Dr. med. Ernst Cohn (*1901)
Dr. Ernst Eduard Heinrich Cohn gehörte zu den Häftlingen des KZ Sachsenburg, die nach ihrer Entlassung aus dem Konzentrationslager nach Spanien emigrierten und dort auf der Seite der Republikaner am Bürgerkrieg (1936-1939) teilnahmen. Was ist über den Zahnarzt bekannt, der sich schon mit 18 Jahren für die Ziele der Arbeiterbewegung einsetzte?
Ernst Cohn wurde am 7. April 1901 in Havelberg (Brandenburg) als Sohn eines jüdischen Ziegeleibesitzers geboren. Sein Vater Isidor Cohn stammte ursprünglich aus Ostrowo (Provinz Posen, heute Polen). Seine Mutter Bertha Heilmann, die in Hannover geboren wurde, war in Nordhausen (Thüringen) aufgewachsen. Mit Hedwig hatte er noch eine um zwei Jahre ältere Schwester. Bis 1915/16 besuchte er die Realschule in Havelberg. Im Frühjahr 1916 verlegten seine Eltern ihren Wohnsitz nach Berlin-Tegel. Im Mai 1918 legte er, den Wirren des Ersten Weltkrieges (1914-1918) geschuldet, ein Notabitur an der Oberrealschule in Tegel ab. Danach leistete er den vaterländischen Hilfsdienst bei der Straßenbahn in der Heimatstadt seines Vaters, in Posen, ab. In den Jahren 1919 bis 1923 studierte er Zahnheilkunde an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Im August 1923 bestand er sein Staatsexamen mit dem Prädikat „gut“. Die Inflation zwang ihn, eine Tätigkeit für die Deutsche Bank in Berlin anzunehmen. Außerdem arbeitete er bei der Berliner Straßenbahn, in der Schokoladenfabrik Theodor Hildebrand & Sohn und als Schuhputzer im Hotel „Palace“ am Potsdamer Platz. Nur so konnte er seine weitere Ausbildung finanzieren. Im Jahr 1924 wurde er Volontär- bzw. Assistenzarzt am Zahnärztlichen Fortbildungsinstitut Berlin. Gleichzeitig war er in der Verwaltung der Bibliothek des Reichsverbandes der Zahnärzte Deutschlands e. V. im Deutschen Zahnärztehaus tätig. Nebenamtlich war er als Mitarbeiter bei der Zahnärztlichen Ausstellung in Karlsruhe (1925) und der Zahnärztlichen Abteilung der Großen Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen (GeSoLei) in Düsseldorf (1926) für organisatorische Fragen zuständig. Am 12. August 1927 wurde er an der Medizinischen Fakultät der Universität Berlin zum Doktor der Zahnmedizin promoviert. In seiner Dissertation hatte er Forschungsergebnisse aus dem Wissenschaftlichen Laboratorium der Chirurgischen Abteilung des dortigen Zahnärztlichen Institutes eingereicht.
Bereits drei Tage später, am 15. August 1927, wurde Dr. Cohn Zahnarzt an der Schulzahnklinik der Stadt Dresden. Er wollte sich künftig verstärkt "sozialer Arbeit widmen“. Damit meinte er die Arbeit proletarischer Hilfsorganisationen. So war es nur eine Frage der Zeit, dass er Ende der 1920er-Jahre die Sächsische Landesleitung der im Oktober 1927 gegründeten Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Organisationen (ARSO) übernahm. Außerdem hielt er Vorträge an der Hygiene-Akademie des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden. Diese war im Jahr 1926 mit Unterstützung des Freistaates Sachsen, der Stadt Dresden und zahlreicher wissenschaftlicher und sozialer Einrichtungen gegründet worden.
Gleichzeitig engagierte sich Ernst Cohn politisch. Sein Vater hatte ihn frühzeitig in die Politik eingeführt. Ernst Cohn trat bereits im Jahr 1919 in die SPD und deren Verband der Arbeiterjugendvereine Deutschlands ein. Aufgrund des politischen Kurses der SPD wechselte er bald in die USPD und deren Sozialistische Proletarierjugend über. In der Folgezeit wurde er Mitglied der KPD und des Kommunistischen Jugendverbandes.
Dr. Ernst Cohn vermählte sich an seinem 30. Geburtstag, am 7. April 1931, in Dresden mit der Protestantin Elsa Hamann, die er aus der Zeit der Berliner Jugendbewegung kannte. Ob aus dieser Ehe Kinder hervorgingen, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. In dieser Zeit erkrankte er sehr schwer und verlor deswegen seine Anstellung in Dresden. Im Januar 1932 zog er deswegen nach Chemnitz und wurde dort Assistenzzahnarzt an der Zahnklinik der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK). Der markante kubistische Bau an der Müllerstraße 41 mit Fassadenverkleidung aus Rochlitzer Porphyr war erst am 15. Dezember 1931 fertiggestellt worden. Mit seiner Ehefrau wohnte er fortan in dem Haus Uhlichstraße 20 auf dem Kaßberg.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten änderte auch für die Cohns alles. Im Rahmen der Zwangsverwaltung der AOK wurde Dr. Cohn im April 1933 entlassen. Damals waren 1 200 Angestellte entlassen und durch 2 400 „bewährte“ SA-Männer ersetzt worden. Die Zahnklinik war in der Folgezeit von Dr. Franz Herberg, dem im Mai 1933 eingesetzten Reichskommissar für die AOK in Chemnitz, zwangsweise aufgelöst und weit unter Wert verkauft worden. Als überzeugter Kommunist wurde Dr. Cohn am 22. April 1933 in „Schutzhaft“ genommen. „Es folgten 19 lange Monate der Haft“, erinnerte er sich später. Konkret hieß dies, dass er zunächst im Polizeigefängnis Chemnitz festgehalten wurde. Von dort wurde er in die Haftanstalt Mathildenstraße in Dresden überführt. Die weitere Verfolgungschronik lässt viele Fragen offen. Fest steht nur, dass er wohl ab dem 15. August 1933 „Schutzhäftling“ der in den KZ Colditz, Hohnstein und Sachsenburg war. Vom 14. November 1933 bis zum 12. Januar 1934 befand er sich höchstwahrscheinlich in Colditz. Für dieses Lager ist belegt, dass ein jüdischer Zahnarzt die Häftlinge im Notfall versorgte. Dabei kann es sich nur Dr. Cohn gehandelt haben. Für Sachsenburg ist überliefert, dass er im Juni 1934 ein Päckchen aus Berlin erhielt, das ihm wohl seine Eltern geschickt hatten.
Ab dem 5. November 1934 wurde Dr. Cohn vom Sächsischen Staatsminister des Innern bis „auf weiteres“ beurlaubt. Am 10. April 1935 wurde die Beurlaubung bis zum 10. Oktober 1935 verlängert. Der Staatsminister verlängerte diese am Folgetag erneut und zwar diesmal bis zum 31. Dezember 1935. Zuvor hatte sich der Lagerkommandant bei der Geheimen Staatspolizei in Sachsen nach dem Verbleib des Häftlings erkundigt. Die Gründe für die mehrfache Beurlaubung sind nicht überliefert.
Während der erneuten Beurlaubung floh Dr. Cohn mit seiner „Familie“, wie er später schrieb, nach Prag. Von dort aus begab er sich 1937 in die Spanische Republik, währenddessen seine Familie weiterhin in Prag verblieb. Dr. Cohn schloss sich in Spanien dem Thälmann-Bataillon der XI. Internationalen Brigade an. Noch im April 1961 erinnerte er sich an den wenige Wochen zuvor verstorbenen ehemaligen Brigadekommandeur Heinrich Rau, der zu den Führern der XI. Internationalen Brigade gehörte. Später folgte sein Einsatz als „Arzt und Zahnarzt“, wie er sich selbst sah, beim Sanitätsdienst in den Hospitälern in Albacete, Murcia und Vich. Er wurde Leutnant und Chef des Pharmazeutischen Dienstes in Murcia. Im Jahr 1938 wurde er in die Reihen der Kommunistischen Partei Spaniens aufgenommen.
Im August 1937 begegnete Dr. Cohn einem früheren Sachsenburger Mithäftling, als er in einem Hospital in der Stadt Albacete tätig war. Es handelte sich um Dr. Hans Serelman, den er gar als Freund bezeichnete. Im Sommer 1938 arbeiteten beide im Hospital I in der Stadt Vich (Katalonien). Einige Wochen später wurde die XI. Brigade auf Beschluss der spanischen Regierung aufgelöst. Die Interbrigadisten wurden aufgefordert, in ihre Heimatländer zurückzukehren. Diejenigen, die dazu nicht in der Lage waren, wurden im Oktober/November 1938 in dem Fischerdorf Bisaura de Ter nahe der Grenze zu Frankreich interniert. In dieser Zeit war Dr. Cohn maßgeblich an einer Kampagne gegen Dr. Serelman beteiligt, die zu dessen Ausschluss aus der KPD führte. Noch in Bisaura de Ter hatte er am 2. Januar 1939 einen entsprechenden Antrag gestellt. Am Ende seines Schreibens kam er zu dem Schluss, „die Pflicht, die Partei sauber zu halten“, stünde für ihn „höher [als] persönliche Bindungen“.
Nachdem Dr. Cohn im Februar 1939 die französische Grenze überschreiten konnte, wurde er für 39 Monate in Lagern in Südfrankreich und Algerien interniert. Im Frühjahr 1942 wurde er aus dem Arbeits- und Internierungslager Djelfa am Rande der Wüste Sahara entlassen. Über Casablanca und Jamaica gelangte er nach Mexiko, wo er sich in der Stadt Puebla ansiedelte. Dr. Ernesto Cohn, wie er sich nun nannte, leitete den Bund „Freies Deutschland“ im Staate Puebla. In dieser Eigenschaft trat er oft mit Vorträgen im Radio auf. So sprach er im November 1943 über die „Rassenirrlehren der Nazis“. Nach Kriegsende baute er eine demokratische deutsche Kulturorganisation auf und unterstützte als deren Leiter einen möglichen Kulturaustausch mit Einrichtungen in Sachsen und Thüringen. Aus gesundheitlichen Gründen kam für ihn eine Rückkehr nach Deutschland nicht in Frage. Dennoch unterstützte er die Aufbauarbeit in der DDR, indem er Beiträge für zahnmedizinische und medizinische Zeitschriften verfasste und Beiträge aus dem Spanischen übersetzte. So schrieb er Mitte der 1950er-Jahre den Artikel „Als Zahnarzt in Lateinamerika“, der auf großes Interesse bei den Lesern der Zeitschrift „Deutsche Stomatologie“ in der DDR stieß.
Trotz zunehmender Probleme dachte Dr. Cohn nicht daran, Mexiko zu verlassen. Für ihn wurde der „Kampf um das Leben“ Ende der 1950er-Jahre mit jedem Tage härter und wie zu seiner Studentenzeit musste er wieder „oftmals trockenes Brot essen“. Trotzdem lehnte er im Herbst 1959 eine Einladung des Gesundheitsministeriums der DDR ab, das ihm eine Mitarbeit im wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden angeboten hatte. Damals führte er das Alter und das deutsche Klima als Gründe an, die gegen eine Übersiedlung sprachen.
Ob Dr. Ernesto Cohn jemals seine Ehefrau wiedersah, ist nicht überliefert. Else Cohn lebte bis zum Frühjahr 1939 in Prag, bevor sie kriegsbedingt über Polen und Schweden nach England emigrierte. Über das weitere Schicksal der Hausfrau, die anfangs in der Gemeinde Cookham (Grafschaft Berkshire) Zuflucht fand, können kaum Angaben gemacht werden. Eine weitere Spur führte nach Bray Court in Berkshire, wo sie im Oktober 1939 gemeldet war. Es ist davon auszugehen, dass sie im Januar 1958 im Londoner Stadtbezirk Hackney verstarb.
Wann Dr. Ernesto Cohn starb, ist nicht überliefert. Belegt ist, dass er noch im September 1965 im Zusammenhang mit einem Zahnmedizinischen Kongress in Stuttgart erwähnt bzw. in der Zeitschrift „Deutsche Stomatologie“ (Jg. 1966) samt Angabe seiner Anschrift gewürdigt wurde. Seit dem 25. September 2013 erinnert ein Stolperstein in der Chemnitzer Uhlichstraße 20 an Dr. Ernst Cohn.
Text: Dr. Jürgen Nitsche
Zur Person
Nachname: | Cohn |
Vorname: | Ernst Eduard Heinrich |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 07.04.1901 |
Geburtsort: | Havelberg (Brandenburg) |
Sterbeort: | Mexiko, vermutlich Puebla |
Letzter frei gewählter Wohnort: | Chemnitz |
Orte/Stationen der Verfolgung/Haft |
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