Bericht zur Internationalen Fachtagung am 6. und 7. Juli 2010 in Dresden
06.08.10
Am 6. und 7. Juli 2010 fand in Dresden im Hörsaal des IFW (Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung) die Tagung „Gefallen – Gefangen – Begraben. Zahlen und Fakten zu sowjetischen und deutschen Opfern des Zweiten Weltkrieges“ statt.
Veranstalter der Fachtagung waren die Dokumentationsstelle Dresden der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst, das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden, die Konrad-Adenauer-Stiftung, das Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen – Forschung (Graz – Wien – Klagenfurt) sowie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Die Veranstaltung wurde zudem vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland unterstützt.
Die Tagung wurde im Rahmen des seit 1999 im Auftrag der Bundesregierung von der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten durchgeführten Großforschungsprojektes „Sowjetische und Deutsche Kriegsgefangene und Internierte. Forschungen zum Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit“ veranstaltet.
Für die internationale Fachtagung konnten 20 Referenten aus Deutschland, Norwegen, Österreich, Russland, der Ukraine sowie Weißrussland gewonnen werden. Neben den Vortragenden nahmen etwa 50 Gäste als Vertreter der historischen Forschung, deutscher Archive, Gedenkstätten und Museen, der Suchdienste, des Volksbundes deutscher Kriegsgräberfürsorge, deutscher und internationaler Forschungs- und Gedenkinitiativen sowie private Interessierte an der Veranstaltung teil. Die russisch- bzw. deutschsprachigen Vorträge und Diskussionsbeiträge wurden für die Teilnehmer jeweils simultan gedolmetscht.
Im Zentrum der internationalen Tagung standen Fragen der jeweiligen Verlustzahlen auf deutscher und sowjetischer Seite im Zweiten Weltkrieg, die Anzahl der Kriegsgefangenen auf beiden Seiten sowie deren Erfassung und Behandlung und der Umgang mit den Grabstätten dieser Opfergruppen nach dem Kriegsende.
Nach den Grußworten der Förderer und Mitveranstalter der Tagung eröffnete Klaus-Dieter Müller als Veranstalter und Leiter der Dokumentationsstelle Dresden mit einführenden Worten zur Thematik und zum betreffenden Forschungsstand die Tagung. Er betonte, dass die Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg und dessen Opfern für die Deutschland und im Besonderen für die Völker der ehemaligen Sowjetstaaten auch heute noch eine herausragende Bedeutung hat, was ebenso an den diesjährigen Veranstaltungen in Moskau zum 65. Jahrestag des Kriegsendes bzw. des Sieges über den Faschismus erkennbar sei. Neben der Benennung der zentralen Fragen der Fachtagung begründete Müller die Auswahl der betreffenden Opfergruppen, die im Mittelpunkt der Tagung stehen sollten und stellt die thematische Aufteilung der Panels vor.
Das erste Panel widmete sich den Kriegsverlusten der Sowjetunion und des Deutschen Reiches. Der Schriftsteller und Historiker BORIS SOKOLOW ging in seinem Vortrag ausführlich auf die Zahl der militärischen Verluste sowohl auf deutscher wie auch auf russischer Seite ein. Er erläuterte die von ihm genutzten Quellen und seine Methode zur Ermittlung verlässlicher Opferzahlen. Im Hinblick auf die Diskussion und eingehend auf die Forschungsergebnisse des deutschen Kollegen Rüdiger Overmans nannte er die Zahl von 4 Millionen gefallener deutscher Wehrmachtsangehöriger. Seiner Meinung nach seien die in der Forschungsliteratur genannten Zahlen häufig zu ungenau. Er erwähnte in diesem Zusammenhang besonders das Buch „Grif sekretnosti snjat“ [1], das eine wichtige aber nicht unumstrittene Publikation darstellt.
VITALI KASAKEWITSCH (Vorsitzender Verein „Gemeinsames Europa - gemeinsames Gedächtnis", Kiew) bezog sich in seinen Ausführungen größtenteils auf die Publikation „Welikaja Otetschestwennaja bes grifa sekretnosti. Kniga poter“ [2] dessen wesentlichsten Inhalte er referierte. In seinem weiteren Vortrag ging er weiter auf die sich in Deutschland befindenden Grabstätten sowjetischer Bürger und auf deren unbefriedigenden Zustand ein und griff somit in Teilen dem abschließenden Panel 4 vor.
RÜDIGER OVERMANS (Historiker, Freiburg) konzentrierte sich in seinem anschließenden Vortrag auf die Verluste der deutschen Wehrmacht an der Ostfront. Dabei standen zwei zentrale Fragen im Mittelpunkt seiner Betrachtung: Wie viele Soldaten sind als tot, vermisst oder langfristig verwundet bzw. krank ausgeschieden? Wie viele deutsche Soldaten sind tatsächlich an der „Ostfront“ gestorben, bzw. später in Gefangenschaft ums Leben gekommen? Mit Hilfe tabellarischer Übersichten präsentierte Overmans zunächst die Zahlen der Verluste von Heer und Luftwaffe an der Ostfront. Dabei ging er auch auf die unterschiedlichen Wege der Erfassung der militärischen Verluste und der damit verbundenen Problematik der Quellenüberlieferung ein. Im Ergebnis seines Vortrags hielt Overmans fest, dass der Kriegsschauplatz Ostfront für die deutsche militärische Kriegsführung eine besondere Bedeutung besaß. Bezogen auf die Gesamtverluste von 5,3 Millionen entfallen etwa zwei Drittel bis drei Viertel auf die Verluste an der Ostfront, also 3,5 bis 4 Millionen Gefallene. Diese Zahl umfasse auch die Anzahl der verstorbenen Kriegsgefangenen in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.
In der anschließenden Diskussion wurden der Erkenntnisgewinn der unterschiedlichen Quellen sowie die Zugangsmöglichkeiten zu diesen aufgegriffen. Auch weitere Unterschiede wurden deutlich. So orientiert sich die deutsche Forschung in ihren Untersuchungen vorwiegend an einzelnen Kriegsschauplätzen, während die osteuropäischen Forscher in ihren Betrachtungen zwischen besetzten und unbesetzten Gebieten unterscheiden. Als Ergebnis wurde ebenso festgehalten, dass die Definition der Zugehörigkeit einzelner Personen für die Ermittlung genauer Verlustzahlen wesentlich sei. Zudem stünden Vergleiche der Verluste auf sowjetischer und deutscher Seite immer im Kontext des jeweiligen Kriegsjahres und den damit verbundenen Bedingungen.
In einem zweiten Teil des Panels, welches wie schon im ersten Teil von Jörg Morré (Direktor des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst) moderiert wurde, berichtete JEKATERINA KISELOWA (Stellvertretender Leiterin der Abteilung für wissenschaftlichen Informations- und Auskunftstätigkeit im Staatlichen Archiv der Russischen Föderation - GARF) zum Dokumentenbestand der „Außerordentlichen Staatlichen Kommission zur Untersuchung und Erforschung der deutschen-faschistischen Verbrechen ...“ im GARF. Sie erläuterte die Zusammensetzung der außerordentlichen staatlichen Kommission sowie deren Arbeit bei der Erforschung der Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Die „Außerordentliche Staatliche Kommission zur Untersuchung der Gräueltaten der Nazis und ihrer Komplizen und der Schäden für die Bürger, die Kollektivwirtschaften (Kolchosen), öffentlichen Einrichtungen, staatliche Unternehmen und Institutionen der UdSSR“ (ESC), wie sie in ihrer kompletten Bezeichnung (Übertragung ins Deutsche) hieß, wurde durch das Dekret des Präsidiums des Obersten Rates Nr. 160/17 vom 2. November 1942 gegründet. In ihrem Vortrag ging Frau Kiselowa auch auf die Ermittlung von Verlustzahlen der Roten Armee und deren Instrumentalisierung in der sowjetischen Propaganda ein. Diese Instrumentalisierung, die sich in den überlieferten Dokumenten der Kommission widerspiegelt, würde teilweise den Nutzen des genannten Archivbestandes für die heutige Forschung schmälern, so Kiselowa. Dennoch dürfe nicht von einer kontinuierlichen Fälschung der Kommissionsberichte ausgegangen werden.
DIMITRI MIKUSCHEW (Mitarbeiter der Verwaltung für internationale Zusammenarbeit beim KGB der Republik Belarus) trug als nächstes auf der Grundlage von Dokumenten aus dem Bestand des Zentralarchivs des KGB Weißrusslands Berichte zu Schicksalen deutscher Soldaten vor. Die vom Referenten ausgewählten und vorgetragenen Beispiele waren Berichte zur Gefangenennahme von Angehörigen der deutschen Wehrmacht, der deutschen Intelligenz und Spionageabwehr, die von Spezialgruppen des weißrussischen NKWD festgenommen worden waren. Im Rahmen der Zusammenarbeit des Zentralarchivs des KGB Belarus mit der Dokumentationsstelle Dresden im Projekt „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte“ und dem Deutschen Roten Kreuz, so Dimitri Mikuschew, konnten bereits eine Vielzahl von Schicksalen sowohl deutscher als auch sowjetischer Soldaten erforscht werden.
Der letzte Vortrag des Panels widmete sich der Problematik polnischer Kriegsgefangener in der Ukraine zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. Dabei ging SERGEJ KOKIN (Leiter des Staatlichen Archivs des Sicherheitsdienstes der Ukraine - SBU) auf das Vorgehen der Roten Armee bei der Besetzung Polens ein und schilderte die Schwierigkeiten bei der Einrichtung von Kriegsgefangenenlagern und der Versorgung der polnischen Kriegsgefangenen.
Auf Nachfragen hin gab Jekaterina Kiselowa in der Diskussionsrunde weitere Erläuterungen zum Archivbestand des GARF und ging dabei insbesondere auf dessen Nutzen für die historische Erforschung des Schicksals sowjetischer Kriegsgefangener ein. In Ergänzung dazu gab auch Sergej Kokin weitere Informationen zum Bestand bzw. Fehlbestand des SBU-Archives. Insbesondere zu den Kriegsgefangenenlagern stünde eine Datenbank zur Verfügung, welche unter anderem Informationen zu den Lagern und deren Standorten enthält. Neben dem Angebot zur Nutzung der vorhandenen Datenbank hielt Kokin fest, dass noch viele Dokumente und Archivbestände bearbeitet werden müssten und jedes Archiv die Pflicht habe, sich wesentlich an der Aufarbeitung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und der Schicksalsklärung zu beteiligen.
Nach dem Grußwort des Vertreters des Leipziger Konsulates der Russischen Föderation eröffnete Barbara Stelzl-Marx (Stellvertretende Leiterin, Ludwig-Boltzmann-Institut) als Moderatorin das zweite Panel, welches sich nun in erster Linie der Problematik deutsche und sowjetische Kriegsgefangene und Internierte widmen sollte.
GABRIELE HAMMERMANN (Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau) bot den Teilnehmern eine anschauliche Beschreibung des Konzentrationslager Dachau und des SS-Schießplatzes Herbertshausen. Neben den Erläuterungen zum historischen Ort und dessen Nutzung zur NS-Zeit erläuterte sie anhand ausgewählter Beispiele das Vorgehen bei der Aussonderung von sowjetischen Kriegsgefangenen bis zu deren Ermordung auf dem SS-Schießplatz Herbertshausen. Als ein wesentliches Ergebnis ihrer bisherigen Untersuchungen hielt sie fest, dass die Wehrmacht und die Lagerkommandanten der Konzentrationslager die Vernichtung sowjetischer Kriegsgefangener und somit auch den rasseideologischen Vernichtungskrieg unterstützten. Die Fragen, ob die Gedenkstätte Dachau über Unterlagen verfüge, die Informationen zu Denunziation und Subversion im Lager enthielten, bejahte Frau Hammermann. Sie wies zudem daraufhin, dass Unterstützungen bei der Aussonderung im Lager oft vom eigenen Überlebenswillen motiviert gewesen seien.
KLAUS-DIETER MÜLLER (Leiter der Dokumentationsstelle Dresden) widmete seinen Vortrag der Zahlenproblematik bei der Ermittlung der Anzahl sowjetischer Kriegsgefangener in deutschem Gewahrsam. Anhand neuerer Ergebnisse aus dem von der Dokumentationsstelle Dresden durchgeführten Projekt „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangenen und Internierte“ erläuterte er mögliche Methoden zur Ermittlung der Gesamtzahl sowjetischer Kriegsgefangener mit Hilfe der Registrierungsunterlagen der Wehrmachtsauskunftsstelle. In seinem Vergleich der Untersuchungsergebnisse aus dem Jahr 2005 mit aktuellen Erkenntnissen kam er zum dem Schluss, dass sich eine annähernde verlässliche Gesamtzahl erst nach dem Ende der Erfassung aller verfügbaren Registrierungsunterlagen ermitteln ließe, wenn überhaupt. Den derzeitigen Kenntnisstand in der Ermittlung von Gesamtzahlen fasste Müller mit dem Satz: „We are still confused, but on a higher level.“ zusammen.
Nach einer kurzen Pause referierte der österreichische Historiker und Mitarbeiter des Ludwig-Boltzmann-Institutes HARALD KNOLL zum Thema: Deutsche und österreichische Kriegsgefangene in der Sowjetunion. In seinem Vortrag gab er einen Überblick zur Geschichte deutscher und österreichischer Soldaten und Zivilisten in sowjetischer Gefangenschaft von 1941 bis 1956. Dabei konzentrierte er sich auf den Arbeitseinsatz der Gefangenen beim Wiederaufbau der sowjetischen Volkswirtschaft und der damit verbundenen Ernährungslage und den sonstigen Bedingungen der Lagerhaft. Rund 50.000 Deutsche waren unter anderem wegen Kriegsverbrechen und Lagervergehen durch sowjetische Militärtribunale und Sondergerichte nach dem Zweiten Weltkrieg verurteilt worden und verbüßten ihre anschließende Haft in den Lagern des GULAG. Dazu gehörten nicht nur Kriegsgefangenen sondern auch administrativ Repressierte (internierte Zivilisten). Ab 1946/47 war gezielt nach Kriegsverbrechern unter den Gefangenen geforscht worden. Auch diesem Sachverhalt sowie deren Verurteilung widmete sich Harald Knoll in seinem Vortrag. Er schloss ab mit Ausführungen zur Entlassung bzw. Repatriierung der Gefangenen.
Von Repatriierung bzw. Entlassung von Kriegsgefangenen handelte auch der folgende Vortrag von VLADIMIR DOROSCHEWITSCH (Leiter des Zentralarchivs des KGB der Republik Weißrussland). Sowjetische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und insbesondere Angehörige der Freiwilligenarmeen wurden bei ihrer Rückkehr in die Sowjetunion in den sogenannten Filtrationslagern einer eingehenden Überprüfung unterzogen. Die davon überlieferten Fragebögen und Vernehmungsprotokolle bzw. selbstverfasste Berichte der Befragten liefern weitreichende Informationen zum Aufenthalt bzw. zur Tätigkeit der sowjetischen Bürger während der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Teilweise sind die Filtrationsunterlagen der einzige Nachweis über Zeit in deutscher Gefangenschaft. Doroschewitsch stellte heraus, dass dieser Aktenbestand neben den Registraturunterlagen der Wehrmachtsunterlagen für die Erforschung von Schicksalen sowjetischer Kriegsgefangener und ebenso für die Untersuchung von Kriegsverbrechen eine wichtige Quelle darstellt. Zur Veranschaulichung trug der Referent einzelne Beispiele aus dem Aktenbestand vor. Hierbei muss allerdings bemerkt werden, dass die Archive der jeweiligen Sicherheitsdienste nicht für jeden Nutzer frei verfügbar sind. Auf der Basis von Kooperationsverträgen unter anderem im Rahmen des von der Dokumentationsstelle durchgeführten Projektes fand allerdings bereits ein Teil der Erkenntnisse der russischen, weißrussischen, ukrainischen Kollegen Eingang in gemeinsam erarbeitete Publikationen.
Als einen Nebenschauplatz im Kriegsgeschehen des Zweiten Weltkrieges stellte EVA-DITTE DONAT in ihrem Vortrag Norwegen und das Kriegsgefangenenlager auf der Insel Engelöy vor. Sie lieferte damit einen Einblick in die Organisation des Kriegsgefangenenarbeitseinsatzes in Nord-Norwegen während der deutschen Besatzung. Ähnlich wie auch in anderen deutschen Kriegsgefangenenlagern litten die sowjetischen Kriegsgefangenen besonders in der Anfangszeit unter dem Mangel an Unterkünften und Verpflegung. Die besonderen klimatischen Bedingungen Nord-Norwegens trugen zudem zur hohen Sterblichkeit der Gefangenen bei. Das Lager auf Engelöy war im Frühsommer 1942 mehr oder weniger aus dem Boden gestampft worden und galt mit zirka 1700 Insassen als eines der größten Arbeitslager in Norwegen. Etwa 100.000 sowjetische Kriegsgefangene wurden ab 1941 nach Norwegen verbracht. 13.700 von ihnen ruhen heute in norwegischer Erde bzw. haben vor der norwegischen Küste ein Seegrab gefunden. In der Abschlussdiskussion des Tages wurden unter anderem noch einmal die Probleme bei der Ermittlung einer Gesamtzahl sowjetischer Kriegsgefangener in deutschem Gewahrsam aufgegriffen.
Nach einer kurzen Begrüßung durch den Veranstalter und einer kurzen Einführung durch den Moderator des dritten Panels, Mike Schmeitzner (wissenschaftlicher Mitarbeiter des Hannah-Arendt-Institutes für Totalitarismusforschung Dresden), begann der zweite Tag der sehr inhaltsreichen Fachkonferenz.
Den Anfang machte CHRISTINE GLAUNING (Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit Berlin-Schönweide) mit ihrem Vortrag zu „Ostarbeitern“ im Deutschen Reich. Nach einer einleitenden Begriffserklärung lieferte sie anhand des Forschungsstandes Zahlen und Fakten zur Geschichte der „Ostarbeiter“ und gab Anreize für die weitere Erforschung der Thematik.
KAREN STRUGG (Advisor to the Director of the ITS, Internationaler Suchdienst Bad Arolsen) gab einen umfassenden Einblick in den Dokumentenbestand des ITS und warb für die Nutzung des ITS Archives. Seit 2007 ist das Archiv des Internationalen Suchdienstes auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Karen Strugg bot im Auftrag des ITS auch Unterstützung bei Auskunftsverfahren zu ehemaligen sowjetischen Bürgern an.
HANSJÖRG KALCYK (Leiter des DRK Suchdienstes München) berichtete in seinem Vortrag auf der Grundlage von Suchanträgen und Heimkehrerberichten aus dem Archivbestand des DRK Suchdienstes zu Zivilgefangenen des Zweiten Weltkrieges. Wie bereits Harald Knoll in seinem Vortrag erläutert hatte, saßen nicht nur Militärangehörige in den Lager der GUPVI und GULAG sondern auch eine beträchtliche Anzahl von in die Sowjetunion verschleppten Zivilisten. Neben Zahlen und Fakten bot Hansjörg Kalcyk eine Definition zur Thematik und verdeutlichte daran die Herkunft der Gefangenen und die Umstände der Verschleppung durch die Sowjetunion. Im Rahmen der anschließenden Diskussion wurde bereits ein erstes Ergebnis der Tagung deutlich. So hatten die Referenten der Tagung nicht nur die Möglichkeit ihre Forschungsergebnisse einem internationalen Publikum zu präsentieren, sondern konnten ebenso in Diskussion bzw. in nachfolgenden Gesprächen interessante und hilfreiche Hinweise zu Archivbeständen erlangen, die ihnen bis dahin teilweise unbekannt waren.
Die Moderation des vierten und letzten Panels der Tagung übernahm Klaus-Dieter Müller (Dokumentationsstelle Dresden).
ROLF WIEDEMANN (Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Kassel) schilderte in seinem Vortrag anhand der Arbeit des Volksbundes die Situation der deutschen Kriegsgräberstätten in Osteuropa. Mit Hilfe der von ihm präsentierten Bilder wurden für die Teilnehmer sowohl die Erfolge als auch die Schwierigkeiten bei der Errichtung von Grabstätten und Grabmahlen in der Ukraine und Russland deutlich.
Nach einer kurzen Vorstellung seines Museums und dessen Archivbestand berichtete SERGEJ ESIPOW (Stellvertretender Direktor des Streitkräftemuseums, Moskau) noch einmal aus seiner Sicht zur Ermittlung der Gesamtzahlen zu sowjetischen Kriegsgefangenen und den Verlusten der Roten Armee. Er wies daraufhin, dass neben den Kriegsgefangenen und den Gefallenen die Invaliden und Kriegsversehrten nicht vergessen werden dürften. Neben der Forschung zur Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges und dessen Opfern sei die Pflege von Krieggräberstätten wichtig. Die Mitarbeiter des Museum würden jedes Jahr dazu verpflichtet, obwohl dies nicht zur zentralen Aufgabe des Streitkräftemuseums gehöre. Weiter ging der Leiter des Streitkräftemuseums in seinem Vortrag auf die positive Entwicklung in der Pflege von eigenen und von Fremdgräbern ein und berichtete von einem Projekt in China.
VIKTOR SCHUMSKIJ (Verwaltung des Gedenkens an die Vaterlandsverteidiger) widmete sich in seinem Vortrag, wie der Titel schon vermuten ließ, weniger dem Zustand der Kriegsgräberstätten in Weißrussland. Er berichtete vielmehr von der Untersuchung der Kriegsgräberstätten auf der Grundlage von Archivmaterialien und Zeitzeugenunterlagen. Dabei beschrieb er die Erfassung und Klassifizierung der verschiedenen Grabstätten. Schumskij betonte in seinem Vortrag die gute Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge.
Nachdem im ersten Teil des Panels die Kriegsgräberstätten in Osteuropa behandelt worden waren, behandelten die letzten beiden Vorträge der Tagung die Grabstätten sowjetischer Bürger in Deutschland und Österreich.
JENS NAGEL (Leiter der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain, Stiftung Sächsische Gedenkstätten) stellte in seinem Vortrag die sowjetische Kriegsgräberstätten und die Gruppe der sowjetischen Kriegsgefangenen in den Kontext der deutschen Erinnerungskultur an die Opfer nationalsozialistischer Vernichtung und Verfolgung. Anhand von Beispielen gab der Referent einen kurzen vergleichenden historischen Abriss zur Entwicklung der Erinnerung an sowjetische Kriegsgefangene in der DDR, der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen von 1945 bis in die heutige Zeit. Als Ergebnis des Vortrages lässt sich festhalten, dass sowjetischen Kriegsgefangenen in der heutigen Bundesrepublik Deutschland eine stärkere Anerkennung zu Teil werden muss. Vereinzelt werde etwas für das Gedenken an diese zweitgrößte Opfergruppe des Zweiten Weltkrieges getan und auch Möglichkeiten für das individuelle Gedenken geschaffen. Dennoch sei noch viel Arbeit und vor allem Unterstützung von staatlicher Seite nötig, um sowjetischen Kriegsgefangenen ein würdiges Gedenken zu geben.
Die Referate zur aktuellen Situation sowjetischer Kriegsgräberstätten rundete BARBARA STELZL-MARX mit ihrem Vortrag zu Grabanlagen sowjetischer Kriegstoter in Österreich ab. Ausgehend vom Kampfgeschehen in Österreich am Ende des Zweiten Weltkrieges berichtete die österreichische Historikerin von der Bestattung und Umbettung der gefallenen Rotarmisten und der ums Leben gekommenen Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern. In ihrer Präsentation, bei der sie beispielhaft einzelne Bilder von in der unmittelbaren Nachkriegszeit errichteten Ehrenmahlen und Grabanlagen zeigte, kam Barbara Stelzl-Marx zu einem ähnlichen Ergebnis wie ihr Vorredner. Auch in Österreich wurden in der Vergangenheit die Grabstätten und Denkmäler sowjetischer Bürger sowie deren Schicksale eher stiefmütterlich behandelt. Im Rahmen eines Projektes konnten seit 2005 80.000 sowjetische Kriegstote identifiziert und die zugehörige Grablage bestimmt werden.
Der abschließenden Diskussion, in der noch einmal die bisherigen Ergebnisse der Kriegsgräberpflege und die aktuelle Problemlage zusammengefasst wurden, folgten die Dankes- und Schlussworte der Veranstalter und Organisatoren der internationalen Fachtagung. Die Veranstalter und die übrigen Tagungsteilnehmer waren sich über den Erfolg der Tagung einig. Gesicherte Erkenntnisse waren präsentiert und Zahlen, wie auch Fakten, teilweise kontrovers diskutiert worden. Neben der Vorstellung einzelner Archivbestände wurden Kontakte geknüpft, Angebote zur Zusammenarbeit oder Unterstützung in Forschungsvorhaben angekündigt und Ansätze für weitere mögliche Projekte gegeben.
Als ein letztes Ergebnis der Tagung wurde festgehalten, dass Dresden auch zukünftig Austragungsort für Konferenzen zur Thematik Kriegsgefangenschaft und Opfer des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit bleiben soll und somit die Reihe von Veranstaltungen aus den Jahren 1997, 1998, 2001 und 2010 fortgesetzt wird.
Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist in Vorbereitung.
Anmerkungen:
[1] Grif sekretnosti snjat. Poteri woorushennych sil SSSR w wojnach, boewych dejstwijach i woenich konfliktach, Statistitscheskoe issledowanie, Moskwa, 1993.
[2] Generalnyj schtab wooryschennych sil RF (Pod red. G.F. Kriwoscheewa): Welikaja Otetschestwennaja bes grifa sekretnosti. Kniga poter, Moskwa, 2010.
Tagungsprogramm (Kurzform)
„Gefallen - Gefangen - Begraben. Zahlen und Fakten zu sowjetischen und deutschen Opfern des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit“ (Dresden, 6./7.Juli 2010)
Panel 1: Kriegsverluste des Deutschen Reiches und der UdSSR
Boris Sokolow, Schriftsteller und Historiker Moskau
Unwiederbringliche Verluste der Roten Armee und der Wehrmacht in den
Jahren 1939-1945
Vitali Kasakewitsch, Vorsitzender Verein „Gemeinsames Europa - gemeinsames
Gedächtnis", Kiew
Die Kriegsverluste der Roten Armee auf deutschem Boden
Jekaterina Kiseljowa, GARF Moskau
Die Unterlagen zu verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen im Bestand der TschGK
Dimitri Mikuschew, KGB Weißrussland Minsk
Schicksale deutscher Kriegsgefangener
Sergej Kokin, SBU Ukraine
Die Problematik der ausländischen Kriegsgefangenen in der Ukraine zu Beginn des
Zweiten Weltkrieges (September 1939 - 1940)
Rüdiger Overmans, Historiker Freiburg
Die Kriegsverluste der Wehrmacht an der Ostfront
Panel 2: Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte
Klaus-Dieter Müller, Dokumentationsstelle Dresden
Sowjetische Kriegsgefangene in deutscher Hand: Stand der Forschung und Erfassung
Gabriele Hammermann, KZ-Gedenkstätte Dachau
Die Aussonderung sowjetischer Kriegsgefangener und ihr Schicksal in
Konzentrationslagern am Beispiel Dachau
Harald Knoll, Ludwig-Boltzmann-Institut, Österreich
Deutsche und österreichische Kriegsgefangene in der Sowjetunion
Wladimir Doroschewitsch, KGB-Zentralarchiv Weißrussland
Schicksale sowjetischer Kriegsgefangener auf Grundbasis von Filtrationsunterlagen
Eva-Ditte Donat, Museum Salten Norwegen
Sowjetische Kriegsgefangene in Norwegen am Beispiel des Lagers Engelöy
Panel 3: Bevölkerungsverluste bei Zivilisten auf osteuropäischer und deutscher Seite
Christine Glauning, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schönewe
„Ostarbeiter“ im Deutschen Reich
Karen Strugg, Internationaler Suchdienst Bad Arolsen
Die Konzentrationslager und ihre Häftlinge im Dritten Reich
Hansjörg Kalcyk, DRK-Suchdienst München
Die Zivilgefangenen des Zweiten Weltkrieges aus der Sicht des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes
Panel 4: Kriegsgräberstätten und die auf ihnen Bestatteten in Deutschland und Osteuropa
Rolf Wiedemann, Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge, Kassel
Zur Situation deutscher Kriegsgräberstätten in Osteuropa
Sergej Esipov, Streitkräftemuseum Moskau
Deutsche Kriegsgräberstätten in der Russischen Föderation
Viktor Schumskij,
Staatliche Inventarisierung von Militärgräbern und die Anzahl der dort Begrabenen in der
Republik Belarus
Jens Nagel, Gedenkstätte Ehrenhain-Zeithain
Sowjetische Kriegsgräberstätten in Deutschland
Barbara Stelzl-Marx, Ludwig-Boltzmann-Institut
Kriegsgräberstätten auf dem Gebiet der Republik Österreich