Karl Otto (1902–1978)
Der Schriftleiter, Kulturfunktionär und Lyriker Friedrich Karl Otto wurde am 8. Juni 1902 als sechstes Kind des Ratssekretärs und späteren Stadtamtmanns Bruno Otto in Chemnitz geboren. Nach dem Besuch der Mittleren Volksschule begann er im Jahr 1916 zunächst in der Anwaltskanzlei des Justizrates Edmund Tetzner eine Lehre.
Im Ersten Weltkrieg (1914-1918) verlor der Lehrling jedoch seinen „stummen Gottesglauben“, wie er in seiner Autobiographie schrieb. Sein älterer Bruder Walther war in einem Kriegslazarett seinen schweren Schussverletzungen erlegen. Im Jahr 1918 wurde Otto Verwaltungspraktikant im Wohlfahrtsamt der Stadt Chemnitz. Nachdem er sich mit den vielschichtigen Aufgaben des Amtes vertraut gemacht hatte, musste er in eine andere Behörde wechseln. Durch die Wirren der Novemberrevolution 1918/19 nahm er endgültig Abstand von der Welt des Kleinbürgertums, gleichzeitig meinte er die „Halbheiten der neuen Republik“ erkannt zu haben. Als er ins Städtische Steueramt versetzt wurde, stellte er für sich fest, dass er aus dem tristen Behördenalltag fliehen musste.
So gab Otto im Frühjahr 1922 seine sichere Beamtenlaufbahn auf. Er wanderte mit einem Freund zwei Monate lang durch Süddeutschland. Danach übernahm er eine Arbeit in der Zementbaugesellschaft Alban Vetterlein & Co. In seiner Freizeit verbrachte er viele Stunden in der Stadtbücherei. Von August bis Dezember 1923 besuchte er einen Männerkurs an der Heimvolkshochschule Dreißigacker bei Meiningen. Dort lernte er den angesehenen Erwachsenausbilder Franz Angermann (1886-1939) kennen, dessen Wege 1926 nach Sachsenburg führten und der in dem dortigen Schloss eine bald reichsweit bekannte Heimvolkshochschule etablierte.
In jenem Jahr wurde Otto auch auf die kommunistische Jugendbewegung aufmerksam, als er an einem Treffen in Jena teilnahm. Eine Zeit lang übernahm er an den Wochenenden Büroarbeiten in einem christlichen Erholungsheim in der Nähe von Chemnitz. Anfang 1924 fuhr er nach Berlin, um eine Einladung des Schriftstellers Georg Kaiser (1878−1975) anzunehmen. Er wurde dessen Privatsekretär. In den 1920er-Jahren war Kaiser der meistgespielte Dramatiker in Deutschland. Die Werke von Kaiser, der unter anderem Kontakte zu Ernst Toller, Kurt Weill und Bertolt Brecht unterhielt, blieben nicht ohne Einfluss auf Otto. Dennoch sah er sich im Zuge der allgemeinen Arbeitslosigkeit und wachsender Verlagsschwierigkeiten im Dezember 1924 gezwungen, nach Chemnitz zurückzukehren.
Dort nahm er eine Arbeit als Posthelfer und Depeschenbote an. Dadurch fühlte er in seiner alten Heimatstadt erstmals „Kampf, Not und Angst unterdrückter Menschen“, wie er später schrieb, erlebte und sah, was ihm bisher fremd war. Er wohnte bei seinen Eltern auf dem Sonnenberg in der Würzburger Straße 25. Im Jahr 1925 trat Otto in die KPD ein. Vermutlich wurde er in dieser Zeit auch Mitglied des Zentralverbandes der Angestellten (ZdA). Am 22. Oktober 1927 vermählte sich Karl Otto mit der Stenotypistin und Korrespondentin Klara Marianne Schubert, die im März 1927 auch den Weg zur KPD gefunden hatte.
Als freier Korrespondent schrieb er fortan Gerichtsberichte für die Tageszeitung „Der Kämpfer“, das Sprachrohr des Chemnitzer Stadtverbandes der KPD. 1929 wurde er ihr Lokalredakteur. In dieser Zeit lernte er auch den Politiker und Historiker Rudolf Lindau (1888-1977) kennen, der 1930/31 Chefredakteur des „Kämpfer“ war. Von Juli bis September 1930 war Otto verantwortlicher Schriftleiter. In dieser Eigenschaft verstieß er oftmals gegen geltendes Recht in der Weimarer Republik. Daher wurde am 12. Januar 1931 vor dem 4. Strafsenat des Reichsgerichtes in Leipzig gegen ihn ein Strafverfahren wegen „literarischem Hochverrat“ und "Zersetzung der Reichswehr" eröffnet. Als alleiniger Angeklagter wurde Otto zu einem Jahr Festungshaft verurteilt. Am 21. Mai 1931 trat er seine Strafe an und verbüßte diese bis zum 21. Juni 1932 im Gefängnis des Amtsgerichtes Auerbach (Vogtland), das für ihn die „Festung Auerbach“ war. In der Gefängniszelle fing er mit der Niederschrift seiner Erinnerungen an, die erst im Jahr 1961 erscheinen sollten. Nach seiner Entlassung stieg er sogar zum Chefredakteur des „Kämpfer“ auf.
Trotz Verbots der Zeitung Ende Februar 1933 setzte Otto die Arbeit als politischer Redakteur fort, und zwar im Untergrund im benachbarten Kreis Burgstädt. Am 27. März 1933 wurde er dort wegen „illegaler Zusammenkunft“ verhaftet. Bis zum 6. April 1933 blieb er in Polizeihaft in Burgstädt, bevor er in das Untersuchungsgefängnis Kaßberg in Chemnitz überstellt wurde. Von dort wurde Otto am 27. Mai 1933 in das KZ Sachsenburg verschleppt. Er wurde dem Arbeitskommando „Gartenbau“ zugeordnet. Außerdem musste er Tüten kleben. Erst am 6. November 1933 wurde er entlassen und musste sich fortan täglich bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) melden.
Eine neue Arbeit fand er nicht. Er setzte aber die illegale Tätigkeit fort. In dieser Zeit veröffentlichte er auch sein erstes Gedichtbändchen („Vom falschen Heroismus“), das aber sofort nach dem Erscheinen von den Nationalsozialisten verboten wurde. Ein Spitzel verriet ihn und den Lehrer Rudolph Strauß (1904-1987), den späteren Direktor des Stadtarchivs Chemnitz, in dieser Zeit bei der Gestapo. Daher wurden beide am 16. Oktober 1934 wegen „staatsfeindlicher Einstellung“ verhaftet und zunächst in das Chemnitzer Polizeigefängnis Hartmannstraße gebracht. Von dort wurden sie zehn Tage später in das KZ Sachsenburg überführt. Erst am 26. Dezember 1934 konnte er nach Chemnitz zurückkehren.
Erneut erhielt er keine Arbeit. Mit seiner Ehefrau baute er zunächst einen Wäschehandel auf, bevor er für die Versicherungsgesellschaft „Victoria“ als Vertreter arbeitete. Diese Tätigkeit erlaubte ihm auch weiterhin „gute Propaganda und Aufrechterhaltung der Verbindung“ zu seinen Parteifreunden. Anfang 1940 wurde er aufgrund einer abermaligen Denunziation von der Gestapo abgeholt, weil ein früheres konspiratives Treffen mit Karl Jungbluth und Alfred Hecktheuer ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten war. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt, und nach sechs Tagen wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen.
Am 12. Januar 1942 wurde Otto für die Wehrmacht mobilisiert. Er wurde Soldat des Landesschützen-Ersatz-Bataillons in Bad Düben. Von dort wurde er im Juli 1944 an die Front in der Steiermark verlegt. Am 9. Mai 1945 geriet er in Wien in englische Kriegsgefangenschaft. Am 21. Dezember 1945 konnte er jedoch fliehen und kehrte in das zerstörte Chemnitz zurück.
Am 27. Dezember 1945 wurde dem Rückkehrer die Leitung des Kulturamtes der Stadt übertragen. Außerdem wurde er Verwaltungsdirektor des Städtischen Theaters. Im Jahr 1946 konnte er endlich die Arbeiten an seiner Gedichtsammlung „Heimat“ beenden, die er seinem am 12. Januar 1945 in Dresden hingerichteten Freund Karl Jungbluth gewidmet hatte. Eine schwere Augenerkrankung (Sehnervenschwund) mit fast völliger Erblindung zwang ihn am 19. März 1948, die anspruchsvollen Ämter aufzugeben. Im Jahr 1949 wurde er Invalidenrentner.
Otto erlernte die Blindenschrift und das Maschinenschreiben, was ihm erlaubte, „nach Maßgabe seiner Kräfte“ weiterhin auf kulturpolitischem und schriftstellerischem Gebiet tätig zu sein. So engagierte er sich ehrenamtlich für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, den Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und die Chemnitzer Volksbühne. Zur Wiedereröffnung des Opernhauses (1951) verfasste er für die Festschrift einen Beitrag über die Geschichte der Chemnitzer Theater. Desgleichen unterstützte er die Arbeit der Blindenbücherei Leipzig. Mit Hilfe seiner Ehefrau redigierte er die Blindenzeitschrift „Die Gegenwart“. In den Ausgaben 7/8 des Jahrgangs 1951 veröffentlichte er unter dem Titel „Blinde im öffentlichen Leben“ einen Abriss seines Lebens- und Entwicklungsganges. Außerdem schrieb er ein Hörspiel zum 60. Jahrestag des Ersten Mai und ein Thomas-Müntzer-Poem. Von 1955 bis 1959 war er darüber hinaus Vorsitzender des Schriftstellerverbandes des Bezirkes Karl-Marx-Stadt.
Für seine kulturpolitische und schriftstellerische Tätigkeit wurde Otto mehrfach geehrt. So erhielt er den Vaterländischen Verdienstorden in Bronze, den Literaturpreis der Stadt Dresden (1956) und den Kunstpreis des Bezirkes Karl-Marx-Stadt (1960).
Als Sachsenburger Häftling war es für ihn mehr als nur eine Genugtuung, im Jahr 1962 auf der Grundlage von über 80 Erlebnisberichten ehemaliger politischer Häftlinge und von Augenzeugenberichten die Broschüre „Das Lied von Sachsenburg“ herauszugeben. Die Veröffentlichung, die mehrere Auflagen erlebte, blieb bis 1994 die einzige bescheidene Überblicksdarstellung zur Geschichte des KZ Sachsenburg. Vom Kulturbund des Stadtkreises Karl-Marx-Stadt wurde ihm die Leitung einer denkwürdigen Lesung mit Stefan Heym übertragen, die am 1. Februar 1965 im „Lesecafé“ am Markt stattfand.
Karl Otto starb am 18. Oktober 1978 in Karl-Marx-Stadt. Seine Urne wurde zwölf Tage später im Urnenhain des Städtischen Zentralfriedhofes an der Reichenhainer Straße beigesetzt. Sein umfänglicher Nachlass befindet sich seit 1996 im Stadtarchiv Chemnitz. Dieser umfasst nicht nur Manuskripte, sondern auch interessante Briefwechsel, unter anderem mit Karl Schmidt-Rottluff, Louis Fürnberg, Georg Kaiser und Wieland Herzfelde. Das Bezirksliteraturzentrum Karl-Marx-Stadt trug bis zu seiner Auflösung im Jahr 1991 Ottos Namen.
Text: Dr. Jürgen Nitsche
Zur Person
Nachname: | Otto |
Vorname: | Friedrich Karl |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 08.06.1902 |
Geburtsort: | Chemnitz |
Sterbedatum: | 18.10.1978 |
Sterbeort: | Karl-Marx-Stadt |
Letzter frei gewählter Wohnort: | Chemnitz |
Begräbnisstätte: | Urnenhain des Städtischen Zentralfriedhofs Chemnitz |
Orte/Stationen der Verfolgung/Haft |
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Ergänzungen
Quelle(n)/ Literatur |
Sächsisches Staatsarchiv / Staatsarchiv Chemnitz, 30413, Nr. 57766, VdN-Akte der Eheleute Otto Karl Otto, Vom Anwaltsstift zum Hochverräter: Erinnerungen, Berlin (Ost) 1961 (Autobiografie) Karl Otto. In: Aus dem Leben revolutionärer Kämpfer. Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Karl-Marx-Stadt, Bd. 3, Karl-Marx-Stadt 1988, S. 31-34 |
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