Arno Bruchardt (1883–1945)
Der Schriftsetzer und Politiker Arno Friedrich Bruchardt (oft fälschlicherweise auch Bruchhardt) erblickte am 29. April 1883 in Leipzig als Sohn des Buchbinders und Papierverarbeiters Wilhelm Bruchardt das Licht der Welt. Er selbst bezeichnete sich später als „freireligiös“. Die Familie lebte damals in dem Vorort Eutritzsch. Nach dem Besuch der Volksschule in Leipzig erlernte er das Handwerk eines Buchdruckers und Schriftsetzers. Um die Jahrhundertwende wurde er Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Im Jahr 1917, während des Ersten Weltkrieges (1914-1918), schloss sich Bruchardt der damals gegründeten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) an. Die neue Partei bestand vor allem aus Vertretern des linken Flügels der SPD, die die Kriegspolitik der Parteiführung ablehnten. Bruchardt sprach später – in Anlehnung an den SPD-Politiker Gustav Noske – von den „Noskiden“. Bereits im Jahr 1918 geriet er wegen „politischer Hetzreden“ in Konflikt mit der Justiz in Leipzig.
Im Jahr 1919 wurde Bruchardt nach Chemnitz entsandt, um für die USPD den Vorsitz des dortigen Agitationsbezirkes zu übernehmen. Die Partei hatte bei den Wahlen für die Stadtverordnetenversammlung nur 7 294 Stimmen erhalten und konnte mit Fritz Heckert und Paul Gubisch lediglich zwei Abgeordnete (von insgesamt 60) stellen. Am 1. Mai 1919 wurde Bruchardt Redakteur der „Chemnitzer Volkszeitung“, des Organs der USPD im früheren 15., 16. und 17. Reichstagswahlkreis. Die Tageszeitung, die als Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet worden war, hatte ihren Sitz im Erdgeschoss des Hauses Brühl 25. Der ehemalige Lagerhalter Franz Emil Mittelbach wurde ihr Geschäftsführer. Möglicherweise bezog der neue Redakteur deswegen eine Wohnung in unmittelbarer Nachbarschaft, und zwar am Brühl 14.
Ende September 1919 veröffentlichte Bruchardt unter dem Titel „Das Chemnitzer Blutbad am 7. und 8. August 1919“ eine Denkschrift über die Ereignisse, die als Demonstration gegen Lebensmittelknappheit begonnen hatten und als Straßenschlacht endeten. Auf 48 Seiten wollte er nicht nur die tragischen Ereignisse aus der Sicht eines der Hauptakteure darstellen, sondern den „rechtssozialistischen Verrat an der Einheit der Arbeiterschaft“ anprangern. Als Vertreter der USPD gehörte er der „Dreizehner-Kommission“ an, die sich am Vorabend der blutigen Ereignisse gebildet hatte. Am Ende der Broschüre veröffentlichte er das Aktionsprogramm der USPD, das diese auf ihrem Berliner Parteitag vom 2. bis 6. März 1919 beschlossen hatte.
Als am 16. März 1920 in Chemnitz der Vollzugsrat zur Abwehr des Kapp-Putsches gewählt wurde, gehörte Arno Bruchardt zu den Kandidaten der USPD. Der Rat hatte damals die politische Macht und vollziehende Gewalt in der Stadt und Umgebung übernommen. Entsprechend dem Wahlergebnis setzte sich das Gremium aus zehn Kommunisten, neun Sozialdemokraten, einem Unabhängigen und einem Demokraten zusammen. Heinrich Brandler (KPD), August Friedel (SPD) und Arno Bruchardt wurden Vorsitzende. Noch am selben Tage wurde er jedoch in Leipzig verhaftet und durch Bernhard Kuhnt ersetzt.
Bruchardt wurde am 6. Juni 1920 Mitglied des Ersten Deutschen Reichstages. Als Kandidat der USPD gehörte er diesem bis zur Wahl im Mai 1924 an. Die einst einflussreiche Partei, die 1920 900 000 Mitglieder zählte, zerfiel jedoch in dieser Zeit aufgrund innerer Widersprüche. Nur so war es zu verstehen, dass Bruchardt im Jahr 1922 trotz des ehemals kritischen Verhältnisses zur SPD in diese zurückkehrte und sich auch deren Reichstagsfraktion anschloss.
Im Sommer 1922 verließ Bruchardt die Industriestadt Chemnitz, um sich der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USP) im Saarland, das seit 1920 unter der Verwaltung des Völkerbundes stand, anzuschließen. Unter anderem war er für die „Saar-Tribüne“, das im Juni 1922 gegründete Organ der unabhängigen Sozialdemokratie an der Saar, tätig. In welcher Eigenschaft er die von Hermann Müller herausgegebene Zeitung unterstützte, ist bislang unbekannt. Am 16. Juli 1922 nahm er an einer Bezirkskonferenz der USP teil, auf der er über den „Kampf der Arbeiterschaft rechtsrheinisch und im Saargebiet“ sprach. Wie lange er sich in Saarbrücken aufhielt, konnte noch nicht geklärt werden. Nachweislich war er in den Jahren 1924/25, möglicherweise noch 1927/28, als Parteisekretär der SPD in Eisenach tätig. In den Adressbüchern der Wartburgstadt wurde er als „Redakteur und Partei-Führer“, wohnhaft in der Barfüßerstraße 13, genannt. Danach kehrte er nach Leipzig zurück und lebte fortan im Vorort Wiederitzsch. Er verfasste politische und gewerkschaftliche Abhandlungen und trat außerdem als Parteiredner an verschiedenen Orten in der Messestadt auf. Ob er damals schon mit Klara Anna Henschel verheiratet war, kann nur vermutet werden.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten bedeutete für den ehemaligen Reichstagsabgeordneten vor allem Verfolgung. Mangels überlieferter Unterlagen lässt sich Bruchardts Verfolgungschronik bislang nur bedingt rekonstruieren. Am 27. Januar 1934 wurde er erstmals in Leipzig verhaftet und ins Amtsgerichtsgefängnis Frankenberg (Hainichener Straße 6) verlegt. Von dort aus wurde er ins unweit gelegene Konzentrationslager Sachsenburg verbracht. Der Zeitpunkt der Entlassung ist nicht bekannt. Die nächste Verhaftung erfolgte am Nachmittag des 26. Juni 1935. Ein neuer „Schutzhaftbefehl“ lag gegen ihn vor. Die Gefangenenanstalt I in Leipzig hatte deswegen die Festnahme veranlasst. Über sieben Wochen lang wurde er in der Zelle 68 des Polizeigefängnisses Leipzig festgehalten. Von dort wurde der ehemalige Redakteur am frühen Morgen des 9. August 1935 nach Sachsenburg überführt. Vermutlich wurde er später zur Vernehmung ins Polizeipräsidium Chemnitz gebracht. Ab dem 27. September 1935 befand er sich wieder in Polizeihaft in Leipzig. Am 9. Oktober 1935 sollte er mit einem Sammeltransport erneut nach Chemnitz verlegt werden. SS-Sturmbannführer Max Simon, der stellvertretende Lagerkommandant, hatte sich jedoch zwei Tage zuvor mit einem Fernschreiben an das dortige Polizeipräsidium gewandt und dieses aufgefordert, Bruchardt aus dem Sammeltransport herauszunehmen und „bei nächster Gelegenheit“ nach Sachsenburg zu überführen. Dem entsprach das Polizeipräsidium Chemnitz. Bruchardt erwartete eine lange „Schutzhaft“, die ihn zermürbte. Aus einer überlieferten Meldung geht hervor, dass er sich bis zum 31. Januar 1936 in einem Krankenhaus befand und aufgrund einer vorübergehenden Invalidität bis zum 20. Februar 1936 „weder arbeits- noch innendienstfähig“ war.
Nach seiner Entlassung aus dem Lager, vermutlich vor Juni 1937, verliert sich seine Spur. Überliefert ist nur, dass Arno Bruchardt mit seiner Ehefrau weiterhin in Wiederitzsch (zuletzt Heinrich-Heine-Straße 27) lebte. Er starb am Abend des 26. August 1945 im Stadtkrankenhaus St. Georg in Leipzig-Eutritzsch. Die sterblichen Überreste wurden am 31. August 1945 im Krematorium auf dem Südfriedhof Leipzig eingeäschert. Die Urne wurde am 4. September 1945 auf dem kirchlichen Friedhof Wiederitzsch in einer Grabstätte der Abteilung V beigesetzt.
Eine Straße in Wiederitzsch, das 1999 nach Leipzig eingemeindet wurde, trägt Bruchardts Namen und erinnert damit an dessen Wirken.
Text: Dr. Jürgen Nitsche
Zur Person
Nachname: | Bruchardt |
Vorname: | Arno Friedrich |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 29.04.1883 |
Geburtsort: | Leipzig |
Sterbedatum: | 26.08.1945 |
Sterbeort: | Leipzig |
Letzter frei gewählter Wohnort: | Leipzig |
Begräbnisstätte: | Kirchlicher Friedhof Leipzig-Wiederitzsch |
Orte/Stationen der Verfolgung/Haft |
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Ergänzungen
Quelle(n)/ Literatur |
Arno Bruchardt, Das Chemnitzer Blutbad am 7. und 8. August 1919. Von der Lebensmitteldemonstration zum Straßenkampf, Leipzig 1919. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, PP-M 109. Karlheinz Schaller, „Radikalisierung aus Verzweiflung“. Geschichte der Chemnitzer Arbeiterschaft vom Ersten Weltkrieg bis zur Inflation, Bielefeld 2003. |
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