Otto Ußner (1881–1966)
Der Dreher Otto Ußner leitete eine Ortsgruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (kurz Reichsbanner), eines politischen Wehrverbandes, der am 22. Februar 1924 in Magdeburg von Mitgliedern dreier Parteien (SPD, DDP und Zentrum) zum Schutz der demokratischen Republik gegründet worden war. Anfang der 1930er-Jahre war das Reichsbanner nach eigenen Angaben mit etwa drei Millionen Mitgliedern die größte demokratische Massenorganisation in der Weimarer Republik. Ußner gehörte zu den unzähligen Männern, die im Frühjahr 1933 aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Reichsbanner in „Schutzhaft“ genommen und in eines oder gar mehrere der frühen Konzentrationslager überführt worden waren.
Ernst Otto Ußner wurde am 22. September 1881 als erster Sohn eines Eisendrehers in der Gemeinde Glösa, einem Chemnitzer Vorort, geboren. Seine Eltern waren Friedrich Ernst Ußner (1861–1910) und Emilie Pauline Herrmann (†1936). Von 1888 bis 1896 besuchte er die Volksschule in Glösa, danach erlernte er von 1896 bis 1900 in der von Johann von Zimmermann gegründeten Chemnitzer Werkzeugmaschinenfabrik den Beruf eines Eisendrehers. Nebenbei besuchte er eine Fortbildungsschule in Glösa. Nachdem er eine Zeit lang als Geselle gearbeitet hatte, trat er im Sommer 1900 in die Gewerkschaft, den Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV), ein und ging auf Wanderschaft. Nachdem er sich längere Zeit in Calbe (Saale) aufgehalten hatte, verschlug es ihn in die Hansestadt Bremen, wo er auf einer Werft tätig war.
Kurz nach seinem 20. Geburtstag wurde Otto Ußner zum zweijährigen Heeresdienst einberufen. Nach seiner Entlassung kehrte er nach Glösa zurück, um in seinem erlernten Beruf zu arbeiten. Im Alter von 24 Jahren trat er 1905 in die SPD ein, die in Glösa viele Mitglieder hatte. Am 23. September 1905 schloss Otto Ußner in Limbach die Ehe mit der aus der Landgemeinde Oberfrohna stammenden, fast gleichaltrigen Näherin Erna Louise Heil. Die Eheleute verzogen daraufhin nach Chemnitz-Kappel, wo sie 15 Jahre lang lebten. In dieser Zeit erblickten auch ihre vier Kinder das Licht der Welt. Die Namen dreier Töchter sind überliefert: Erna Dora (1907–1938, verh. Brandenburg), Anna Liesbeth (1909–1989, verh. Eißrich) und Ilse Hildegard (1919–2003, verh. Aurich). Ein Kind wurde nur acht Wochen alt. Dora, die älteste Tochter, starb Ende der 1930er-Jahre und hinterließ ein Kind. Zunächst wohnte die Familie in verschiedenen Mietshäusern an der Lützowstraße. Als eine Reihe von Wohnhäusern entlang der Neefestraße erbaut worden war, konnte die Familie eine größere Wohnung in dem Haus Nr. 89 beziehen.
Eine Woche nach Beginn des Ersten Weltkrieges (1914–1918) wurde Ußner für das Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 133 rekrutiert. Bei der Entlassung 1916 gehörte der Weltkriegsteilnehmer dem Infanterie-Regiment Nr. 179 an und hatte den Dienstgrad eines Musketiers. Anschließend begann er, sich verstärkt politisch zu betätigen. In Kappel war er jedoch, wie er es in einem Ende 1945 verfassten Lebenslauf ausdrückte, nur „an Kleinarbeit“ beteiligt.
Im Sommer 1920 verzogen die Eheleute wieder nach Glösa und wohnten seit 1925 in einem Haus der Baugenossenschaft (Am Berg 2). Über einen längeren Zeitraum, von 1928 bis 1935, war der Familienvater ohne Arbeit und verrichtete nur Gelegenheitsarbeiten. Danach fand er wieder eine Beschäftigung in den „Presto-Werken“, einer Abteilung der Nationalen Automobilgesellschaft Aktiengesellschaft (AG). Bereits von 1913 bis 1928 hatte er in dem Werk an der Chemnitzer Scheffelstraße als Dreher gearbeitet.
Mitte der 1920er-Jahre verstärkte Otto Ußner sein politisches Engagement im Kampf um den Erhalt der Republik. So trat er im Jahr 1925 dem Reichsbanner bei und erlebte hautnah die Fahnenweihe am 13. September 1925 in Furth-Glösa. Im Februar 1931 wurde er auf der Jahreskonferenz im „Turnerheim“ zum 1. Vorsitzenden des Ortsvereins Glösa, dem damals mindestens 55 Mitglieder angehörten, gewählt. Zugleich gehörte er dem Kreisvorstand von Groß-Chemnitz an. Ußner war in dieser Zeit, die durch bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten geprägt war, nur selten abends zuhause. Daher bangte seine Ehefrau wiederholt um sein Leben. Otto Ußner war darüber hinaus 1. Vorsitzender des Gartenbauvereins Glösa. Mit seiner Ehefrau Erna, die im Jahr 1920 auch in die SPD eingetreten war, gehörte er zudem dem Arbeiter- Turn- und Sportbund (ATSB) an. Im Jahr 1930 wurde Ußner in den Vorstand der SPD in Glösa gewählt. Darüber hinaus gab es noch einen Sozialdemokratischen Verein, der von Arno Ensfelder (1889–1954) geleitet wurde. All dies erklärt, wieso Ußners Tochter Liesbeth später von „Wir vom roten Glösa“ sprach, als sie die politischen Verhältnisse in der Gemeinde Anfang der 1930er-Jahre beschrieb. Arno Ensfelder, der ein Freund der Familie war, wirkte in den 1920er-Jahren zudem als stellvertretender Bürgermeister von Glösa.
Nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 verboten die Nationalsozialisten eine Vielzahl von Verbänden und Ortsgruppen des Reichsbanners. Das gleichnamige Wochenzeitschrift hatte bereits am 25. Februar 1933 ihr Erscheinen eingestellt. Nationalsozialistische Gewaltakte gegen Angehörige des Reichsbanners nahmen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler deutlich zu und steigerten sich im Frühjahr 1933 in einem kaum vorstellbaren Ausmaß. Es begann eine regelrechte Jagd nach führenden Vertretern des Reichsbanners. Dies betraf auch die regionale Ebene. Mitglieder des Reichsbanners wurden von den Nationalsozialisten verstärkt in „Schutzhaft“ genommen. Sie wurden vor allem verhört, um Verstecke von Waffen preiszugeben. Im Anschluss daran wurden sie in die „Schutzhaftlager“, wie die frühen Konzentrationslager damals in der Regel bezeichnet wurden, verschleppt und weiter eingeschüchtert.
Für Otto Ußner und seine Familie, zu der noch die verwitwete Mutter gehörte, brach nach dem 5. März 1933 „die schwerste Zeit“ in ihrem Leben an. Alles begann mit drei Hausdurchsuchungen, weil er angeblich „eine Kiste Waffen vom Gausekretär Müller gefasst“ haben soll. Am 6. Mai 1933 wurde er aufgrund des § 1 der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 vor dem Gemeindehaus Glösa, „von der Straße weg“, wie er es nach Kriegsende beschrieb, von Hilfsschutzleuten verhaftet. Die Polizeibehörden hatten ihm die Verteilung von Flugblättern und damit politische Betätigung vorgeworfen. Zusammen mit ihm waren an diesem Tag sein künftiger Schwiegersohn, der Schlosser Arthur Eißrich (SPD), der Theatermaler Paul Ernst Meinig (KPD), der Werkzeugschlosser Arno Ensfelder (SPD), der Stellmacher Friedrich Schiele (SPD) und der Dreher Richard Zöllner verhaftet worden. Zunächst befand sich Ußner im Chemnitzer Polizeigefängnis an der Hartmannstraße, bevor er in die Gefangenenanstalt auf dem Kaßberg überführt wurde. Am 12. Mai 1933 wurde er gemeinsam mit Eißrich und Schiele in das erst wenige Tage zuvor eröffnete Konzentrationslager Sachsenburg verlegt. Von der wachhabenden SA wurde er zum Stubenältesten ernannt und musste Arbeiten in der Lagerküche verrichten. Von dort wurden er und seine zwei Kampfgefährten am 28. August 1933 in die „Verwahrungsanstalt Schloss Colditz“ überführt. In dem „Schutzhaftlager“, in dem er „unter strengster Bewachung“ stand und wiederholt Schikanen ausgesetzt war, befand er sich bis zum 21. Oktober 1933. An diesem Tag wurden er, Eißrich und Schiele wieder nach Sachsenburg verlegt. Nunmehr wurde er dem Arbeitskommando „Waldarbeit“ zugeordnet. Am 11. November 1933 wurde er entlassen und stand bis zum 23. Dezember 1933 unter Polizeiaufsicht. Dies hieß, er musste sich täglich bei der Ortspolizeibehörde melden. Eißrich und Meinig – Letzterer befand sich seit dem 26. Mai 1933 im KZ Sachsenburg – wurden ebenfalls am 11. November 1933 entlassen. Ensfelder und Schiele konnten erst am 16. bzw. 23. Dezember 1933 das „Schutzhaftlager“ verlassen. Schiele nannte später in seinem Fall den Grund dafür: Die Familie hätte sich geweigert, etwas für eine Sammlung zugunsten der NSDAP zu geben. Ein namentlich bekannter SA-Mann, der dafür im Ort zuständig war, hätte dies der Lagerleitung mitgeteilt.
Nach seiner Entlassung blieb Otto Ußner weiterhin ohne Arbeit. Gelegentlich war er im Straßenbau tätig. Erst im Jahr 1935 konnte er wieder bei den „Presto-Werken“ als Dreher arbeiten. Seine Tochter Liesbeth hatte sich im Frühjahr 1934 mit Arthur Eißrich (1907–1972) vermählt. Ihre Ehe blieb kinderlos. Gegen seinen Schwiegersohn wurde am 28. September 1935 ein weiterer Schutzhaftbefehl verhängt, erneut „wegen dringenden Verdachts staatsfeindlicher Betätigung“. Er wurde wiederum in das KZ Sachsenburg verlegt, wo er bis zum 5. Juni 1936 Strafarbeiten in einem Außenkommando verrichten musste. Kaum war die Familie wieder vereint, mussten Otto Ußner und seine Ehefrau zwei Jahre später den Verlust ihrer ältesten Tochter hinnehmen. Ihren achtjährigen, taubstummen Enkelsohn Werner Joachim (1930–2008) nahmen sie bei sich auf.
Die Eheleute überstanden die zunehmenden Wirren des Krieges, jedoch zehrte dieser an ihren Kräften. Am 10. März 1945, fünf Tag nach den westalliierten Luftangriffen auf Chemnitz, erkrankte Otto Ußner ernsthaft, wodurch er anschließend keiner Beschäftigung mehr nachgehen konnte. Nach Kriegsende trat er sofort wieder in die SPD ein. Krankheitsbedingt konnte er zunächst keine Funktion ausüben, später übernahm er in der Ortsgruppe die Aufgabe des Kassierers. Auch seine Arbeit als Dreher konnte er wieder aufnehmen.
Otto Ußner wurde nach Kriegsende trotz des Einwandes, er habe keine illegale Arbeit geleistet, als Opfer des Faschismus (OdF) und später auch als Verfolgter des Naziregimes (VdN) anerkannt. In einer wohlwollenden Beurteilung, die Arno Ensfelder, der neue Bürgermeister, verfasste, wurde dem Rentner am 8. Juni 1950 bescheinigt, dass er trotz seines Alters (69 Jahre) die Arbeit der VVN unterstützte, an jeder Versammlung teilnahm und sich an den Aussprachen rege beteiligte.
Die Eheleute lebten bis zu ihrem Tode in Glösa, das im Jahr 1950 Ortsteil von Chemnitz wurde. Otto Ußner starb am 17. Mai 1966 in Karl-Marx-Stadt. Die Urne mit seiner Asche wurde drei Wochen später auf dem Friedhof St. Jodokus im Stadtteil Glösa beigesetzt. Seine schwerkranke Witwe überlebte ihn um neun Monate. Erna Ußner verstarb am 26. Februar 1967 in Karl-Marx-Stadt. Die gemeinsame Grabstelle wurde nach der gesetzlichen Frist aufgelöst und neu vergeben.
Text: Dr. Jürgen Nitsche
Zur Person
Nachname: | Ußner |
Vorname: | Otto |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 22.09.1881 |
Geburtsort: | Glösa |
Sterbedatum: | 17.05.1966 |
Sterbeort: | Karl-Marx-Stadt |
Letzter frei gewählter Wohnort: | Chemnitz-Glösa |
Orte/Stationen der Verfolgung/Haft |
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Ergänzungen
Quelle(n)/ Literatur |
Staatsarchiv Chemnitz, 30413 Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, Nr. 53285, 56700, 56211, 5439, 54976 |
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