70 Jahre nach seiner Hinrichtung: Gedenkstätte Münchner Platz Dresden beleuchtet Geschichte des „Westspions“ Christian Lange-Werner
22.03.24
Auf den Tag genau 70 Jahre nach seiner Hinrichtung hat die Gedenkstätte Münchner Platz Dresden Christian Lange-Werner (1914–1954) am 20. März 2024 eine Veranstaltung gewidmet. Der Leutnant der Kasernierten Volkspolizei der DDR hatte einen US-Geheimdienst und die „Organisation Gehlen“ – den Vorläufer des westdeutschen Bundesnachrichtendienstes – mit Informationen über die DDR-Luftwaffe versorgt. Der Historiker Dr. Stefan Donth, Leiter Strategie und Zeitzeugenarchiv in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, stellte seine Forschungen zu der Spionagegruppe um Lange-Werner nun in Dresden einem interessierten Publikum vor.
„Warum befassen wir uns heute mit dieser Geschichte?“, fragt Stefan Donth die Zuhörenden im vollbesetzten Veranstaltungsraum der Gedenkstätte Münchner Platz Dresden. Er sieht im Blick auf die DDR eine problematische Entwicklung: Die Repression in der DDR werde zunehmend weggeschoben. Die Geschichte von Christian Lange-Werner könne als Beispiel dafür dienen, wie die Durchsetzung der kommunistischen Diktatur in der DDR in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre vonstatten ging: mit geheimpolizeilichen Methoden, breit angelegten Verhaftungen, zermürbenden Verhören und abschreckenden Urteilen.
„Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 stand die Stasi unter Erfolgsdruck“, sagt Donth. Die Verhaftung der Gruppe um Lange-Werner im Juli/August 1953 sei einer der vorgewiesenen Erfolge gewesen. Die Geschichte dieser Gruppe behandelt Donth in seinem 2023 erschienenen Buch „Tödliche Spionage im Kalten Krieg“.
Die acht Personen, die der Gruppe „Lange-Werner“ zugerechnet wurden – fünf Männer und drei Frauen –, kamen in die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen. Dort waren sie systematischen Verhören unterworfen. Eine der Frauen wurde wieder freigelassen, nachdem sie „die Seiten gewechselt“ hatte. Ihre Tätigkeit für die Stasi dauerte bis zum Oktober 1989.
Der Rolle der Frauen – darunter auch Christian Lange-Werners Ehefrau Lotte, die als Kurierin mitarbeitete – widmet Donth besondere Aufmerksamkeit. „Die Frauen waren eigene Akteurinnen, die sehr initiativreich gearbeitet haben“, betont er. Das sei jedoch von den Stasi-Ermittlern aufgrund ihrer von Geschlechterstereotypen geprägten Wahrnehmung nicht erkannt worden: Erst die Juristinnen des Obersten Gerichts hätten im Berufungsverfahren deren eigenständige Rolle herausgearbeitet.
Verurteilt wurden Lange-Werner und die Mitangeklagten im Oktober 1953 in einer Art Schauprozess. 700 Offiziere der Kasernierten Volkspolizei waren dafür eigens zur Verhandlung nach Cottbus beordert worden.
In den 1950er-Jahren sei die Spionage für westliche Dienste ein Massenphänomen in der DDR gewesen, betont Donth. Dem begegnete die Staatssicherheit mit Verhaftungswellen und auf Abschreckung zielenden Prozessen. Mit einigem Erfolg, wie der Buchautor glaubt. Regelrecht eingebrochen sei die Überbringung von Nachrichten in den „Westen“ jedoch erst durch den Bau der Berliner Mauer 1961, räumt Donth ein.
Was hat Lange-Werner dazu bewegt, als V-Mann tätig zu werden? Gedenkstättenleiterin Dr. Birgit Sack fragt nach den Beweggründen und Motiven: Brauchte er Geld, um in den Westen zu fliehen? Wollte er zum Sturz des DDR-Regimes beitragen? Inwieweit lassen es die Quellen überhaupt zu, von politischen Motiven – „Antikommunismus“, „Freiheit“, „westliche Werte“ – auszugehen? Donth antwortet darauf, es sei immer ein Bündel von Motiven, das Menschen dazu bewegt, für Geheimdienste zu arbeiten. „Bei Lange-Werner ist es mir aber wichtig, den ideologischen Teil hervorzuheben“, sagt Donth. „Gleichzeitig wollte er sich ein Leben in der Bundesrepublik aufbauen – als hauptamtlicher Mitarbeiter eines US-Nachrichtendienstes.“
Auf die Frage aus dem Publikum, inwiefern die nationalsozialistische Vergangenheit Lange-Werners seine Haltung gegenüber der DDR geprägt hat, kann Donth aufgrund der Quellenüberlieferung keine Antwort geben. Lange-Werner war in der NS-Zeit nicht nur Angehöriger der Luftwaffe, 1939 trat er auch der NSDAP bei. In den Vernehmungen habe seine Rolle im Nationalsozialismus gar keine Rolle gespielt, betont Donth. Erst in dem Prozess und insbesondere in der Presseberichterstattung sei Lange-Werner als unverbesserlicher „Faschist“ dargestellt worden.
Das Ende des Lebens von Christian Lange-Werner ist penibel dokumentiert. Am 20. März 1954, um 4.10 Uhr in der Nacht, vollstreckte der Scharfrichter das Todesurteil. Die Hinrichtung durch die Guillotine geschah streng abgeschirmt von den Gefangenen der Haftanstalt der Volkspolizei am Münchner Platz. Nach seinem letzten Wunsch gefragt, hatte Lange-Werner um Schreibpapier und etwas zu trinken gebeten. Sein Abschiedsbrief wurde nicht an die Familie ausgehändigt, seine Asche auf dem Urnenhain Tolkewitz verscharrt.
Gedenkstättenleiterin Dr. Birgit Sack erinnert auch an die drei weiteren Männer, die am selben Tag am Münchner Platz hingerichtet wurden: Werner Hoffmann wie Lange-Werner wegen Spionage für westliche Geheimdienste, Ernst Jennrich wegen der angeblichen Erschießung eines Polizisten während des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 und Albrecht Gessler, der sich der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ angeschlossen hatte, wegen eines Bombenanschlags auf eine Eisenbahnstrecke.
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