1945 | 2020 Kalenderblatt: Entlassung der letzten Häftlinge aus der Untersuchungshaftanstalt am Münchner Platz in Dresden am 7. Mai 1945
07.05.20
Herbert Böhme (1879 – 1971), Superintendent der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche im Kirchenbezirk Meißen, hoffte mit den anderen Gefangenen in ihren Zellen am Münchner Platz in Dresden auf das hörbar nahende Kriegsende, um vielleicht doch noch der Hinrichtung zu entgehen.
In einem 1985 veröffentlichten Erinnerungsbericht schilderte Herbert Böhme dieses dramatische Geschehen am Münchner Platz: „Umso mehr empfand ich die Rettung wie ein Wunder. Am Sonntag, 6. Mai, hörten wir schon in Dresden Kanonendonner. Montag, 7. Mai, entstand Unruhe im Gefängnis, unsere Sachen wurden hereingeworfen, dann durften wir auf die Gänge, wo schon die Aufseher Zivilkleider trugen. Das ganze Landgericht rüstete sich zur Flucht. Am Nachmittag erhielt ich meinen Entlassschein und stand dann – es war wie im Traum – vor dem Landgericht in Freiheit.“
Warum war der angesehene Kirchenmann überhaupt am Münchner Platz inhaftiert?
Herbert Böhme hatte am 27. April 1945 versucht, den Bürgermeister von Meißen, Walther Kaule, sowie den SS-Festungskommandanten Voß davon zu überzeugen, die geplante Evakuierung der Stadt nicht durchzuführen. Er schlug vor, Meißen zur „offenen Stadt“ zu erklären und auf die Verteidigung gegen die anrückende Rote Armee zu verzichten. Damit wollte er die mögliche Zerstörung der historischen Altstadt und des Doms verhindern. Kurz danach wurde der Superintendent auf Veranlassung von NSDAP-Kreisleiter Helmut Böhme im Rathaus verhaftet. Er sollte nun vor ein Standgericht gestellt, zum Tode verurteilt und dann erschossen oder erhängt werden.
Seit Februar 1945 konnten die Reichsverteidigungskommissare das Standrecht ausüben. Diese außerhalb von Wehrmacht und SS angesiedelten Standgerichte setzten sich aus einem Strafrichter als Vorsitzendem sowie einem Politischen Leiter oder Gliederungsführer der NSDAP und einem Offizier der Wehrmacht, SS oder Polizei als Beisitzer zusammen. Sie waren für alle Delikte zuständig, die „die deutsche Kampfkraft oder Kampfentschlossenheit“ gefährdeten. Urteile konnten nur auf Todesstrafe, Freispruch oder Überweisung an die ordentliche Justiz lauten. Sie mussten in der Regel vom Reichsverteidigungskommissar bestätigt werden. Aus Sicht des Regimes hatten diese Gerichte den Vorteil, dass Todesurteile sofort vollzogen wurden. Selbst ein auf das äußerste gekürztes Sondergerichtsverfahren, wie das gegen einen Dresdner Fuhrgeschäftsinhaber, der gemeinsam mit geflohenen Ostarbeitern Lebensmittel in Ruinen gestohlen hatte, dauerte von der Festnahme bis zur Hinrichtung am 16. März 1945 eine ganze Woche.
Gauleiter Mutschmann billigte das geplante Vorgehen gegen Herbert Böhme. Allerdings weigerten sich die beiden Meißner Juristen – Amtsgerichtsrat Burckhardt und Landgerichtsrat Leonhardt – trotz Drohungen, am Standgericht teilzunehmen. Herbert Böhme wurde daraufhin am 1. Mai 1945 in das Untersuchungsgefängnis am Münchner Platz in Dresden gebracht. Das angedrohte Verfahren wegen „Wehrkraftzersetzung“ kam jedoch wegen des Kriegsendes nicht mehr zustande. Am 7. Mai 1945 floh die Justizverwaltung Richtung Erzgebirge und Nordböhmen. Vorher hatte Generalstaatsanwalt Heinz Jung angeordnet, die etwa 300 in der Haftanstalt am Münchner Platz einsitzenden Gefangenen freizulassen.
1987 benannte die Stadt Meißen eine Straße nach Herbert Böhme. Am Domplatz erinnert auch eine Gedenktafel an das couragierte Handeln des Superintendenten in den letzten Kriegstagen.
Kontakt:
Dr. Gerald Hacke (Wissenschaftliche Dokumentation und Ausstellungsbetreuung)
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