Sabitulla Waljewitsch Schagejew (1896–1945)
Die Suche von Ilnur Gindullin aus dem Bezirk Tscheljabinsk nach seinem Großvater begann bei einer Hellseherin. Diese hatte ihm erzählt, dass er mehrere Male in Gefahr war, sein Leben zu verlieren. Doch jedes Mal habe er Glück gehabt und als Glückskind solle er dafür seinem Großvater, den er niemals kennengelernt habe, dankbar sein. Seinem Großvater, der am Großen Vaterländischen Krieg teilgenommen hatte und nicht zu seiner Familie zurückgekehrt war, seinem Großvater, der nach einer Auskunft des Verteidigungsministeriums der UdSSR als vermisst galt. Und noch etwas sagte ihm die Wahrsagerin: „Dein Großvater – das ist Dein Schutzengel! Doch Du erinnerst Dich nicht an ihn, denkst nicht an ihn, aber er wartet darauf, dass Du sein Grab besuchst.“ Darauf antwortete ihr Ilnur, dass der Großvater im Großen Vaterländischen Krieg verschollen ist, und dass niemand weiß, wo er bestattet ist.
Von diesem Augenblick an nahm sich Ilnur Gindullin vor, seinen Großvater, den Soldaten Sabitulla Schagejew, geboren am 19. September 1896 im Dorf Usunlar, Kreis Archangelsk in Baschkirien, zu finden. Kaum etwas war den Enkeln über ihn bekannt, es gab nicht eine einzige Fotografie von ihm. Als die Großmutter noch lebte, waren die Enkel noch zu klein, um tiefer nachzuforschen. Vor dem Krieg arbeitete er wie viele im Dorf im Kolchos. Er war verheiratet und hatte fünf Kinder. 1942 wurde er einberufen. Es war lediglich bekannt, dass der Eisenbahnzug, in dem der Großvater transportiert wurde, von Deutschen zur Sprengung gebracht worden war. Was genau geschah, blieb jedoch unklar.
Einige Zeit war nach dem Entschluss, die Suche aufzunehmen vergangen, da nahm Ilnurs Ehefrau Dilara eine Arbeit in der Archivabteilung einer Stadtverwaltung im Tscheljabinsker Gebiet auf. Nachdem sie Erfahrungen in der Arbeit mit Archivdokumenten gesammelt hatte, beschloss sie, auf der Website https://obd-memorial.ru nach dem Großvater ihres Ehemanns zu suchen. Und wie groß war ihr Erstaunen, als sie den gesuchten Namen mit Angabe seiner Grabstätte in Leipzig, in Deutschland, fand!
Ilnur bat seine Schwester Gulnara um Hilfe, die zusammen mit ihrem Ehemann Oskar und ihrer Tochter Kamilla nach Deutschland ausgewandert war, wo Oskar studiert und Arbeit gefunden hatte. Oskar, der im Internet nach Organisationen stöberte, die bei der Suche nach während des Zweiten Weltkriegs Vermissten Hilfe bieten, wandte sich mit der Bitte an die Stiftung Sächsische Gedenkstätten, vorhandene Archivangaben zur Verfügung zu stellen. Und nach nur zwei Tagen erhielt er eine ausführliche Antwort mit dem genauen, bis dahin noch unbekannten Geburtsdatum, mit dem Todesdatum und mit dem Bestattungsort. Sabitulla Schagejew war im Kriegsgefangenenlager Stalag IV B in Mühlberg/Elbe (Landkreis Elbe-Elster) registriert worden und verstarb am 14. März 1945 im Kriegsgefangenen-Reservelazarett Leipzig. Bei der Schreibweise des Familiennamen wurde ein Fehler begangen, der sich später auch auf der Grabplatte wiederfand. Im Russischen lautet die Schreibweise „Schagejow“. Womöglich konnte er deshalb zunächst nicht gefunden werden. In der deutschen Sprache war der Name richtig geschrieben worden. Diese nicht hoch genug einzuschätzende Arbeit, die von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten geleistet wurde, beschleunigte die 74-jährige Suche nach einem der vielen vermissten sowjetischen Soldaten. Wie groß war bei allen die Freude!
Ein Jahr später, im Sommer 2019, fuhren Oskar, Ilnur und Dilara nach Leipzig, um das Grab des Großvaters zu besuchen. Die Hilfe Oskars, der in den Gesprächen mit den Friedhofsmitarbeitern dolmetschte, war bedeutend. Der Tag war glühend heiß, wichtig und aufregend. Auf dem Friedhof war es besonders heiß und keine Menschenseele zu sehen; nur die Leiterin des Friedhofs, die liebenswürdig einwilligte, die Besucher zur Grabstätte des Helden zu führen. Zum Erstaunen der Besucher war der Großvater in einem Einzelgrab bestattet. Die Grabplatte war am Beginn der 1990er-Jahre verwüstet und später wiederhergestellt worden. Das Grab war nach so langer Zeit gut gepflegt. Ilnur hatte Erde aus des Großvaters Heimat mitgebracht und Steinchen aus dem Fluss Inser, der durch das Heimatdorf fließt, in dem der Rotarmist Schagejew glücklich lebte. Ilnur legte sie am Grab des Großvaters nieder und sprach: „Nun, Großvater, das ist für Dich: Ich kam hierher, ich fand Dich, ich vergaß Dich nicht.“ Da schoss Oskar eine unglaubliche Idee durch den Kopf, wie Ilnur berichtet: „Direkt vom Friedhof aus stellten wir eine Videoverbindung zu Mutter, der Tochter von Sabitulla her, damit sie gemeinsam mit uns am Grab weilen konnte. Von Russland aus konnte sie in Echtzeit über das Internet zum ersten Mal nach 74 Jahren am Grab des Vaters beten. Zum ersten Mal besuchten ihn Verwandte. Ich denke, er war sehr froh. Er hatte so lange gewartet!“
Eines noch ist Ilnur wichtig: „Ich möchte besonders der Leiterin des Friedhofs danken, die ihre Zeit für uns opferte, die uns zum Grab des Gesuchten führte und die uns von den bevorstehenden Plänen der deutschen Verwaltung und der Russischen Botschaft in Deutschland berichtete, die Gräber wiederherzustellen. Die fehlerhaften Namenschreibweisen werden berichtigt, Gräber ‚unbekannter Soldaten‘ werden Namen erhalten, die aus deutschen Archiven bekanntgeworden sind, Grabmäler und Gräber werden restauriert. Die Helden haben es verdient!“
Zur Person
Nachname: | Schagejew |
Vatersname: | Waljewitsch |
Vorname: | Sabitulla |
Nation/Land: | Sowjetunion |
Geburtsdatum: | 19.09.1896 |
Geburtsort: | Usunlar, Kreis Archangelsk, Baschkirien |
Sterbedatum: | 14.03.1945 |
Sterbeort: | Kriegsgefangenen-Reservelazarett Leipzig |
Letzter frei gewählter Wohnort: | Usunlar |
Begräbnisstätte: | Ostfriedhof Leipzig |
Ergänzungen
Quelle(n)/ Literatur |
„Ich kam hierher. Ich fand dich. Ich habe dich nicht vergessen.“ Zur Klärung des Schicksals sowjetischer Bürger während des Zweiten Weltkrieges in Sachsen (Dt./Russ), Dresden 2020, S. 30-35. |
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