Ehemaliger Häftling und Zeitzeuge Jaromír Lisý im Alter von 100 Jahren verstorben
22.11.21
Vor zwei Jahren reiste Jaromír Lisý vierzehn Tage lang durch den Iran und 2020 begann er am Lifelong Learning Center in Prag zu studieren. Am 12. November 2021 ist Jaromír Lisý verstorben. Birgit Sack, Leiterin der Gedenkstätte erinnert sich gern an das über zweistündige Interview zurück, dass sie im September 2010 mit ihm führen durfte: „Hochkonzentriert und in fließendem Deutsch erzählte er seine Widerstands- und Verfolgungsgeschichte. Dann hatte es Jaromír Lisý eilig, denn er wollte am selben Tag noch zum Wandern ins Riesengebirge aufbrechen.“
Kaum an der Prager Handelshochschule immatrikuliert, erlebte Jaromír Lisý die Schließung der tschechischen Hochschulen im Herbst 1939 nach studentischen Demonstrationen anlässlich des tschechoslowakischen Unabhängigkeitstags. Auch er war unter den knapp 2.000 Studierenden, die von der deutschen Besatzungsmacht verhaftet wurden, kam aber wegen seines jugendlichen Alters schnell wieder frei. Diese Gewalterfahrung und der Bruch in seiner Biographie veranlassten Lisý, der nun in der Verwaltung einer Druckerei arbeitete, sich auf Anfrage eines Vorgesetzten einer militärisch-nationalen Widerstandsgruppe in Kolín anzuschließen. Für diese Gruppe, in der sich auch sein Vater engagierte, half er beim Organisieren illegaler Treffs.
Im November 1941 verhaftet, wurde Jaromír Lisý zusammen mit seinem Vater und Anderen nach Haftstationen im Gestapogefängnis in der Kleinen Festung in Theresienstadt und in Prag-Pankratz nach Dresden verbracht. Nach monatelanger Untersuchungshaft in den beiden Gerichtsgefängnissen folgte die Überstellung nach Litoměřice. Das dort ansässige Oberlandesgericht verurteilte den Minderjährigen im März 1943 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Bis Kriegsende musste Jaromír Lisý im Strafgefangenlager „Elbregulierung“ Griebo schwere körperliche Arbeit für die Rüstungsindustrie leisten.
Nach Kriegende schlug er eine militärische Laufbahn ein, war unter anderem Militärattaché in Ungarn. Nach dem „Prager Frühling“ wurde er aus der Armee entlassen.
Unserer Einladung zur Eröffnung der ständigen Ausstellung VERURTEILT.INHAFTIERT.HINGERICHTET am 10. Dezember 2012 ist Jaromír Lisý gerne gefolgt.
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Nora Manukjan
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