Ein Blick auf die Novemberpogrome in Breslau 1938
10.11.23
Das ganze Ausmaß der gezielten Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung am 9. und 10. November 1938 zeigte sich erst in den folgenden Tagen. Es brannten nicht nur Synagogen und jüdische Geschäfte, auch soziale Einrichtungen für pflegebedürftige jüdische Menschen waren Ziel der Gewaltausbrüche. So zum Beispiel in Breslau.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 fuhren vor dem jüdischen Krankenhaus in Breslau nahezu pausenlos Krankenwagen vor. Sie brachten Menschen, die in ihrer Verzweiflung ihrem Leben ein Ende setzen wollten. Viele konnten nicht mehr gerettet werden. Und selbst die Überlebenden waren nicht sicher. Am 11. November 1938 durchkämmte die Gestapo das Krankenhaus und verhaftete alle transportfähigen Patienten, Pfleger und einige Ärzte. Sie kamen zusammen mit etwa 2 000 weiteren Breslauer Juden in das KZ Buchenwald.
Das Krankenhaus musste in der Folgezeit weitere Patienten aufnehmen – jüdische Psychiatriepatienten, die bisher im Breslauer psychiatrischen Krankenhaus in der Einbaumstraße und der Anstalt Herrnprotsch, unweit von Breslau, versorgt worden waren. Seit November 1938 waren sie von der öffentlichen Fürsorge ausgeschlossen. Das jüdische Krankenhaus hatte allerdings gar keine psychiatrische Station, was die Unterbringung erschwerte. 1939 musste es einem Lazarett weichen und in ein benachbartes kleineres Gebäude ausweichen. Es folgten weitere erzwungene Standortverlegungen, zuletzt in das Verwaltungsgebäude auf dem jüdischen Friedhof.
Verzweiflung und Angst machte sich im November 1938 auch in der jüdischen Altersversorgungsanstalt in Breslau breit. Dort durchlöcherten am Abend des 10. November Steine die Fensterscheiben. Hitlerjungen drangen in das Gebäude und forderten die Herausgabe von Betten und Decken. Verängstigt blieben die betagten Bewohnerinnen und Bewohner zurück. In der Folgezeit kamen immer neue Bewohner hinzu – ihre Angehörigen waren verhaftet worden oder emigriert. Die alten Menschen blieben oft zurück. Zusammengedrängt lebten sie in wechselnden Standorten bis sie 1941 zu den ersten Deportierten gehörten. Ziel war das für die Breslauer Juden errichtete Ghetto in Tormersdorf bei Rothenburg (Oberlausitz).
Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus in Schlesien ist eng mit der Arbeit der Gedenkstätten Großschweidnitz und Pirna-Sonnenstein verbunden. Zahlreiche schlesische Anstaltspatientinnen und -patienten kamen ab 1941 im Zuge der NS-Krankenmorde nach Sachsen und starben hier. In den ehemals schlesischen Psychiatrien wie Leubus, Loben oder Bunzlau gibt kaum Erinnerung an diese Verbrechen. Diese Lücke versuchen wir etwas zu schließen und begreifen unseren Erinnerungsauftrag deshalb auch länderübergreifend.
Sie wollen mehr über das Schicksal der jüdischen Menschen in Kranken- und Pflegeeinrichtungen in Breslau und den schlesischen Anstalten wissen? Dann empfehlen wir Ihnen den soeben erschienenen Sammelband „Breslau/Wrocław 1933-1949. Studien zur Topographie der Shoah“, herausgegeben von Tim Buchen und Maria Luft. Darin ist auch ein Aufsatz zu den jüdischen Krankeneinrichtungen in Breslau zu finden. Über die Ermordung der schlesischen Anstaltspatienten informiert der Sammelband „Vergessene Opfer der NS-„Euthanasie“, herausgegeben von Boris Böhm. Er kann im Webshop der Stiftung Sächsische Gedenkstätten bestellt werden.
Kontakt
Dr. Maria Fiebrandt (Gedenkstätte Großschweidnitz, Öffentlichkeitsarbeit)
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