Kurt Schlosser wurde vor 80 Jahren hingerichtet: Gedenkstätte Münchner Platz Dresden erinnert an Widerstandskämpfer
20.08.24
Wer war Kurt Schlosser? Mit dieser Frage beschäftigte sich die Gedenkstätte Münchner Platz Dresden am 80. Jahrestag der Hinrichtung des Dresdner Widerstandskämpfers. Der Kommunist war am 16. August 1944 im Richthof des Dresdner Landgerichts getötet worden – zusammen mit drei weiteren Angehörigen seiner Gruppe. Der Bergsteigerchor „Kurt Schlosser“ umrahmte die Veranstaltung mit seinen Liedern. Zwei Vorträge widmeten sich dem Menschen Kurt Schlosser – und der Legende, zu der er gemacht wurde.
Im Festsaal der Fakultät Wirtschaftswissenschaften der TU Dresden drängen sich am Freitagabend des 16. August 2024 die Menschen. Die etwa 50 Sänger des Bergsteigerchors stellen sich vorne auf, stimmen ihr erstes Lied an: „Wir sind der Bergsteigerchor“. In der ersten Stuhlreihe sitzen mit Frieder Schlosser und Janett Dammenhayn ein Urenkel und eine Urenkelin Kurt Schlossers. Dahinter haben Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Platz genommen, ebenso Menschen, die sich für die Geschichte der „Roten Bergsteiger“ interessieren sowie erinnerungspolitisch Aktive. Eine Frau erzählt, sie sei gekommen, weil ihre Mutter als junge Frau heftig für Kurt Schlosser geschwärmt hatte – ihre Liebe sei aber unerwidert geblieben.
Gedenkstättenmitarbeiter Dr. Gerald Hacke zeichnet den Lebenslauf Kurt Schlossers nach, der 1900 in Dresden geboren wurde – als fünftes von acht Kindern eines Schuhmachermeisters. Obwohl ihm in den ersten Wochen seiner Tischlerlehre der rechte Unterarm amputiert werden musste, zog er seine Lehre durch und fand anschließend eine Stelle bei den Deutschen Werkstätten Hellerau. Dort setzte er sich als kommunistischer Betriebsrat für die Interessen der Arbeitenden ein – bis er 1931 entlassen wurde. Einige Quellen legen nahe, dass Schlosser kurz darauf die KPD verließ, aus Ärger darüber, dass die Partei ihn in der Not seiner Arbeitslosigkeit nicht finanziell unstützte. Doch er wusste sich durchzusetzen und eröffnete eine eigene kleine Tischlerwerkstatt.
1932 übernahm der sangesfreudige Schlosser die organisatorische Leitung der Gesangsabteilung der kommunistischen Bergsteigergruppen der „Naturfreunde-Opposition“, wie Gerald Hacke ausführt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten werden Chor und die Kletterabteilungen aufgelöst und verboten. Schlosser gehörte nicht zu denen, die gleich zu Beginn der NS-Herrschaft inhaftiert wurden. Einem früheren Mitglied der Gesangsabteilung zufolge wollte er in diesen Jahren „in nichts verwickelt werden und nicht auffallen“. 1942/43 änderte sich Schlossers Haltung: Gemeinsam mit Gleichgesinnten verfolgte er die Idee, Vertrauensleute der illegalen KPD in Dresdner Betrieben zu installieren. Im Augenblick des Zusammenbruchs der NS-Herrschaft sollten diese die Kontrolle übernehmen.
Weit gedieh das Netzwerk nicht: Verraten aus den eigenen Reihen durch den Spitzel Kurt Sindermann, verhaftete die Gestapo im Dezember 1943 die angeblichen „Volksschädlinge“. Am 30. Juni 1944 verurteilte der Volksgerichtshof in Dresden vier Angeklagte zum Tode – wegen „Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung“. Herbert Blochwitz, Arthur Weineck, Otto Galle und Kurt Schlosser wurden wenige Wochen später mit der Guillotine hingerichtet.
„Wie kommt es eigentlich, dass Kurt Schlosser heute als der bekannteste Dresdner Widerstandskämpfer da steht?“, fragt Gedenkstättenmitarbeiter Volker Strähle. Denn Kurt Schlosser war nicht der Leiter der Widerstandsgruppe und nahm in dieser auch keine herausgehobene Position ein. In der Dresdner Erinnerungskultur wurde er aber seit den 1960er-Jahren zu einem herausragenden antifaschistischen Kämpfer stilisiert. Die Popularität Schlossers, die auch den politischen Umbruch 1989/90 überstand, führte Volker Strähle insbesondere auf das Wirken des Bergsteigerchors „Kurt Schlosser“ zurück, der seit 1949 den Namen des Widerstandskämpfers trug. Hinzu sei das Wirken Heinz Schlossers gekommen, der als DDR- Sportfunktionär ab den 1950er-Jahren eine ganze Reihe von Beiträgen über seinen Vater veröffentlichte – und die Benennung von Kollektiven und Institutionen nach Kurt Schlosser anregte.
Fünf Mythen benannte Volker Strähle, die aus Kurt Schlosser einen kommunistischen Helden machten: Erstens wurde fälschlicherweise der Eindruck erweckt, Kurt Schlosser habe in der Nazi-Zeit jahrelang illegale Arbeit für die KPD geleistet. Zweitens wurden die Reichweite und der Umfang der Widerstandsgruppe völlig übertrieben dargestellt. Drittens wurde die Widerstandsgruppe in der öffentlichen Erinnerung immer mehr auf den Namen Kurt Schlosser reduziert, die anderen Personen rückten in den Hintergrund. Viertens wurde ein Zusammenhang zwischen Schlosser und der „illegalen Grenzarbeit“ der „Roten Bergsteiger“ zwischen 1933 und 1938 hergestellt. Fünftens wurde Schlossers ein politisches „Vermächtnis“ im Sinne der kommunistischen Partei angedichtet.
Die Veranstaltung endet mit einer moderierten Gesprächsrunde, in der sich drei Sänger des Bergsteigerchors über die Bedeutung Kurt Schlossers austauschten. Steffen Groß, der seit 13 Jahren im Chor singt, zeigt sich beeindruckt über die Biographie Schlossers: „Der ist gegen den Strom geschwommen.“ Von der DDR-Erinnerungskultur um Schlosser habe er bis heute noch nichts gehört. Dagegen wurde der Vorsitzende Carsten Jandura von dieser stark geprägt: Der heute 55-Jährige erzählt, wie er in den 70er-Jahren als junger Sänger im Kinderchor noch Bergwanderungen mit Wegbegleitern Schlossers unternommen habe.
Der 85-jährige Peter Salzmann, Ehrenvorsitzender des Chors, hat jahrzehntelang die Erinnerung an Kurt Schlossers geprägt – und darum gekämpft, dass dieser nicht vergessen wird. „Wir sind nach 1989 oft gefragt worden, ob wir uns nicht von dem Namen ‚Kurt Schlosser‘ trennen wollen“, sagt er. „Die Antwort war: Warum sollten wir uns von jemandem trennen, der den Mut hatte, sich gegen ein barbarisches Regime zu stellen?“ In der entscheidenden Abstimmung hätten alle für den Erhalt des Namens gestimmt, bis auf einen: „Der war aber erst 14 Tage im Chor.“ Carsten Jandura erinnert sich, dass über eine mögliche Umbenennung zwar diskutiert wurde – „aber dann wurde das recht schnell zur Abstimmung geführt und beendet.“ Jandura sieht die Vergangenheit des Chors kritisch: „Wir waren stark auf SED-Linie. Deshalb habe man die Arbeiter- und Kampflieder im Repertoire gehabt. „Das hat die Zeit überholt“, meint er.
Abschließend versammeln sich die Teilnehmenden der Veranstaltung auf dem ehemaligen Richthof zum Gedenken an Kurt Schlosser und die anderen Hingerichteten. Der Chor singt nochmals zwei Lieder – „Der Jäger Abschied“ und „Für dich sind meine Lieder.“ Einige legen Blumen nieder, verharren still vor der Skulpturengruppe, die an die am Münchner Platz Hingerichteten erinnert.
Frieder Schlosser zeigt sich bewegt: „Es ist schön, dass heute an meinen Opa erinnert wird“, sagt er. „Und dass es den Kurt-Schlosser-Chor noch gibt.“ Und einen Entschluss hat er schon gefasst: Gemeinsam mit seinen beiden Schwestern möchte er der Gedenkstätte Münchner Platz Dokumente aus dem Nachlass seines Vaters Heinz Schlosser übergeben.
Kontakt
Volker Strähle (Referent Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit)
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