Gustav Böhme (1914–1947)
Die 1959 ausgestellte Sterbeurkunde für Gustav Emil Böhme, geboren am 15. April 1914 in Köln und zuletzt in Leipzig wohnhaft, dokumentierte, dass er am 9. Februar 1949 in der Sowjetunion verstorben sei. Zu diesem Zeitpunkt allerdings war er schon etwa zwei Jahre tot, in Halle an der Saale erschossen nach dem Todesurteil eines sowjetischen Militärtribunals. Jahrelang hatte seine Ehefrau Gabriele Böhme vergeblich versucht, durch Anfragen an das Ministerium des Innern der DDR, an den Präsidenten der DDR und an bekannte Strafvollzugseinrichtungen etwas über den Verbleib ihres Mannes zu erfahren. Doch sie erhielt keinerlei Nachricht über ihn, seit er am 12. August 1946 in seiner Wohnung von einem deutschen Polizisten und zwei sowjetischen Offizieren verhaftet worden war. Auch Anfragen nach 1990 an den DRK-Suchdienst, an die Vereinigung der Opfer des Stalinismus und an die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen führten zu keiner Aufklärung. Gabriele Böhme verstarb im Jahre 2002 in Unkenntnis über den Verbleib ihres Mannes.
Erst mehr als 68 Jahre nach der Hinrichtung erhielt Gustav Böhmes Tochter Gelia von der Militärstaatsanwaltschaft der Strategischen Raketentruppen in Moskau die Mitteilung, dass ihr Vater am 24. März 1947 wegen angeblicher Spionage erschossen worden war. Zugleich teilte die Militärstaatsanwaltschaft mit, dass er als Opfer politischer Repressionen rehabilitiert wurde. Endlich eine Nachricht vom Vater, doch zugleich Erschrecken über die Umstände des Todes!
Gelia Böhme war zur Zeit der Verhaftung ihres Vaters noch kein Jahr alt. Alles, was ihr in der Familie über ihren Vater erzählt worden war, passte nicht zum Todesurteil. Nun wollte sie insbesondere erfahren, wo ihr Vater nach seiner Festnahme inhaftiert war, ob er tatsächlich in die Sowjetunion verbracht wurde, welche Gründe es für die Verurteilung gab, warum die Todesstrafe verhängt wurde, mit welcher Begründung seine Rehabilitierung erfolgte und wo er begraben liegt.
Gustav Böhme diente nach dem Ablegen der ersten juristischen Staatsprüfung 1938 in einem Infanterieregiment in Grimma bei Leipzig. Während des Zweiten Weltkrieges war er als Offizier in Polen, an der Westfront und an der Ostfront im Einsatz. Nach einem Bauchdurchschuss im Juni 1944 befand er sich bis zum Kriegsende in verschiedenen Lazaretten. Nach seiner Heimkehr Ende Mai 1945 arbeitete er zunächst am Amtsgericht in Leipzig, musste diese Tätigkeit jedoch im Oktober 1945 wegen seiner Mitgliedschaft im NS-Studentenbund beenden.
Die Einsichtnahme in die im Zentralarchiv des FSB in Moskau lagernde Akte P-9635, die einen Umfang von 291 Blatt hat, ergab, dass Gustav Böhme nach der Verhaftung von der sowjetischen Geheimpolizei zunächst in das Gefängnis der Operativgruppe Merseburg gebracht wurde. Man warf dem Juristen vor, im Januar 1946 von einem Mitarbeiter der englischen Spionage angeworben worden zu sein, geheimdienstliche Informationen über den Zustand der Industrie und der Wirtschaft in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zu sammeln. Gustav Böhme habe anschließend Nachrichten über Banken, über die Bodenreform, über Demontagen und über enteignete Betriebe übermittelt.
Der so Angeklagte erläuterte in den Verhören, dass er von einem ehemaligen Schulkameraden, der inzwischen als Wirtschaftsberater in Hamburg lebte, eingeladen worden war, an dessen „Wirtschaftsdienst Nord“ mitzuarbeiten. Hierbei handelte es sich um ein Unternehmen, das Wirtschaftsnachrichten sammelte und an Abonnenten, zum Beispiel in der Wirtschaft, verkaufte. Die Übermittlung solcher Nachrichten leugnete Gustav Böhme nicht. Er verwies jedoch darauf, dass sie zu 90 Prozent aus öffentlich zugänglichen Quellen stammten, zu einem kleineren Teil von Kontakten in die Handelskammern oder von Besuchen auf der Leipziger Messe. In der Akte befindet sich die Kopie eines Schreibens vom 6. Januar 1946, in dem Gustav Böhme die Wirtschaftskammer Leipzig um Genehmigung seiner Tätigkeit als Wirtschaftsberater bittet. Zum Verhängnis wurde ihm, dass er keine entsprechende Erlaubnis vorlegen konnte, obgleich sich die Ermittler von der „Öffentlichkeit“ der Mitteilungen, die sämtlich in russischer Übersetzung in der Akte liegen, hätten überzeugen können.
Am 15. Februar 1947 verurteilte ihn das Militärtribunal der Provinz Sachsen nach einer Sitzung, die weniger als 90 Minuten dauerte, zur Höchststrafe. Sein Gnadengesuch vom selben Tage wurde am 6. März 1947 vom Oberkommandierenden der Gruppe der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland, Marschall Sokolowski, abgelehnt. Am 24. März 1947 wurde das Urteil an einem unbekannten Ort in Halle vollstreckt.
Gustav Böhme war ein mutiger Mann. Er beharrte bis zuletzt in den Verhören, in der Gerichtsverhandlung und im Gnadengesuch nachdrücklich auf seiner Unschuld und betonte, dass die gesammelten und übermittelten Nachrichten wirtschaftlichen Charakter trugen und nicht der Geheimhaltung unterlagen. Er sei kein Agent einer ausländischen Macht. Der Beschluss über die Rehabilitierung vom 7. Oktober 2003 bestätigte dies. In ihm heißt es: „Er sammelte nur Nachrichten, die aus Lokalzeitungen stammten und damit allgemein zugänglich waren.“
Nach der Akteneinsicht erhielt Gelia Böhme Kopien von ausgewählten Dokumenten aus der Strafakte, darunter Verhörprotokolle, das Urteil, das Gnadengesuch und die Mitteilung über die Vollstreckung des Todesurteils. Bitter bleibt, dass die Einsichtnahme in die Akte keine Erkenntnisse über den Begräbnisort erbrachte. Fragwürdig ist auch, dass die Ämter keinen neuen Totenschein ausstellten, obwohl die in der DDR ausgestellte Sterbeurkunde nachweislich falsch ist.
Alles in allem aber fällt das persönliche Fazit von Gelia Böhme positiv aus: „Gut ist, dass ich über die Lebensgeschichte meines Vaters mit meiner Familie einschließlich meiner Enkelinnen reden kann und dort auf Interesse stoße. Damit ist sein Leben wieder in unsere Mitte gerückt, mit allem Wissen und der Trauer darum. Meine Familie und ich danken der Dokumentationsstelle Dresden der Stiftung Sächsische Gedenkstätten sehr für ihre intensive und großartige Arbeit. Von der Rehabilitation meines Vaters hätten wir sonst nichts erfahren. So hat sich das Dunkel des Unheilbaren der Familiengeschichte gelichtet, findet Worte und fördert Aktivitäten bis hin zu dieser Veröffentlichung.“
Zur Person
Nachname: | Böhme |
Vorname: | Gustav |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 15.04.1914 |
Geburtsort: | Köln |
Sterbedatum: | 24.03.1947 |
Sterbeort: | Halle/Saale |
Letzter frei gewählter Wohnort: | Leipzig |
Orte/Stationen der Verfolgung/Haft |
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