise durch die Geschichte" genannt: Im Jahr 2007 reiste eine in Waggons gezeigte Wanderausstellung über den Wiederaufbau und die Entwicklung der polnischen Westgebiete von Stadt zu Stadt. Regelmäßig fänden außerdem pädagogische Projekte statt, die Zeitzeugeninterviews oder auch historische Stadtrallyes beinhalten.
Die Vorträge und Diskussionen zeigten die vielfältigen Sichtweisen, Probleme und Strategien im Umgang mit der frühen Nachkriegszeit. Bei dem gemeinsam diskutierten Konzept der Ausstellung „Europa. Unsere Geschichte“ stellte sich heraus, wie wichtig es ist, dass europäische Historiker in einen intensiven Dialog treten, um eine gemeinsame Erinnerungskultur zu schaffen. Denn die Ausstellung, die anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Römischen Verträge vom Brüssler Europamuseum unter der Losung „50 Jahre europäisches Abenteuer“ eröffnet wurde, stellt die Zeit nach 1945 als eine „Erfolgsgeschichte der europäischen Kultur“ dar. Es fehlt eine kritische Auseinandersetzung, dass dies zwar für die westlichen Länder, nicht jedoch für die osteuropäischen gilt. Gerade hier muss die zukünftige Zusammenarbeit ansetzen und auch darüber wird in den nächsten Jahren weiter in Kreisau diskutiert werden.
Ulrike Lüneburger, pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte Bautzen